Für Emmerich Selch hat der Buchhandel im Wettlauf gegen Onlinekonzerne viele Vorteile auf seiner Seite. Eine Hürde sind die hohen Mietpreise. Als Österreichs größter Buchauslieferer holt er derzeit laufend neue internationale Verlage unter sein Dach. Aus dem Zeitungsvertrieb zieht er sich zurück. Selbst ein Buch zu schreiben hat den Morawa-Chef nie gereizt. Bei Amazon bestellt er nicht.

STANDARD: Gibt es ein Buch, das Sie durch Ihr Leben begleitet hat?

Selch: Nein, da muss ich Sie enttäuschen. Als Kind las ich leidenschaftlich Karl May. Heute sind es vor allem Sachbücher. Ich bin nicht besonders buchaffin, auch wenn ich damit mein Brot verdiene. Meine Frau sagte mir, sie habe bei unserer Heirat gehofft, einen Buchhändler zu heiraten. Erst im Laufe der Ehe stellte sie fest, dass ich ein Zeitungshändler bin.

Morawa-Eigentümer Emmerich Selch ist sich nicht sicher, ob gedruckte Zeitungen eine Zukunft haben.
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STANDARD: Sie führen Morawa in der dritten Generation. Leseratte zu sein war dafür keine Bedingung?

Selch: Durchaus nicht. Als ich 1978 ins Unternehmen kam, hatten wir lediglich eine Buchhandlung, jene in der Wiener Wollzeile auf gerade einmal 180 Quadratmetern. Sie kam auf meiner Landkarte nicht vor. Meine Haupttätigkeit war immer der Pressevertrieb – den wir heuer leider beenden.

STANDARD: Sie vertreiben gut 3000 verschiedene Zeitschriften und Zeitungen an Trafiken, Kioske, Tankstellen und Supermärkte. Damit ist mit Jahresende Schluss. Gab es keine andere Option als den Rückzug?

Selch: Der Markt ist seit zehn bis 15 Jahren stark rückläufig – europaweit. Wir haben viel unternommen, um dem entgegenzuwirken. Wir haben Mitbewerber übernommen und Synergien erzielt: Ende der 70er-Jahre gab es in Österreich noch sechs Pressegroßhändler.

STANDARD: Künftig gibt es nur noch einen, den Salzburger Pressegroßvertrieb PGV.

Selch: Ein Zusammenschluss mit Morawa ist aus kartellrechtlichen Gründen nicht möglich. Es konnte nur einer von uns beiden schließen. Unser Mitbewerb hat dank ertragreicherer Verlagskunden und Zeitschriften bessere Voraussetzungen. Wir hingegen haben vor allem den Vertrieb von Tageszeitungen. Und dieser ist leider ein Ballast, der uns extrem viel kostet.

STANDARD: Birgt ein Monopol nicht die Gefahr von Preiserhöhungen?

Selch: Der Pressevertrieb ist traditionell in ganz Europa ein Monopol, ob in der Schweiz, in Deutschland, England, Frankreich oder Skandinavien. Nur Österreich war bisher noch eine Insel der Unseligen. Würde ein Großhändler die Vertriebspreise nun in die Höhe treiben, wäre das nicht sehr intelligent. Denn Verlage verkaufen 90 Prozent ihrer Auflage über Abonnements und nur zehn Prozent über den Einzelhandel.

STANDARD: Kappen Sie alle Verbindungen zum Zeitungsvertrieb?

Selch: Wir ziehen uns völlig zurück und trennen uns dabei auch vom Logistiker Cargoe. Das klassische Pressegroßgeschäft bleibt allein PGV vorbehalten, unsere Spedition Morawa-Berchtold wird für PGV nur einzelne Dienstleistungen wie Großtransporte erbringen.

STANDARD: Sehen Sie für gedruckte Tageszeitungen eine Zukunft?

Selch: Schwierige Frage. Ich selbst bin ja ein traditioneller Leser, ich brauche die Zeitung in der Hand. Doch bei der jüngeren Generation, die digital aufwächst, ist das anders.

STANDARD: Von der Zeitung zum gedruckten Buch, dem neuen Herzstück von Morawa. Sind Sie es leid, dass Bücher ständig totgeredet werden?

Selch war als Kind leidenschaftlicher Karl May-Leser. Heute bevorzugt er Sachbücher.
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Selch: Untergangsszenarien sind niemals gut. Aber ist nicht das Kino ebenso totgesagt worden und heute immer noch beliebt? Bei jeder neuen Erfindung glaubt man, dass die bestehende gleich untergehen wird. Doch die Buchhändler haben viele Vorteile auf ihrer Seite: stationäre Geschäfte, in denen mich keine Siri und kein Logarithmus in irgendwelche Kasteln einteilt und mir sagt, was ich zu kaufen habe. Da ist ein Mensch, der mit mir redet und mir Empfehlungen gibt.

STANDARD: Dennoch lässt sich die Zahl 6,4 Millionen nicht wegreden: So viele Leser gingen Ihrer Branche seit 2012 verloren, erhob der Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Wird es einem da bange?

Selch: Das ist unerfreulich, keine Frage. Es sind weniger die Internethändler als andere alternative Beschäftigungsmöglichkeiten bis hin zum Handy, auf dem ich ständig herumdrücke, die das Interesse an Büchern sinken lassen. Aber ich habe die Hoffnung, dass Gesellschaft, Politik und Schulen daran arbeiten, dass Menschen weiterhin lesen werden. Wie lang gibt es die digitale Welt schon in dieser Form? 15 Jahre? Wer sagt, dass es bis in alle Ewigkeit gilt, dass dies alles weitaus besser ist, als ein Buch in die Hand zu nehmen?

