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Foto: dpa-Zentralbild/Peter Endig

Wie funktioniert ein Kondom? Ist die Pille schädlich für mich? Warum tut die Menstruation weh? Und wie alt darf ich beim ersten Mal sein? Diese Fragen bekommt unsere Gesprächspartnerin oft zu hören. Sie ist ausgebildete Sexualpädagogin. Nach elf Jahren im Kundenservice wechselte die Vorarlbergerin in die Behindertenbetreuung, wo sie derzeit 25 Stunden die Woche arbeitet. Den Rest der Woche organisiert sie Aufklärungsunterricht oder steht selbst vor Jugendlichen in der Klasse. Die 35-Jährige betreibt einen eigenen Verein, der über Sexualität aufklärt. Schon früher haben ihre Freunde immer bei ihr Rat gesucht in Sachen Sexualität, Beziehung und Verhütung, erzählt sie.

STANDARD: Was mögen Sie an Ihrem Beruf?

Antwort: Den direkten Kontakt mit unterschiedlichen Menschen. Ich habe mit Schülern vom Privatgymnasium bis zur Sonderschule zu tun. Normalerweise arbeite ich mit getrennten Jungs- und Mädchengruppen und mache Aufklärungsarbeit, weil es zum Standardprogramm einer vierten Klasse gehört. Manchmal gibt es aber auch einen Anlassfall, weil es zum Beispiel sexuellen Missbrauch unter den Schülern gab. Wichtig ist hier, dass ich mit den Jugendlichen auf einer Ebene bin, dass eine vertrauliche Atmosphäre entsteht. Deshalb ist Sexualpädagogik auch Baucharbeit. Jede Gruppe ist anders, ich muss mich an sie anpassen, wissen, was die Jugendlichen brauchen. Dann kommt es auch mal vor, dass sich jemand vor der Klasse als homosexuell oder Transperson outet.

STANDARD: Was würden Sie an Ihrem Beruf ändern, wenn Sie könnten?

Antwort: An meinem Beruf nichts, an den Strukturen schon. Es gibt einen Erlass, der Schulen dazu verpflichtet, Sexualpädagogik anzubieten. Trotzdem ist guter Aufklärungsunterricht Glückssache – sofern er überhaupt angeboten wird. Man kann einen engagierten Lehrer haben, oder es übernimmt der Bio- oder Religionslehrer. Und es gibt Schulen, die externe Sexualpädagogen wie mich einladen. Hier ist allerdings das Problem, dass es sehr viele Anbieter gibt, aber kein Register vertrauenswürdiger Anbieter. Jeder darf sich Sexualpädagoge nennen, das ist keine geschützte Berufsbezeichnung mit einem festgelegten Curriculum und Prüfungen.

Und: Sexualpädagogik wäre viel einfacher, wenn die Bio-Bücher auf dem aktuellen Stand wären und sie im Lehrplan nicht so stiefmütterlich behandelt werden würde. Bevor ich loslege, frage ich die Schüler und die Lehrer, was sie bisher schon an Stoff gemacht haben, und häufig ist es so, dass am Ende des Schuljahres drei Stunden dafür vorgesehen sind. Ich gebe nicht den Biologielehrern die Schuld, die sind oft nicht dafür ausgestattet, haben Zeitdruck, die Schüleranzahl ist hoch, und die Schulen haben nicht einmal einen zweiten Raum zur Verfügung, um die Gruppe zu teilen und geschlechtsspezifische Fragen zu klären. Geschweige denn, dass dafür Geld zur Verfügung steht.

STANDARD: Was sagen andere zu Ihrem Beruf?

Antwort: Es kommt darauf an, wer die andere Person ist. Leute, die wissen, was Pädagogik und was Sexualpädagogik ist, finden das interessant und fragen zum Beispiel, was die Schüler wissen wollen. Und die, die es nicht wissen, glauben, das ist so etwas wie Sexualberatung oder Sexualtherapie, und sagen dann, dass sie gerne mal vorbeikommen würden. Es gibt kein Mainstreamwissen, was Sexualpädagogik ist – vielleicht auch, weil es in den Schulen Sexualaufklärung genannt wird.

STANDARD: Wie gelingt es Ihnen, Arbeit und Privatleben zu vereinbaren?

Antwort: Was den organisatorischen Teil angeht – ich habe ein Kind –, ist ein Netzwerk unheimlich wichtig. Auch auf der psychischen Ebene: Ich bin keine, die sagt, man muss Arbeit und Privatleben stark voneinander abgrenzen; sondern eine, die sagt, dass ich als Mensch in der Klasse stehe, das aber nicht mein Leben bestimmt. Wenn die Jugendlichen etwas sagen, dann macht das ja was mit mir, das kann ich nicht abstreiten – aber es zermartert mich nicht. Und wenn es mich beschäftigt, dann setze ich auf mein Netzwerk: Kollegen, die auch im Sozialbereich arbeiten und die ich dann anrufen kann.

STANDARD: Würden Sie auch arbeiten, wenn Sie finanziell ausgesorgt hätten?

Antwort: Ja, natürlich. Wenn ich finanziell komplett ausgestattet wäre und mein Leben so leben könnte, wie ich das gerne hätte, würde ich trotzdem beide Berufe – die Sexualpädagogik und die Behindertenbetreuung – weitermachen, vielleicht nicht in diesem Stundenausmaß. Denn ich nehme so viel mit, lerne so viel. Viele Leute glauben mir nicht, dass ich 35 bin, weil ich so viel über Jugendkultur weiß – das, was ich davon verstehe, haben mir die Jugendlichen gezeigt. (Selina Thaler, 13.12.2018)