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Über dem Quirinalspalast weht die EU-Fahne. Wie lange noch, fragen sich Beobachter wegen des europakritischen Kurses der italienischen Regierung.

Foto: Reuters/Tony Gentile

Wien – Italiens stellvertretender Regierungschef Luigi Di Maio hat der EU vorgeworfen, mit negativen Kommentaren über Italiens Haushaltspläne absichtlich für Unruhe an den Finanzmärkten zu sorgen. Einige europäische Institutionen legten es darauf an, "Terrorismus an den Märkten zu schaffen", sagte der Chef der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung am Montag.

Er verwies insbesondere auf Äußerungen von EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici. Dieser hatte gesagt, dass Italiens Budgetentwurf "offensichtlich" von den Vorgaben aus Brüssel abweiche und die Behörde prüfen werde, wie schwer die Regelverletzung sei und wie sie sich korrigieren lasse.

"Fehdenhandschuh hingeworfen"

"Wir haben dem alten Europa den Fehdehandschuh hingeworfen", sagte Europaminister Paolo Savona der Tageszeitung "Repubblica". Der 82-jährige Ökonom gilt als einer der geistigen Väter der neuen Finanzpolitik in Rom. "Jetzt müssen wir diesen Krieg gewinnen – denn zu einem Krieg wird das werden", erklärte Savona. Der Fehdehandschuh ist der Finanzplan, den Italiens Regierung am Freitag vorgestellt hat und der für die nächsten drei Jahre ein Budgetdefizit von 2,4 Prozent und eine deutliche Neuverschuldung vorsieht.

Eigentlich wären mit der EU-Kommission ein Defizit von 0,8 Prozent und ein schrittweiser Abbau der bereits horrend hohen Staatsschuld von 2.300 Milliarden Euro vereinbart gewesen. Mit der Neuverschuldung wollen die beiden Regierungspartner – die rechtsradikale Lega und die Protestbewegung Cinque Stelle – wenigstens einen Teil ihrer teuren Wahlversprechen einhalten: die Einführung eines Grundeinkommens, die Senkung des Pensionsalters sowie eine Steuersenkung. Es liegt auf der Hand, dass sich die EU-Kommission eine derartige Verletzung der Abmachungen nicht wird bieten lassen können.

Haushalt für Italiener

Doch das ficht die beiden Koalitionspartner nicht im Geringsten an: "Wenn die in Brüssel sagen, das gehe nicht, dann ist mir das so was von egal: Wir machen es trotzdem", erklärte Innenminister und Vizepremier Matteo Salvini von der Lega. Die neue Regierung sei nicht mehr "Sklave" der EU wie die linken Vorgängerregierungen: "Den Haushalt schreiben wir diesmal in Rom, und wir schreiben ihn für die Italiener. Das werden sie in Brüssel und Berlin kapieren müssen", sagte Salvini.

Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio frohlockte nach dem Budgetbeschluss.
Foto: Ansa/Alessandro Di Meo

Di Maio legte noch nach: "Jahrelang wurde der Staatshaushalt gegen die Bürger und für die maroden Banken gemacht. Jetzt erhöhen wir das Defizit, um den Schwächsten etwas zu geben."

Wahlkampfmunition

Ein Rüffel aus Brüssel oder gar ein Defizitverfahren wäre aus Sicht der Regierungspartner nicht nur verkraftbar, sondern geradezu erwünscht. Es böte den Populisten in Rom weitere vorzügliche Wahlkampfmunition gegen die verhassten "Eurobürokraten", die Italien ohnehin nur unterjochen wollten. Angesichts des europafeindlichen Windes, der derzeit durch den alten Kontinent weht, hoffen Lega und Cinque Stelle auf einen Sieg der Populisten bei der Europawahl im kommenden Mai. Eine neue, aus Nationalisten, Antisystemparteien und Rechtspopulisten bestehende EU-Kommission würde dann schon dafür sorgen, dass die bisherigen Stabilitätskriterien aufgeweicht oder gleich ganz über Bord geworfen werden.

