Cesy Leonard ist Künstlerin und Filmemacherin und leitet mit zwei Mitstreiterinnen das Zentrum für Politische Schönheit.

Inga Aleknaviciute

Sorority (Hg.), "No more Bullshit. Das Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten". € 19,90 / 176 Seiten. Kremayr & Scheriau, Wien 2018

Kremayr & Scheriau

Feminismus ist dir zu extrem? Streich die Bullshit-Floskel, werde laut! Ich bin Feministin. Das schon auszusprechen klingt für viele wie eine Kampfansage. Ich habe gelernt, dass vieles, was ich sage und denke, für andere zu extrem ist. Als eine der vier Leiterinnen der Künstlergruppe Zentrum für Politische Schönheit ecke ich in einer Gesellschaft, die das Like favorisiert, permanent an. Unsere Aktionskunst wird entweder geliebt oder abgrundtief gehasst. Wir selbst bezeichnen uns als aggressive Humanisten, die vor unangenehmen gesellschaftlichen Themen nicht die Augen verschließen und denen der Kampf um die Menschenrechte zu brav geführt wird. Unsere Aktionen sind Kampfansagen an die Gleichgültigkeit unserer Gesellschaft.

Der Dissens, der Ärger und der Unmut, die in öffentlichen Diskussionen oder bei Vorträgen oft ungefiltert über mich hereinbrachen, haben mich wachsen und stärker werden lassen. Wer etwas verändern will, muss provozieren, muss radikal sein. Das gilt auch für den Feminismus.

Feminist*innen bleiben auch zu Hause

Die erste Feministin, die mir begegnete, war meine Mutter. Sie erzog mich und meine Schwester nach dem Motto: "Seid nicht schön – seid schlau, laut, mutig und von den Männern unabhängig." Als Fünfjährige steckte sie mich zur Ballettaufführung in einen blauen Sportbody. Ich stand inmitten eines Meeres aus pinkfarbenen Tutus und schämte mich, anders zu sein. Die Haltung meiner Mutter erschien mir damals als ex trem. Dass sie als Mutter zu Hause blieb, bis das jüngste Kind in der Schule war, und danach neben Beruf auch den Haushalt mehrheitlich rockte, erschien mir hingegen als normal.

Wenn ich den Fernseher einschalte oder ins Kino gehe, sehe ich die komplette Diversität von Männlichkeit. Ich sehe lauter dicke, lustige, kleine, schwache, starke, dünne und alte Männer. Frauen hingegen schweben als Stereotype über den Screen: Sie entsprechen alle dem aktuellen Schönheitsideal von Kleidergröße 36 und sind niemals älter als 30 Jahre. Wo sind all die alten, dicken, lustigen, schwachen, starken Frauen? Wo bleibt die Diversität von Weiblichkeit im TV?

Dass es diese Ungleichheit im Film- und Theatergeschäft gibt, erfuhr ich als Schauspielerin am eigenen Leib. Bis zu meiner ersten Fernsehrolle kannte ich keine Pro bleme mit meiner Kleidergröße oder meinem Aussehen. Aber fürs Fernsehen galt ich mit einer Konfektionsgröße von 38 als fett, mein Gesicht war statt "schön" nur "interessant": Ich war nicht fernsehtauglich. Mein Kampf um die guten Rollen begann. Erst heute weiß ich, dass die guten Rollen für Frauen* sich an einer Hand abzählen lassen – seit 2000 Jahren wird Geschichte in der Gesellschaft und in der Kunst hauptsächlich von Männern geschrieben. Weibliche Schriftsteller, Drehbuchautoren und Dramatiker sind Mangelware.

