Jugendstil-Elemente aus der Feder Otto Wagners ergeben im Dialog mit dem Phantastischen Realismus von Ernst Fuchs ein preziöses, sinnliches Spannungsfeld, das Wien des Fin de Siècle mit dem Heute fusionierend.

Foto: Gregor Auenhammer

Gregor Auenhammer, "Auf den Spuren von Otto Wagner". € 17,-/128 S. Styria, Wien 2018.

Es gilt in Vergessenheit Geratendes, in der Schnelllebigkeit unserer Zeit Vernachlässigtes, nicht nur in Stein gemeißelte und in Stahl gegossene Hinterlassenschaften des Jugendstil-Architekten zu suchen, sondern den Menschen hinter dem Künstler. Otto Koloman Wagner (1841–1918) war zweifellos ein Fixstern im Universum des Wiener Fin de Siècle. Entsprechend funkelnd ist das Kaleidoskop seines Schaffens. Wagners 100. Todestag war Anlass für eine Fährtenlese im Hier und Jetzt. Was ist erhalten? Was nicht? Warum nicht? Was hat Bestand und Relevanz? Adolf Loos bezeichnete ihn als größten Architekten seiner Zeit. Hätte man alles gebaut, was der Visionär der Moderne für Wien ersonnen hatte, wäre der Republik heute manch peinliche Diskussion erspart geblieben.

Durch die Schrebergarten-Idylle der Baumgartner Höhe, von der Menschen der Generation U20 meinen, sie sei nach dem glücklichen Stratosphärenspringer selben Namens benannt, flanieren wir, von der Kirche am Steinhof kommend, die Hüttelbergstraße entlang. Zur Rechten winkt das "Paradies". Nun denn, sehr paradiesisch wirkt der sogenannte wild wuchernde, real desolate Freizeitpark nicht. "Eintritt verboten!" steht auf einem händisch gekritzelten Schild. Na was denn sonst, denkt man. Das Paradies ist ja von jeher verbotenes Terrain. Dieses allerdings verlockt nicht einmal mit Verführungen. Ungeduldig wie von selbst gehen die Füße entlang des verwunschenen Gartens weiter. Plötzlich tauchen Hüttelbergstraße No. 26 und 28 auf. Wir haben unser Ziel erreicht: Villa Wagner I, besser bekannt als Fuchs-Villa, und Villa Wagner II. Heaven is near!

Foto: Gregor Auenhammer

Als ausgesprochenen Glücksfall, als Wink des bewegten und oft auch verwunschenen, unfreundlichen Schicksals ist zu verzeichnen, dass die ehemalige Wagner-Villa heute öffentlich zugänglich ist. Sinnbild der Missachtung, Sinnbild des unachtsamen Umgangs mit historischen Granden. Allein von außen, von der Straße, vom schmalen Gehsteig aus, erschließt sich die Villa, durch ein zauberhaftes Dickicht aus Bäumen, Sträuchern, Blüten, Zäunen und Säulen als Refugium der Mythen, Riten, der Antike, als Tempel der Künste und der Lüste. Zarte Elfen, perfekte Karyatiden, sinnliche Engelswesen, muskelgestählte Atlanten und wohlgeformte Nymphen mit geschwellten, überdimensionalen Brüsten säumen den Empfang, die Treppen, die Gartenanlage, eine Grotte, eine Brunnenanlage, den Säulengang des Atriums sowie den gesamten Weg.

Stolze Säulen künden von preziösem Perfektionismus, fein ziselierte Details bereiten dem zum Staunen verleiteten Besucher einen freundlichen Empfang. Magisch nehmen einen zarte Göttinnen der Wollust in Beschlag. Erinnyen gleich, Sirenen ähnlich.

Freude, schöner Götterfunken

Anno 1885 hatte Wagner für sich und seine Familie in der Hüttelbergstraße 26 jenes Haus erdacht, das als Villa Wagner I in die Annalen eingehen sollte.

Tiefenpsychologisch betrachtet könnte man die Villa in ihrer hedonistisch zur Schau gestellten güldenen Opulenz, ihrer Pracht und Herrlichkeit, in ihrer Offenheit und Sinnlichkeit als Befrei ung (von einem ödipalen Komplex) interpretieren. Denn erst im Jahr zuvor, 1884, hatte Otto Wagner seine langjährige Liebe, Louise Stiffel, in Budapest nach langwierigen konfessionellen Komplikationen nach "unitarischem Ritus" geheiratet. Davor war Wagner immer fremdbestimmt – von seiner Mutter, die er nahezu kultisch, ja abgöttisch verehrte und liebte.

Auf Drängen der Mutter war er mit der begüterten Juwelierstochter Josephine Domhart verheiratet gewesen. Unglücklich. Erst nach dem Tod seiner Mutter Ende 1880 beschloss der beruflich so selbstständige und erfolgreiche Otto Wagner, sein Privatleben erstmals selbst in die Hand zu nehmen.

