Wer erinnert sich noch an die letzte Kollektion von Versace? Richtig, jetzt kommen sogar Modeexperten ins Grübeln. War das nicht diese Jubiläumsshow mit Carla Bruni, Cindy Crawford, Claudia Schiffer und Helena Christensen? Falsch, die Supermodel-Show liegt schon länger zurück. Trotzdem ist sie im Gedächtnis geblieben.

Wie das Beispiel zeigt, stecken die Modehäuser schon länger in einem Dilemma. In Zeiten von Instagram ist Unterhaltung das oberste Gebot, unaufgeregte Shows bringen in den sozialen Netzwerken aber keine Aufmerksamkeit. Die Folge: Die Designer fahren die Laufstege aus und engagieren reihenweise Models, die in den 1990er-Jahren Karriere gemacht haben. Die Strategie der Designer im Detail, beobachtet während der Mailänder Modewoche.

Shows der Superlative

Ausgerechnet raus zum Flughafen! Dass die Emporio-Armani-Show diesmal auf das nicht eben um die Ecke gelegene Gelände des Mailänder Stadtflughafens Linate verlegt wurde, beschäftigte die gestressten Moderedakteure zu Beginn der Mailänder Woche. Mehr als 2000 Gäste wuselten am Abend hinaus aus der Stadt, mit dem Taxi oder mit dem Bus, Ausweis und Bändchen mit dem Einlasscode im Gepäck, dann Sicherheitscheck und in die Dunkelheit am Hangar.

Dort, wo sich Giorgio Armani schon Mitte der 1990er-Jahre in Leuchtbuchstaben verewigt hat, wurden an diesem lauen Septemberabend erst Pizzaecken und Mozzarella-Spieße gereicht, dann drängelten hunderte Gäste in Anzügen und Abendkleidern die Stiegen des Stahlrohrgerüsts empor.

In der Arena folgte ein Aufmarsch von 200 Entwürfen, braungebrannte Männermodels schleppten Surfbretter über den Laufsteg. Es schien, als wollte Giorgio Armani dem Londoner Unternehmen Burberry zurufen: Ich habe den längeren Laufsteg!

Erst zeigte Giorgio Armani 200 Entwürfe, dann kam Robbie Williams im Kilt.
Foto: SGP

Das englische Traditionsunternehmen hatte wenige Tage zuvor die ersten 134 Entwürfe des italienischen Designers Riccardo Tisci gezeigt.

Armani? Legte einfach noch ein paar drauf. Und ließ danach Robbie Williams im Kilt auf die Bühne springen: "Let me entertain you!"

In den vergangenen Jahren hatten bereits die milliardenschweren Luxuskonzerne LVMH und Kering mit ihren Zugpferden Dior und Gucci vorgelegt.

Nun haben auch die letzten unabhängigen Unternehmen verinnerlicht: Es braucht mehr als ein simples Auf und Ab der Kleider. Wer kann, klotzt. Das Modehaus Etro tapezierte anlässlich des 50-Jahr-Unternehmensjubiläums sechs Räume des Mailänder Museo delle Culture di Milano von oben bis unten mit Paisley-Mustern. Moncler feierte am Eröffnungstag inmitten von Modevideos und Präsentationen am Rand von Mailand eine rauschende Party.

Moncler präsentierte Winter- statt Frühjahrsmode.
Foto: Moncler

Das Aufmerksamkeitssyndrom

Zu viel Ablenkung tut den Modekollektionen nicht immer gut: Dolce & Gabbana zum Beispiel engagierten diesmal nicht nur ein Heer an blutjungen Models und Influencern, sie mischten auch so viele Prominente unter die Profis, dass man durcheinanderkommen konnte: Monica Bellucci, Isabella Rosselini mit Tochter und Enkelkind. Die Vielfalt des sizilianischen Castings konnte von den Blumenkleidern und Zweiteilern in Brokat kaum übertroffen werden.

Um die Folgen des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms der Mode in Zeiten von Instagram nachvollziehen zu können, muss man während der Modewoche nur einmal einen Abstecher ins Kaufhaus La Rinascente in der Nähe des Mailänder Doms machen.

Da steht in den Designer-Abteilungen ein plumper Dad-Sneaker neben dem anderen. Seit sich Balenciagas Prototyp als Bestseller entpuppt hat, wollen alle Hersteller mit klotzigen Sneakern Geld machen. Die Folge: Mode sieht heute oft sehr gleich aus.

In den Shows auf Effekthaschereien zu verzichten mag schwer sein, kann sich aber lohnen. So wie bei Jil Sander, wo Lucie und Luke Meiers es schafften, endlich auch Accessoires begehrenswert aussehen zu lassen.

Die Supermodels der Neunziger

Kaum eine Show ohne die Gesichter der Neunziger: Stella Tennant für Ferragamo.
Foto: APA / AFP / Marco Bertorello

Wer erinnert sich noch an Stella Tennant? In den 1990ern gehörte das androgyne Model zur exklusiven Supermodelriege. In Mailand eröffnete Tennant nun die Show des Modehauses Ferragamo. Sie war nicht die einzige Mittvierzigerin, nicht das einzige ehemalige Supermodel. Bei Versace stießen die Zuschauer beim Anblick der gelockten Shalom Harlow bewundernde Ahhs und Ohhs aus.

Vielleicht wollte die italienische Marke auf den letzten Metern an jene alten Bilder von Firmengründer Gianni Versace, Seite an Seite mit Harlow, erinnern: Wenige Tage später wurde bekannt, dass Versace vom US-Unternehmen Michael Kors übernommen wird, für 1,8 Milliarden Euro.

Bei Dolce & Gabbana liefen mit Carla Bruni-Sarkozy, Eva Herzigová und Helena Christensen in etwa so viele einstige Supermodels wie vor einem halben Jahr bei Versace auf. Das Comeback der Laufstegfrauen ist nicht neu, doch in dieser Saison wurden sie zur Allzweckwaffe.

Mehr ist mehr: Carla Bruni-Sarkozy und über 100 Models bei Dolce & Gabbana.
Foto: APA / AFP / Miguel Medina

Mit 18-jährigen Babyfaces kommt man nicht an die Geldbörsen der finanzstarken Generation 40 plus ran: Was den Millennials Influencer wie Chiara Ferragni (sie verursachte mit Neo-Ehemann Fedez bei der Fendi-Show minutenlanges Blitzlichtgewitter), sind den Mittvierzigern die Supermodels. Sie erinnern an ein prädigitales Modejahrzehnt, an die guten Zeiten vor der Krise, und sie garantieren positive Nachrede in den sozialen Netzwerken.

Agnona-Designer Simon Holloway verpflichtete mit Amber Valletta sein persönliches Idol der 1990er-Jahre. Nicht aus nostalgischen Gründen, sondern weil es um Glaubwürdigkeit gehe, erklärte er. Die haben die Konzerne nötig.

Prada zeigte Babydolls und gepolsterte Haarreifen.
Foto: APA / AFP / Andreas Solaro

Nicht immer braucht es dafür ein Supermodel. Miuccia Prada lässt nichts von der Mode ablenken, die Welt der Hashtags ist ihre Sache nicht. Sie braucht nur Satinblusen, Babydoll-Kleidchen, gepolsterte Haarreifen und die in den 1990ern so populären Nylontaschen. Auch so geht Nostalgie. (Anne Feldkamp, 29.9.2018)