Die nostalgische Pixelromantik, die alte Spiele bei erwachsen gewordenen Spielerinnen und Spielern auslösen, hat zweifelsohne mehr mit dem verklärten Blick auf die Vergangenheit zu tun als mit der tatsächlichen Qualität einer mythischen goldenen Ära des Spielens. Es war vermutlich eher nicht so, dass damals, zur großen Zeit von 8-bit-, 16-bit- oder sonstiger "Spieleklassiker", die Spiele wirklich so gut oder gar viel besser waren als heute – nur waren die, die sehnsüchtig ebendas behaupten, damals eben noch jung, leichter begeisterungsfähig und vor allem mit so viel Tagesfreizeit ausgestattet, dass heute schwer ins Gewicht fallende Designentscheidungen nicht weiter negativ auffielen..

Nostalgie ist ein gutes Geschäft. Während nun der eine Teil der Retrofreunde die diversen "Classic"-Konsolen nachkauft oder sich per Emulator an die Originale der Frühzeit setzt, erfreut sich der andere an Spielen, die zwar so aussehen wie die großen Vorbilder aus den 90er- oder Nullerjahren, aber neu entwickelt wurden. Manchmal sogar von den alten Entwicklerhelden: Der Mega Man-Erfinder Keiji Inafune hat per Kickstarterfunding mit Mighty No 9 ebenso eine Neuauflage seiner Ideen präsentiert wie mit Yooka Laylee ehemalige Banjo Kazooie-Entwickler.

Retro, you’re brandnew

Abgesehen von der Wiederkehr alter Helden gibt es aber jede Menge "brandneuer" Retrospiele, wie sie damals, zur Zeit ihrer geistigen Vorbilder, niemals hätten existieren können: Zu groß, zu schön und zu komplex sind diese Hommagen – und ihre Qualität lässt einen fast vergessen, dass die Originalspiele damals unter Umständen weitaus weniger beeindruckend waren, als es ihre Epigonen heute sind. Hier sind zehn aktuelle Retrospiele, die besser sind, als ihre Vorbilder es je waren – nicht nur für Nostalgiker absolut empfehlenswert.

"Iconoclasts" (Windows, Mac, Linux, PS Vita, Playstation 4 und Switch)

Die 16-bit-Ästhetik der späten 90er-Jahre hat hübsche Spieleklassiker hervorgebracht, das vom schwedischen Pixelkünstler Joakim Sandberg in liebevoller, jahrelanger Kleinarbeit gestaltete Action-Adventure Iconoclasts übertrifft sie allerdings mühelos, ohne dass dies unbedingt nur auf technische Fortschritte zurückzuführen wäre. Eine überraschend ausgefeilte Hintergrundgeschichte, jede Menge Abwechslungsreichtum und vor allem das hübscheste Figuren- und Weltdesign, das man seit vielen, vielen Jahren in diesem Stil gesehen hat, machen Iconoclasts zum Fest.

Bifrost Entertainment

"Death's Gambit" (Windows und Playstation 4)

Ganz neu ist das schon heiß erwartete Death’s Gambit. Der im beeindruckenden Pixelstil gehaltene 2D-Action-Plattformer versucht nichts weniger, als das Erfolgsrezept der Dark Souls-Rollenspielreihe mit Einflüssen aus Shadow of the Colossus und einem Schuss Metroidvania zu etwas Neuem zu verbinden, und das gelingt überraschend gut. Trotz Pixelästhetik ist Death’s Gambit düster und dank gehobenem Schwierigkeitsgrad und gewaltiger Bosskämpfe eine spannende Herausforderung.

Adult Swim

"The Messenger" (Windows und Switch)

Warum nur eine vergangene Spiele-Ära durch sein Retrospiel würdigen und nicht gleich zwei? Das ganz neue The Messenger beginnt im 8-bit-Stil, der auch im Trailer bereits vorweggenommene Gag ist allerdings, dass sich der kleine Ninja früher oder später in der – relativen – Pracht der darauffolgenden 16bit-Ära behaupten muss. Großartiger Humor, tolles Gameplay, angenehmer Schwierigkeitsgrad und viele liebenswerte Momente machen The Messenger zur absolut gelungenen modernen Hommage an die Spielevergangenheit.

Sabotage

"DUSK" (Windows Early Access)

So schön geradlinig, rasant und tight wie in Quake hat es vorher und nachher in keinem First-Person-Shooter mehr geknallt – bis jetzt. DUSK nimmt alles, was aus der unvergessenen Frühzeit des "Egoshooters" noch frisch und unverbraucht ist und klotzt daraus ein unverschämt temporeiches und schnörkelloses Shooterhighlight, das einen erst daran erinnert, was spätere Generationen immer "realistischer" werdender FPS mindestens bis zum Relaunch von DOOM vergessen hatten. Ein Must-have für all jene, die damals beim Sprung zum modernen Shooter mit echten drei Dimensionen dabei waren – und für Spätergeborene auch.