STANDARD: Sie sind in Österreich der größte und einzige Buchauslieferer. Kein Händler kommt um Sie herum. Ein weiteres Monopol?

Selch: Nein, davon ist keine Rede. Wir haben keine Exklusivitäten. Buchhändler können direkt beim Verlag bestellen oder bei drei großen deutschen Barsortimenten. Es gibt in Österreich überdies die Firma Melo, ihr Schwerpunkt liegt im Schulbuchbereich.

STANDARD: Ihr Mitbewerber Hain, ein traditioneller Buchgroßhändler, meldete jüngst Insolvenz an.

Selch: Die großen Verlagshäuser Random House und Bonnier entschieden sich zuvor, zu uns zu gehen. Auch Hanser wechselte. Die Folge waren dramatische Umsatzverluste für Hain. Die Verleger baten uns um eine Lösung, um den Betrieb sanft aufzufangen. Wir boten Hain Beteiligungen oder Ablösen an – er wollte allein weitermachen. Nach seiner Insolvenz wollten weitere Verlage zu uns. Wir bauen daher aus, zumal auch Häuser wie Diogenes, die Österreich bisher von Deutschland aus belieferten, wieder vor Ort sein wollen. Wir haben noch Kapazität, es geht aber nicht von heute auf morgen.

STANDARD: Wie kommen Sie eigentlich persönlich zu neuen Büchern? Schmökern Sie im Handel, kaufen Sie impulsiv, gezielt oder online?

Selch: Meine Mitarbeiter wissen, welches Genre mich interessiert, und schicken mir Empfehlungen.

STANDARD: Hand aufs Herz: Bestellen Sie manchmal bei Amazon?

Selch: Nein, überhaupt nicht. Ein absolutes No-Go. Vielleicht hängt das mit meinem Alter zusammen, aber ich bin ein großer Verfechter des stationären Handels. Und ich sehe nicht ein, warum der klassische Versandhandel, nur weil es Amazon gibt, plötzlich so auflebt. Daheim sein zu müssen, wenn geliefert wird – mir ist das alles viel zu unbequem. Ich flaniere lieber durch Geschäfte und Innenstädte.

STANDARD: Amazon ist mit gleichen Waffen nicht zu schlagen. Sind hohe Investitionen klassischer Buchhändler in den Onlinevertrieb letztlich nicht verlorene Liebesmüh?

Selch: Nein, denn unsere Kombination mit dem stationären Handel hat Vorteile. Viele Kunden, die online bestellen, holen sich ihre Bücher gern in der Buchhandlung ab. Sie sind uns die liebsten Kunden, da sie dort noch das eine oder andere kaufen. Nicht umsonst beginnt auch Amazon in den USA, eigene Geschäfte zu eröffnen.

Morawa zieht sich aus dem Zeitungsvertrieb aufgrund des stark rückläufigen Marktes zurück.
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STANDARD: Wer durch Wiens Innenstadt flaniert, kommt nur noch an drei, vier Buchhandlungen vorbei.

Selch: Internationale Ketten haben die Mieten dermaßen in die Höhe getrieben, dass sich der Buchhandel hier sehr schwertut.

STANDARD: Aber auch Bezirksstädte wurden ein unsicheres Terrain. Wie wirkt sich das auf Ihre Filialen in den Bundesländern aus?

Selch: Rundum siedelten sich Einkaufszentren an. Für Buchhändler ist es jedoch nicht leicht, dort sesshaft zu werden, denn sie verlangen Mieten, die aufgrund unserer gebundenen Ladenpreise kaum zu erwirtschaften sind. In den Ortskernen gab es zwar Buchhändler – in der Zwischenzeit gibt es jedoch keine Konsumenten mehr. Innenstädte veröden – eine schädliche Entwicklung für den Buchhandel. Zumal auch die Zahl der Einwohner, die nötig ist, damit sich ein Geschäft rechnet, stieg. Was uns hilft, eine gewisse Struktur zu erhalten, ist die Schulbuchaktion.

STANDARD: Hat es Sie selbst eigentlich nie gereizt, ein Buch zu schreiben?

Selch: Überhaupt nicht. Ich bin kein fantasiebegabter, kreativer Mensch, dafür bin ich zu nüchtern und sachlich. Ich müsste wohl ein Sachbuch schreiben, aber es wurde schon über alles geschrieben.

STANDARD: Sie könnten es auf jeden Fall prominent platzieren.

Selch: (lacht) Ich könnte es ganz vorn in die Auslage legen.

STANDARD: Apropos: Autoren beklagen, dass sich große Handelsketten Listungen, gute Platzierungen gern teuer abkaufen lassen. Zu Recht?

Selch: Jeder will aus der Masse der Buchneuerscheinungen herausragen, viele sind auch bereit, dafür zu bezahlen. Große Händler mit vielen Standorten sind sich ihrer Stärke bewusst. Wir selbst suchen gute Kooperationen mit Verlagen. Ich hörte noch nie von einem, der sich von uns bedrängt fühlte.

STANDARD: Jeder kann bei Morawa auch auf eigene Kosten Bücher drucken lassen. Warum gibt es weniger Leser, zugleich aber mehr Menschen, die Autoren sein wollen?

Selch: Es ist hochinteressant, wie viele Menschen sich mit einem Buch selbst verwirklichen wollen – selbst wenn es nur eine Auflage von 20 Stück hat. Ein Buch hat immer noch einen Wert und einen gesellschaftlichen Nimbus. (Verena Kainrath, 30.9.2018)