Am Jahrestag des Referendums wurde – hier in Barcelona – wieder für die Unabhängigkeit demonstriert.

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Am gestrigen Jahrestag des Referendums vom 1. Oktober 2017 machte die katalanische Unabhängigkeitsbewegung erneut mobil. Überall in der nordostspanischen Region wurden Straßen und Bahnverbindungen blockiert. In Girona besetzten Aktivisten die Gleise des Hochgeschwindigkeitszugs, der Spanien mit Frankreich verbindet. Auch der Verkehr auf der Autobahn AP-7 nahe der Grenze wurde zeitweise unterbrochen. Die Studenten streikten. Dazu aufgerufen hatten die "Komitees zur Verteidigung der Republik" (CDR), die vor einem Jahr die von Madrid verbotene Abstimmung über die Loslösung von Spanien maßgeblich organisiert hatten.

Am Referendum hatten 2017 trotz Verbots und polizeilicher Repression, die knapp hunderte Verletzte zur Folge hatte, 43 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. 90 Prozent davon sprachen sich für die Loslösung von Spanien aus. Keine vier Wochen später verkündete der damalige katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont im Parlament die "katalanische Republik". Madrid löste daraufhin seine Regierung auf und stellte Katalonien für mehrere Monate unter Zwangsverwaltung. Neun Politiker und Aktivisten sitzen seither im Gefängnis, sieben sind im Exil – darunter Puigdemont selbst. Allen wird "Rebellion", "Aufstand" sowie "Veruntreuung öffentlicher Gelder" vorgeworfen. Insgesamt stehen darauf bis zu 55 Jahre Haft. Die Hauptverhandlung soll im Jänner beginnen, das Urteil wird für den Frühsommer erwartet. Gegen 2000 Aktivisten, die in den Wahllokalen arbeiteten, wird ermittelt.

"Wir werden nicht vergessen"

Gestern, Montag versammelten sich Politiker der katalanischen Regionalregierung vor dem Wahllokal, das die Polizei vor einem Jahr gestürmt hatte, um Puigdemont an der Stimmabgabe zu hindern. Eine Gruppe von Studenten trug ein Transparent mit dem Motto: "Wir werden nicht vergessen, wir werden nicht vergeben."

Doch die erneuten massiven Proteste können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unabhängigkeitsbewegung längst nicht mehr so einheitlich agiert wie vor einem Jahr. Die Linie verläuft zwischen Puigdemont und seinem Bündnis "Gemeinsam für Katalonien" (JxCat) auf der einen und dem inhaftierten ehemaligen Vize-Ministerpräsidenten Oriol Junqueras und seiner Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) auf der anderen Seite. Die beiden Parteien unterstützen zwar die Regierung des Puigdemont-Vertrauten Quim Torra, sie streiten sich aber um die Vorherrschaft in der Unabhängigkeitsbewegung.

Puigdemont und Torra haben derweil eine neue Bewegung mit dem Namen "Nationaler Aufruf für die Republik" ins Leben gerufen. 50.000 Menschen haben sich seit Juli eingeschrieben. Die Bewegung sei weder "links noch rechts", sondern für alle offen, die wollen, dass die "katalanische Republik" Realität wird. Der "Aufruf" will bei den Kommunalwahlen und wohl auch zu den Europawahlen im kommenden Mai antreten und erreichen, dass die einzelnen Parteien auf eine eigene Kandidatur verzichten.

Wenig Gemeinsamkeiten

Doch Junqueras ist dafür nicht zu haben. Er kündigte am Samstag per Brief aus der Haft an, bei den Europawahlen die Liste der ERC höchstpersönlich anführen zu wollen. "Für mich ist der beste Weg jener, der es erlaubt, mehr Wähler für die Unabhängigkeitsbewegung zu gewinnen, indem wir koordiniert im jeweiligen politischen Umfeld arbeiten."

Die Umfragen sehen seine ERC vor Puigdemonts Option, wie immer sie auch heißen mag. Doch das war auch im Dezember so, und Puigdemont setzte sich letztendlich gegen Junqueras durch, der auch damals auf eine eigene Kandidatur seiner ERC bestanden hatte. (Reiner Wandler, 1.10.2018)