GamingLyfe.com

"Owlboy" (Windows, Mac, Linux, Playstation 4, Xbox One und Switch)

Owlboy war zehn Jahre in Entwicklung und könnte geradewegs aus der Ära des Super Nintendo stammen: Handgemalte 2D-Grafik, eine riesige, charmante Welt im Metroidvania-Stil und die altbekannten Dialoge im Sprechblasenformat lassen ebenso wie eine fast 1:1 aus dieser goldenen Vergangenheit übernommene Steuerung bei Spieleveteranen lebhafte Erinnerungen an die frühen Neunzigerjahre wach werden. Statt in klassischer Plattform-Tradition springend unterwegs zu sein, fliegt der Eulenjunge Otus allerdings die meiste Zeit elegant durch eine wirklich außerordentlich hübsche 2D-Welt mit liebevoll gestalteten Figuren und Gegnern. Im Unterschied zu den meisten anderen Spielen mit Retro-Appeal ist Owlboy übrigens keine "klassisch" harte Skills-Probe für Retro-Masochisten.

D-Pad Studio

"La-Mulana 2" (Windows und Mac)

La-Mulana war ein absolutes Kultspiel, auch der vor kurzem erschienene Teil zwei ist ein Geheimtipp für Freunde komplexer Action-Plattformer, die gern tüfteln – denn Markenzeichen der Serie ist, dass sie Bildschirm für Bildschirm Rätsel aufgibt, die den Namen verdienen und sich oft auch erst viel später erschießen, wenn im riesigen Metroidvania die richtigen Schlüsse gezogen wurden. La-Mulana 2 ist so gesehen ein richtiges Abenteuer, das seine Spielerinnen und Spieler ohne viel Handhalten auf eine Reise schickt – eine extraharte Nuss für neugierige Entdecker mit Forschergeist.

256nigoro

"Doorkickers: Action Squad" (Windows)

Das ganz neu erschienene Doorkickers: Action Squad mag auf den ersten Blick aussehen wie das inzwischen zum Retrokultklassiker gereifte Broforce, doch der humorvolle "Polizeisimulator", in dem es um die brachiale Erstürmung diverser Gebäude durch bis an die Zähne bewaffnete Spezialeinheiten geht, ist bei weitem taktischer geraten. Zur Hochform läuft der in Sachen Präsentation die Hochzeit der 8bit-Spiele abfeiernde Arcade-Spaß im Multiplayer auf. Dank verschiedener Spielerklassen und Unlocks ist für längeren Spielspaß gesorgt.

KillHouse Games

"The Darkside Detective" (Windows, Mac und Linux)

Noch einmal 8bit-Pixel, allerdings völlig anderes Genre: Darkside Detective ist klassisches Point&Click im hübschen Pixel-Look. Episodenformat und wirklich umwerfend lustiger schwarzer Humor machen das "Micro-Adventure" zum absolut unterhaltsamen Abenteuer ohne allzu heftige Herausforderungen, aber dafür mit viel Schmäh. Eine Fortsetzung der mysteriösen Geschehnisse um den Darkside Detective und seinen treuherzigen Kollegen sucht gerade auf Kickstarter nach Finanzierung.

Darkside Detective

"Hyper Light Drifter" (Windows, Mac, Linux, PS4, Xbox One und Switch)

Zugegeben, das umwerfend stylische Action-Adventure im Geiste der frühen Zeldas ist schon ein wenig älter, doch die brandneue Portierung auf Nintendo Switch erinnert an eines der gelungensten Spiele mit Retro-Charme aller Zeiten. Hyper Light Drifter ist ein herausforderndes, ohne Worte erzähltes Abenteuer, das den direkten Vergleich mit den ganz großen Vorbildern aus der Games-Geschichte absolut nicht scheuen muss. Eines der schönsten Pixelspiele aller Zeiten.

Heart Machine

"Underrail" (Windows)

Eine Hardcore-Empfehlung zum Schluss: Für Fans der klassischen isometrischen Fallout-Rollenspiele war der Wechsel der Serie zu Bethesda und 3D-Welt ein Sündenfall, der nie verwunden wurde. Das düster-dystopische Rollenspiel Underrail erfüllt somit jenen Nostalgikern, die auf ultrakomplexe isometrische SF-RPGs alter Schule schwören, einen Herzenswunsch. Dass moderne Komfort-Features wenig Platz finden und man sich im Fall auswegloser Situationen mit häufigen Laden behelfen muss, stört den wahren Enthusiasten weniger. Ein Geheimtipp für all jene, die’s gern so old-school wie möglich wollen. (Rainer Sigl, 06.10.2018)

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