Nach kurzer Trauer trennte er sich von Josephine, versorgte seine beiden aus der Ehe stammenden Töchter Susanna (1868–1937) und Margarete (1869–1880) ebenso standesgemäß und ordentlich wie auch seine aus einer vorehelichen Liebesbeziehung mit Sophia Anna Paupie, ihres Zeichens Tochter eines Bierbrauers, stammenden Söhne Otto Emmerich (1864–1945) und Robert Koloman (1865–1954). Beide anerkannte und adoptierte er 1882 offiziell.

Foto: Ernst-Fuchs-Museum Wien

Ein Problem aber konnte er vorerst nicht überwinden. Selbstverständlich konnte er von seiner Gemahlin getrennt leben – heiraten aber konnte er als Katholik nicht. Dies konnte er übrigens erst 1889 nachholen, als seine erste Frau plötzlich verstarb. Aus der zweiten Ehe mit Louise Wagner, geborene Stiffel (1855–1915), stammten noch einmal drei Kinder: Stefan (1884–1945), Louise (1885–1976) und Christine (1889–1970). Pikant, weitgehend unbekannt, aber höchst interessant ist vielleicht noch das Detail: dass Louise zuvor die Gouvernante, also das Kindermädel, seiner Tochter war. Ein bewegtes Leben des Baulöwen.

Dass der Baulöwe auch ein Salonlöwe war, belegt wohl in äußerst eindrucksvoller Art die Villa, die er sich als Denkmal setzte. Das Refugium ist weit mehr der Sinnesfreude und der Schönheit als reinem Utilitarismus gewidmet, weder in Dimension noch in Ausstattung noch in Kunstfertigkeit.

Familie Wagner bewohnte das zunächst als Sommersitz gedachte Haus ab 1895 ganzjährig; das im südlichen Trakt befindliche Palmenhaus mutierte zu einem Salon. In einem freien Neorenaissancestil gehalten, ist die Villa charakteristisch für das Frühwerk.

Verfallen und vergessen

Die späthistoristische Villa wird in strenger Symmetrie von einem über eine Freitreppe erreichbaren quadratischen Mittelbau mit ionischen Säulen dominiert, flankiert von zwei Seitentrakten. Die seitlichen Salons verfügen über verglaste Fassaden mit dorischen Säulenelementen. Der nördliche Trakt verfügt über eine Tiffany-Verglasung von Adolf Böhm, das römische Bad im ersten Stock über Mosaiken von Kolo Moser. Als Wagners Kinder 1911 aus dem elterlichen Haus auszogen, verkaufte der begnadete Netzwerker die Villa an Apollo-Betreiber, Varieté-Zampano Ben Tieber, der sie bis zu seinem Tod 1925 bewohnte. Nebenan baute Wagner eine kleinere Villa, als Altersversorgung für seine um viele Jahre jüngere Frau. Aber tragischerweise starb sie vor der Fertigstellung. So zog Wagner einsam in sein Spätwerk Ecke Burggasse/Döblergasse.

Foto: Ernst-Fuchs-Museum Wien

Die erste Villa wurde in der Nazizeit, 1938, von Reichsstatthalter Baldur von Schirach "arisiert" und als Büro für die Freizeitaktivitäten der Hitlerjugend verwendet. Nach 1945 mutierte die dem Verfall preisgegebene Villa zum Spekulationsobjekt, war vom Abriss bedroht. 1972 kaufte der Maler, Grafiker, Bildhauer, Komponist, Autor, Bühnenbildner, Philosoph Ernst Fuchs (1930–2015) um 14 Millionen Schilling das Anwesen, ließ die Villa renovieren und adaptieren, fusionierte Alt mit Neu und richtete sein Atelier ein. Jugendstil-Puristen sind bis heute skeptisch. Vor Augen halten aber muss man sich des Juwels sonstige Alternative: Verfall und Abriss.

Revitalisierte Sinnesfreuden

Seit dem Tod von Ernst Fuchs im November 2015 ist die Villa als Museum zu besichtigen. Gott – und Fuchs – sei Dank! Um in das Innere der Villa zu gelangen, muss man zunächst durch die Parkanlage des Anwesens spazieren. Einlass gewährt ein freundlicher Herr mit Bart, smart im Anzug und Krawatte. Sehr distinguiert. Man merkt, in Privatgemächer einzudringen. Dichte Teppiche lassen einen versinken, es herrscht eine intime Aura der Festlichkeit, der Konzentriertheit, des Preziösen. Eine ausgesprochen sinnliche Atmosphäre, erotisches Knistern, eine hieratisch-ästhetische Sphäre. Faszinierend, welch wunderbare Synergien, welch interessante, grandiose Symbiosen entstanden.

Da treffen goldene Fresken auf Altäre, griechische Götterboten auf Zyklopen, römische Göttinnen auf personifizierte Brüste, Phallussymbole auf Jugendstil-Libellen, majestätische Sphingen. Das scheinbar Unpassende fügt sich zu einer großen Einheit, einer Phantasmagorie in unendlich vielen Akten. Stille Poesie ergeben die Dialoge von Zauberwesen, Medusen, von Yin und Yang – auf der Suche nach dem Wahren, Guten und Schönen. Trunken verlassen wir das Arkadien Richtung Realität, Richtung Großstadt, St. Hanappi und (Wagners) U-Bahn ... (Gregor Auenhammer, 30.9.2018)