Dass eine Erhöhung der Staatsschulden – unabhängig von der Reaktion der EU-Kommission – auf den Finanzmärkten zum Problem werden kann, scheint nicht groß zu kümmern. Am Freitag haben die Renditen der italienischen Staatsanleihen bereits markant angezogen; die Aktienkurse der einheimischen Banken, die rund 350 Milliarden Euro an Staatsschulden in ihren Büchern haben, sind abgestürzt.

"Italexit" in Diskussion

Die Schuldenquote werde nicht steigen, sondern sinken, erklärte der parteilose Finanzminister Giovanni Tria. Und wenn nicht, dann habe Europaminister Savona ja immer noch seinen "Plan B" in der Schublade: den "Italexit". Seine "praktische Anleitung zum Ausstieg aus dem Euro" hatte Savona 2015 veröffentlicht, was ihn bei der Regierungsbildung im Frühling das Amt des Finanzministers kostete, das Salvini für ihn vorgesehen hatte. Staatspräsident Sergio Mattarella hatte sein Veto gegen Savona eingelegt, weil er in dem Schlüsselministerium keinen erklärten Eurogegner haben wollte.

Die Wirtschaftsprofessorin Lucrezia Reichlin hielt es in einem Leitartikel im "Corriere della Sera" durchaus für möglich, dass die Regierung das Land – "bewusst oder unbewusst, aber auf jeden Fall sehr intransparent" – in einen Euroaustritt führe oder einen solchen zumindest in Kauf nehme. Die Banca d'Italia könnte dann unbeschränkt neue Lire drucken und dem Staat die Schulden abkaufen.

Reichlin ist keineswegs die einzige Beobachterin, die ein solches Szenario für denkbar hält, zumal Salvini ein Befürworter eines Euroaustritts ist. Savona erklärte am Wochenende sibyllinisch, dass Europa "krank" sei und man "etwas unternehmen" müsse. Auch ein guter Chirurg habe vor einem heiklen Eingriff immer einen Plan B zur Hand.

Euro-Finanzminister besorgt, Tria beruhigt

Die Euro-Finanzminister haben sich vor Beratungen am Montag in Luxemburg besorgt über Italiens Budgetpläne gezeigt. "Nach der Beurteilung, die sich derzeit ergibt, ist das nicht kompatibel mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt", sagte der für den Euro zuständige Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

Italiens Finanzminister Giovanni Tria bemühte sich, vor dem Treffen Brüssels Sorgen über die Budgetpläne zu zerstreuen. Er werde der EU-Kommission den Inhalt des Haushaltsentwurfs vorstellen, Italiens Schuldenberg werde 2019 sinken, versicherte er.

Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) sagte, er vertraue darauf, dass sich Tria mit einer vernünftigen Verhandlungsstrategie in Italien durchsetzt. "Wir haben in der Europäischen Union Regeln. Wir gehen davon aus, dass wir uns an Regeln halten", sagte Löger.

Nach der heftigen Kritik an den Budgetplänen verteidigte auch Italiens Premier Giuseppe Conte die im Entwurf seines Kabinetts enthaltenen Maßnahmen. "Wir haben die Weichen für ein ernsthaftes und mutiges Budget gestellt, das auf Wachstum und Stabilität der öffentlichen Finanzen achtet", erklärte Conte am Montag auf Facebook.

Auch Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire mahnt von Italien Disziplin ein. "Es gibt Regeln. Die sind gleich für alle Staaten", sagte er. Die Zukunft der Länder Europas sei eng verwoben. Und wenn alle ihr Bestes gäben, um die Budgetziele zu erreichen, würde die Eurozone dadurch gestärkt werden. Zunächst müsse man aber die Stellungnahme der EU-Kommission zum Haushaltsplan aus Rom abwarten. (Dominik Straub, APA, 1.10.2018)