Fehlende Frauen im Film

Kein Wunder, dass uns Geschichten und Rollen von starken, mutigen Frauenfiguren fehlen. Und das nicht nur auf dem Papier – Frauen fehlen auch hinter der Kamera, in der Regie und beim Ton. So zumindest lauten die alarmierenden Ergebnisse einer Studie des Zusammenschlusses Pro Quote Film, der in Deutschland seit wenigen Jahren erst über 500 Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen der Film- und Fernsehbranche vertritt. Pro Quote Film geht davon aus, dass nur die Hälfte aller an Filmhochschulen ausgebildeten Frauen in ihrem Beruf landet, was sich in der Filmförderung und bei Filmfestspielen deutlich bemerkbar macht – zum Beispiel in Cannes.

Seit Gründung des Filmfestivals im Jahr 1946 haben es hier ganze 82 Filme von Frauen in den Wettbewerb geschafft. 1688 Beiträge stammen von Männern. Es reicht also nicht, in Cannes wie 2018 einfach nur barfuß auf dem roten Teppich gegen die Kleiderordnung zu protestieren. Wir brauchen lautere, radikalere, provokantere und übertriebene Stimmen. Wir brauchen Forderungen und Aktionen, die weitergehen. So wie der Journalist Bernd Ulrich festhält: "Schließlich wurde Alice Schwarzers Kampf gegen häusliche Gewalt in den Siebzigern von vielen ebenso als übertrieben empfunden und hingestellt wie 1983 die Forderung der Grünen Petra Kelly im Bundestag, Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe zu stellen, was erst 1997 wirklich geschah. Ob es sich also bei denen, die zu weit gehen, um Durchgedrehte handelt oder um eine Avantgarde, ist nicht immer so leicht auszumachen." Was das Durchdrehen betrifft, haben sich die Zeiten seit Schwarzer und Kelly nicht geändert – unser Bewusstsein für feministische Themen ist vergleichsweise jung und fordert eine größere Radikalität in Positionen.

Wir brauchen die Revolution!

Im ersten Jahr als Mutter zerriss ich mich zwischen dem Wunsch, eine gute Mutter sein und mich als Künstlerin verwirklichen zu wollen. Mein Alltag wurde zur Kampfzone zwischen Kindern, Karriere, Künstlerinnendasein und Partnerschaft. Und ich bin damit nicht allein. Bis heute kenne ich keine Familie, die nicht ständig Streitereien über Haushaltsaufgaben und Arbeitszeiten hat. Oft wird in diesen Streitereien eines deutlich: Es ist noch längst nicht selbstverständlich, dass die Arbeit der Frau, sei es nun zu Hause bei den Kindern oder im Berufsleben, den gleichen Stellenwert hat wie die Arbeit des Mannes – von der Bezahlung und Wertschätzung ganz abgesehen.

Aber das ist nicht die Schuld der Männer, vielmehr ist es ein tiefsitzendes gesellschaftliches Problem: Wir stecken noch immer tief in Mustern – der Mann als Versorger, die Frau als Sorgende. Es ist eine gewachsene Struktur, die jahrhundertealt ist, aber längst nicht mehr zeitgemäß. Wir brauchen neue Familienstrukturen, neue Rollenverteilungen. Wir brauchen Vorbilder, die keine Zerrissenheit empfinden, wenn sie an die Vereinbarkeit von Mutterliebe und Karriere denken. Und ich meine dabei nicht ein paar Superwomen aus der elitären Oberschicht. Ich will, dass die Vereinbarkeit gesellschaftlicher Konsens wird. Und das nicht nur in der Kleinfamilie, sondern auch oder gerade für Alleinerziehende. Wir brauchen starke, zufriedene Mütter. Kurzum: Eine Revolution unserer alten Muster muss her. Fangen wir an! Meine fünf Forderungen für die Revolution sind:

1. Macht! Du begibst dich auf sehr dünnes Eis, sobald du als Frau zugibst, Macht zu wollen. Macht ist etwas Böses, Unkollegiales, Männliches, und nicht zeitgemäß. Macht klingt zu sehr nach materiellem Interesse, nach Herrschaft und Unterdrückung. Eine Frau, die Macht will, wird nicht gemocht. Sie ist nicht sexy. Wenn wir aber in dieser Welt etwas bewegen wollen, dann müssen wir dieses Tabu brechen! In einer Machtposition ist es leichter, Dinge in Bewegung zu bringen, Veränderungen zu erwirken. Ich will Macht, weil ich nur so andere ermächtigen kann. Ich will Macht für alle Frauen. Ich will mit euch dahin, wo die Männer seit Jahrhunderten sind.

