Noch ist der Zutritt verboten. Am 10. November eröffnet das Haus der Geschichte seine Pforten.

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So viele Ausstellungen gleichzeitig wie eben jetzt zur Geschichte des Landes im 20. Jahrhundert gab es nie – entgegen der Warnung von Rudolf Burger in "Wozu Geschichte?": Versöhnung und Frieden in der Gemeinschaft sei nach Grauenhaftem nur möglich, wenn sich die Menschen darauf einigen, was war, zu vergessen. Daran hat sich die österreichische Gesellschaft nach dem Nationalsozialismus vier Jahrzehnte hindurch bis zum Streit um Kurt Waldheim auch einigermaßen gehalten. Die "Lebenslüge der Zweiten Republik" hieß das später.

Doch jetzt ist das halbwegs vorbei. Der Rückblick boomt, wobei die wichtigste Schau noch bevorsteht: Das Haus der Geschichte Österreich wird am 10. November in der Hofburg eröffnet. Vor 100 Jahren war erstmals davon die Rede, dann immer wieder in Abständen. Es blieb bei Absichten und vagen Planungen. Bis Kulturminister Josef Ostermayer zur allgemeinen Überraschung ernst machte, den Ort bestimmte und auch gleich das Eröffnungsdatum vorgab.

Die vorgesehene Ausstellungsfläche wurde allerdings von Ostermayers Nachfolger mehr als halbiert. Geblieben sind 800 Quadratmeter für 100 Jahre Republik. Das ist erbärmlich wenig. Und wie lange die Schau dort bleiben kann, ist ungewiss. Im Vertrag steht "temporäre Nutzung". Das Kunsthistorische Museum will dort einen griechischen Steinfries aufstellen, wofür die Statik um viel Geld adaptiert worden ist. Das HdGÖ könnte Panzer ausstellen. Mit einem Wort: alles offen.

Fahrlässiges Verhalten

Und das Ministerium schweigt. Über das Budget, über die Räume, über die Sammlung, über alles. Könnte es sein, dass Politiker einer jüngeren Generation fahrlässiges Verhalten als Machtdemonstration verstehen? Lernt man das jetzt so? Oder ist alles ganz anders? Könnte es sein, dass Minister Gernot Blümel an einem großen Plan arbeitet? Dass Helmut Kohl sein Vorbild ist, ein geschichtsbewusster gebildeter Konservativer, dem die Bundesrepublik das Haus der Geschichte in Bonn verdankt und die Initiative zur Gestaltung des Deutschen Historischen Museums in Berlin? So schreibt man sich selber in die Geschichte ein.

Für eine solche Absichtserklärung des Ministers gäbe es gleich einen geeigneten Anlass: am 3. und 4. Oktober gestaltet die Österreichische Akademie der Wissenschaften eine internationale Konferenz: "Das umkämpfte Museum – Zeitgeschichte zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung".

Der Titel deutet an, dass zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung ein Gegensatz bestehen könnte. Dahinter steht: Die "große Erzählung" wird heute in zeitgenössischen Geschichtsmuseen abgelehnt, ist zurzeit aus der Mode. Im HdGÖ findet sie dennoch statt in Form einer chronologischen 60 Meter langen Installation, in der die Geschichte der Republik anhand von Bildern erzählt wird: die Zeit im Bild, angelehnt an den Satz von Walter Benjamin: "Geschichte zerfällt in Bilder, nicht in Geschichten." Und diese Bilder werden in zugehörigen Kojen interpretiert.

Wandelbarer Sinn

Daneben gibt es die dekonstruktive Auflösung von Geschichte in Themen: Wirtschaft, Diktatur, österreichische Identität, gleiche Rechte (als Frage und Forderung). Aus diesen Themenblöcken ist vertieftes Verständnis zu gewinnen, aber wer in der Geschichte nicht recht sattelfest ist, dem kann die Chronologie helfen. Daher ist das Nebeneinander sinnvoll.

Dazu kommt – ein Problem jeder denkbaren Darstellungsform -, dass widerspruchsfreie Deutungen nicht möglich sind. Dollfuß als "Märtyrer": stimmt. Dollfuß als "Arbeitermörder": stimmt. Es hat lange genug gedauert, bis die ÖVP zustimmen konnte, dass die Regierung Dollfuß eine Diktatur war. Wenn wir Geschichte als "Sinngebung des Sinnlosen" (Theodor Lessing) begreifen, dann heißt das: Wir sind es, die ihr Sinn geben. Den unseren. Dieser Sinn ist daher wandelbar, von Zeit zu Zeit starken Veränderungen unterworfen – je nachdem, wonach einer Gesellschaft gerade der Sinn steht.

Diskussionsforum

Darum ist gut und richtig, dass sich das HdGÖ als Diskussionsforum versteht. Hier können und sollen im Lichte der europäischen Geschichte die zunehmenden autoritären Tendenzen diskutiert werden, die heute mit ihrer antipluralistischen Aggressivität nicht nur in Österreich, sondern in der gesamten EU die Demokratie als Grundprinzip unseres Zusammenlebens bedrohen.

Und wir könnten dabei auch lernen, wie wir Geschichte missverstehen. Indem wir zum Beispiel beim Begriff "Nationalsozialismus" zuallererst an Auschwitz denken, an das entsetzliche Ende, und nicht auch an den Anfang. Wenn wir aus der Geschichte von Diktaturen etwas lernen wollen, dann müssen wir darauf schauen, wie sie begonnen haben. Mit Auschwitz ist nichts vergleichbar, mit 1933 dies und jenes. Hier liegen wichtige Aufgaben für das HdGÖ als Diskussionsforum.

2017 hat ein kleines Team begonnen, dieses Haus auf einer Baustelle zu gestalten. In anderthalb Jahren wurde Staunenswertes geleistet. Dennoch haftet dem Ganzen – obwohl es jetzt einmal fertig wird – etwas Vorläufiges an. Das ist auch gut so. Es handelt sich um ein Work in Progress. Wer mehr erwartet, versteht zu wenig. (Peter Huemer, 1.10.2018)