Stefano kocht, Francesca serviert, gemeinsam machen sie das Materia – ein sehr erfreuliches Ristorante im Achten.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Patelli Bottoncini ist mit Burrata gefüllte Pasta, die puristisch in Paradeissauce badet.

Foto: Gerhard Wasserbauer

Stefano Patelli hat mit hochdekorierten Köchen Italiens gearbeitet, darüber aber seine Nonna nicht vergessen. Die Oma aus den Abruzzen, die über 30 Jahre einen römischen Patrizierhaushalt bekocht hat, hat ihn kochen gelehrt. Sie hat ihm die Liebe zum Essen eingeflößt und die Ehrfurcht fürs Produkt ebenso.

Heute hängt das Foto der zierlichen Dame in der Küche eines kleinen Restaurants in der Josefstadt. Patelli und seine Lebensgefährtin Francesca De Rossi haben die frühere Speisekammer von Koch Roman Steger übernommen und vor wenigen Wochen als Materia neu aufgesperrt.

Stefano ist halber Österreicher, der in Italien aufgewachsen ist, Francesca unverdünnte Römerin und eigentlich Dramaturgin und Schriftstellerin, die daheim renommierte Theaterpreise gewonnen hat. Die Situation der italienischen Bühnen ist schwierig, Francesca lernt seit Monaten Deutsch. Einstweilen wechselt sie im Service noch ins Englische oder bleibt nach Möglichkeit bei der Muttersprache, die nicht wenige Wiener heiß lieben – so sehr, dass sie sich gerade im Ristorante nur zu gern an ihr vergehen.

Manchmal auch kühn

"Materia, das ist einerseits die Materie, die Erde und die Produkte, die aus ihr entstehen und mit denen wir arbeiten", erklärt Francesca, "aber es enthält auch das lateinische Mater, die Mutter, und damit den Ursprung, aus dem wir kommen und der den Ausgangspunkt unserer Reise durch die Welt darstellt."

Die Küche Stefano Patellis soll man sich auch so vorstellen: Die Nonna ist der Ursprung, ihre Präsenz ist allgegenwärtig. Aber nicht in jedem Gericht gleichermaßen – während einige Gänge fest im Kanon der klassischen Küchentradition verankert sind, erlaubt sich Patelli bei anderen den einen oder anderen Umweg, manchmal auch richtig kühne Kombinationen.

Carne Cruda vom Fassone-Rind zum Beispiel, von Hand geschnitten, mit nichts als Salz, Olivenöl und Pfeffer angemacht, ist grandioses, rohes Fleisch in Reinform. Patelli legt knackig gebratene Eierschwammerln darauf und setzt ein paar Tupfer hochkonzentrierter Salsa tonnata dazu, die vom Aroma guten Tunfischs und noch viel besserer Sardellen übergeht – pure, auf die Essenz fokussierte Küche.

Erschütternd gut

Bei Bucatini all'amatriciana, einem der bekanntesten Gerichte der Abruzzen, ist hingegen religiöse Darbietung der Tradition das Thema: Der Speck, ganz zart und knusprig gebraten, ist Guanciale aus der Schweinebacke, original aus Amatrice, der namensgebenden Stadt in den Bergen, die 2016 von einem schweren Erdbeben erschüttert wurde. Die Pasta ist kraftvoll im Biss, das Sugo pur auf die Qualität der Paradeiser fokussiert – so gut kann diese simple Küche nur schmecken, wenn alles stimmt.

Noch besser: Parmigiana di Melanzane aus knusprig schmelzigen Auberginen, à la minute zusammengefügt, mit lange Fäden ziehender Mozzarella und viel frischem Basilikum, in einer luftigen Pecorinocreme serviert – andächtige Glückseligkeit bei Tisch.

Dann wieder formt Patelli Bottoncini (siehe Bild), mit Burrata gefüllte Pasta, badet sie puristisch in Paradeissauce, setzt aber zwei rohe, vor süßer Meereslust berstende Mazara-Garnelen aus sizilianischem Wildfang oben drauf: Würde der Nonna nie einfallen, fährt aber unheimlich gut.

Oder er führt luxuriöses Rückenfilet vom Stockfisch zu blätternder Glasigkeit und gibt nichts als eine zarte Creme von gegrillten Paprikaschoten dazu – vollkommen, reduziert.

Der Rahmen für diese außerordentliche Küche ist ein bescheidenes Souterrainlokal, die Preise sind es aber ebenso. Ein bissel Zeit muss man sich nehmen: Einstweilen werken die beiden noch ganz allein. (Severin Corti, RONDO, 5.10.2018)

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