Gustav Kuhn ist bis zur gerichtlichen Klärung der Vorwürfe von all seinen Funktionen bei den Festspielen Erl beurlaubt.

Foto: APA/EXPA/Johann Groder

Erl – Seit Monaten sieht sich der Gründungsintendant der Tiroler Klassikfestspiele in Erl, Gustav Kuhn, Vorwürfen des strukturellen Machtmissbrauchs und der sexuellen Belästigung ausgesetzt. Die zunächst anonym angeprangerten angeblichen Verfehlungen (es gilt die Unschuldsvermutung) wurden Ende Juli konkret, als sich fünf ehemals in Erl beschäftigte Künstlerinnen mit einem offenen Brief namentlich an die Öffentlichkeit wandten. Von "unerwünschten Küssen" und "Begrapschen" war unter anderem die Rede. Nach einer Krisensitzung des Erler Stiftungsvorstands, der sich aus den wichtigsten Geldgebern (Mäzen Hans Peter Haselsteiner, Bund und Land Tirol) zusammensetzt, stellte Kuhn seine Funktion als Intendant bis zur Klärung der Vorwürfe ruhend.

Während die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft noch laufen, zeigten sich am Samstag in einem weiteren offenen Brief nun auch acht ehemals in Erl beschäftigte Männer solidarisch mit den Frauen: In dem im Magazin "profil" veröffentlichen Schreiben erklärten sie, "übergriffiges Verhalten in vielerlei Hinsicht und strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und Männern" seitens Gustav Kuhn erlebt zu haben. Die Unterzeichneten, neben Musikern auch ein ehemaliger Chefbühnenbildner sowie der Marketing-Leiter zwischen 2011 und 2015, fordern eine Entlassung Kuhns. In "profil" schilderten außerdem betroffene Frauen exemplarisch und minutiös, wie Gustav Kuhn Druck ausgeübt haben soll, sich ihm mit der Aussicht auf berufliches Fortkommen auch körperlich anzunähern.

Foto: Offener Brief

Bühnenbildner Jan Hax Halama lässt den "Standard" wissen, er sehe es als eine "Pflichtübung", sich solidarisch zu zeigen, wenn durch "hastig beauftragte PR-Agenturen und durch Aussagen der Verantwortlichen selbst ein öffentliches Bild generiert werden soll, das neben dem unwürdigen Herabspielen der Geschehnisse die Täter-Opfer-Umkehr zum Ziel hat". Am Willen zur Aufklärung zweifelt Halama: "Wenn das Concertgebouw Orchester, die MET oder das Royal Philharmonic Orchestra London sich in der vorbildlichen Pflicht sehen, in ähnlichen Fällen umgehend und umfassend zu handeln, dauert es im "Privatkonstrukt" Festspiele Erl doch merklich länger und Verantwortung wird offensichtlich weniger umfassend begriffen."

Tatsächlich wurde Gustav Kuhn mit Verzögerung erst vor zehn Tagen (und wohl auf politischen Druck hin) auch von seiner Funktion als Dirigent bei den Festspielen vorerst entbunden. Im Erler Festspielhaus stand Kuhn am Sonntag dennoch am Dirigentenpult. Der 71-Jährige leitete ein Benefizkonzert für bedürftige Kinder, traditionell veranstaltet von der Concordia Gemeinnützige Privatstiftung. Vorstandsvorsitzender der Concordia ist Festspielpräsident Hans Peter Haselsteiner. Das Engagement Kuhns als Dirigent befand man für unproblematisch, da es sich um eine rein private Veranstaltung gehandelt habe, für die keine öffentlichen Mittel eingesetzt worden seien, wie es hieß. (Stefan Weiss, 30.9.2018)