Joseph John Thomson mit Kollegen (Vierter von links). Er enteckte das Elektron. Physik ohne Frauen und vor allem ohne Frauenförderungsprogramme – damit hätte zumindest der Physiker Alessandro Strumia kein Problem.

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Genf – Ausgerechnet vor einem vorwiegend weiblichen Publikum war es dem Wissenschafter Alessandro Strumia ein Anliegen, über die Diskriminierung von Männern in der Physik auszuholen. Wie die BBC berichtet, hat der Theoretische Physiker bei einem vom Europäischen Kernforschungszentrum (Cern) organisierten Workshop in Genf über das Geschlechterverhältnis in der Physik gesprochen.

"Die Physik wurde von Männern begründet, ohne Einladung", sagte Strumia in seiner Rede und spielte damit auf Frauenförderprogramme an, die er auch explizit kritisierte. Er selbst sei schon für einen Job "übersehen" worden, den eine Frau bekommen habe und für den er kompetenter gewesen wäre. Statt Männer für ihre Leistungen zu würdigen, würden sie für ihre Ideologie diskriminiert, beklagte Strumia die Lage seiner Geschlechtsgenossen.

Mehr zitiert, kompetenter?

Strumia präsentierte den bei seiner Rede anwesenden jungen Physikerinnen eine Untersuchung über Publikationen in einer Online-Bibliothek. Diese habe gezeigt, dass in der Physik Frauen nicht diskriminiert würden, doch "die Wahrheit spielt wohl keine Rolle", denn das alles komme von einem politischen Kampf außerhalb.

Frauen würden öfter eingestellt werden, obwohl die Forschung von Männern mehr zitiert werde – was die höhere Qualität der Publikationen von Männern beweise. Außerdem hob Strumia hervor, Frauen und Männer würden zu Beginn ihrer Karriere gleich oft zitiert werden, aber Männer im weiteren Verlauf ihrer Karriere öfter. Er sprach auch davon, dass es Männer nun einmal bevorzugen würden, mit "Dingen zu arbeiten", und "Frauen mit Menschen" – ein Unterschied, der zwischen Kindern vor jeglichem sozialen Einfluss schon bestehe. Zwar merkte Strumia selbstkritisch an, womöglich nicht mit allem recht zu haben, "aber die gegenteilige Annahme von völlig identischen Gehirnen ist Ideologie".

Cern distanziert sich

Die Physikerin Jessica Wade, die auch an dem Workshop teilnahm, beschreibt die von Strumia präsentieren "Studien" und "Beweise" als extrem vereinfacht und Ideen entsprungen, die schon lange verrufen seien. Bei dem Workshop hätten sich Physiker und Physikerinnen getroffen, um Ideen zu entwickeln, wie man mehr Frauen in diese Fachrichtung bekomme, "und dann kommt dieser Mann und sagt all dieses schreckliche Zeug". Sie kritisierte auch das Cern für die Einladung Strumias, "eine Organisation, die sonst viel für Diversität in der Forschung tut".

Das Cern distanzierte sich auf seiner Website prompt von den Darstellungen des Cern-Gastforschers. Seine Präsentation sei "äußerst beleidigend" gewesen, hieß in einer ersten Reaktion der Europäische Organisation für Kernforschung, die seit 2016 von der italienischen Teilchenphysikerin Fabiola Gianotti geleitet wird.

Das Cern hat am Montag auch bekanntgeben, dass Alessandro Strumia suspendiert wurde. Grund dafür dürfte gewesen sein, dass der Physiker bei seinem Vortrag auf einer Folie auch die Mitglieder einer Berufungskommission namentlich nannte – sowie die Namen der Kandidatinnen. Solche Veröffentlichungen in diesem Kontext verstoßen gegen die Verhaltensrichtlinien des Cern, weshalb auch die entsprechenden Unterlagen des Forschers von der Website entfernt wurden. (red, 1.10.2018)