2. Frauenquote! Qualität setzt sich durch? Never! Männer organisieren sich seit Jahrhunderten in Seilschaften und verteilen die besten Jobs untereinander. Schluss damit: Frauen*, traut euch an die Spitze! Und wer jetzt sagt, sie will keine Quotenfrau sein, oder dann gibt es wegen der Quote nur schlechtere Frauen in Führungspositionen – so what! Wir hatten jahrhundertelang schlechte Männer in den Positionen oder Männer, die gar nicht qualifiziert für ihren Job sind. Also?

3. Keine Scham! Sag laut und deutlich Vagina, Scheide, Mumu, Muschi oder Vulva. Vielen Eltern und Großeltern gleitet das Wort Penis easy über die Lippen. Sollen sie die Vagina ihrer Tochter oder Enkelin benennen, drohen sie fast zu ersticken. Auf diese Weise verdrängen wir unser Geschlecht schon von Kindesbeinen an in die Nichtexistenz. Und die Benennung von Geschlechtsteilen ist nur eine von vielen Problemzonen, für die wir uns immer noch schämen. Cellulite, Dehnungsstreifen, als Mutter zu Hause bleiben wollen – die Liste ist endlos, die Lösung hingegen einfach: Sprecht über eure widersprüchlichen Emotionen, und unterstützt Euch gegenseitig!

4. Steh zu dir! Du trägst lieber Prada statt Achselhaar? Du willst nicht arbeiten und deine Kinder zu Hause betreuen? Du findest es geil, dich hochzuschlafen? Dann mach das. Feminismus definiert sich nicht über Körperbehaarung und verbietet dir nicht, Sex mit deinen Vorgesetzten zu haben. Du kannst bossy sein und trotzdem sexy, Mutter sein und trotzdem deine Träume verwirklichen. Feminismus gibt dir die Freiheit, zu dir zu stehen, sein zu können, wie du bist – ohne gesellschaftlich dafür bestraft zu werden.

5. Weibliche Endungen! Ich hasse das Gendern von Sprache. Wie das schon aussieht! Ich bin dafür, die nächsten 200 Jahre nur noch die weibliche Endung zu nutzen. Die männliche Endung hat erst einmal ausgedient.

Feministin bist du nicht nur für dich selbst, sondern auch für andere: So lange Männer und Frauen weltweit nicht die gleichen Rechte haben, werde ich mich Feministin nennen. Künstler Joseph Beuys sagt: "Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst bekommen wir eine, die wir nicht wollen." Ich muss diese Zukunft nicht mehr erfinden. Aber ich muss sie einfordern, um sie irgendwann leben zu können. Und ich bin mittendrin: Ich kritisiere meine Figur, während ich mehr Models in Kleidergröße 42 fordere. Mache den Löwenanteil an Familienarbeit und fordere Gleichberechtigung im Teilen der Hausarbeit. Wir sind Teil eines Systems, das sich schleppend ändert. Alles ist Work in progress. Ich bin eine Work-in-progress-Feministin.

Mein Ziel ist es, mich irgendwann nur noch Humanistin nennen zu können. Denn das würde bedeuten, dass es keine Un gerechtigkeiten zwischen Männern und Frauen, sondern "nur" noch zwischen Menschen gibt. Aber so lange Frauen weltweit nicht die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, nenne ich mich ab heute: aggressive Feministin. (Cesy Leonard, 30.9.2018)