"Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft."

Astrid Séville. C. H. Beck, 192 Seiten

Foto: C.H.Beck

Wenn der Aufstieg der extremen Rechten in Europa und ihrer parlamentarischen Ableger diskutiert wird, ist meist von den Formen oder den Inhalten ihrer Politik die Rede. Aber das ist immer auch etwas schwierig, und zwar deshalb, weil es aufgrund des Phänomens der "gefährlichen Nähe" oft Ähnlichkeiten gibt. Nicht nur haben sie Aktionsformen und Rhetorik linker Bewegungen übernommen, auch inhaltlich lässt sich keineswegs scharf zwischen ihnen und den "akzeptablen" Parteien und Bewegungen unterscheiden, was man daran sieht, wie leicht große Bereiche ihrer Agenda in den normalen Diskurs überwechseln konnten.

Deshalb möchte ich das aktuelle Buch "Der Sound der Macht" von Astrid Séville empfehlen. In ihrer Analyse des Gesamtschlamassels fokussiert sie auf ebendiesen von ihr so genannten "Sound der Macht". Damit gemeint sind weniger konkrete Inhalte und Aktionsformen, als vielmehr die Sprache und die Gedankenwelten, in denen sie geäußert werden. Anhand von vier rhetorischen Formeln geht sie den Entwicklungen auf den Grund, die dazu geführt haben, dass "autoritäre Nationaldemokraten" (wie die rechten Parteien nach einem Vorschlag von Wilhelm Heitmeyer besser genannt werden sollten, denn "Rechtspopulismus" sei verharmlosend) für so große Teile der Bevölkerung wieder so attraktiv geworden sind.

Aufregungsgesellschaft

Die erste rhetorische Formel ist die der "Alternativlosigkeit", die von Margaret Thatcher eingeführt und von Angela Merkel in anderer Form zum bestimmenden Faktor des Regierens gemacht wurde. Sie steht für eine Politikverständnis, das große Bereiche des Entscheidens der politischen Verhandlung entzieht. Die Unsitte, die eigene politische Meinung nicht mehr als Teil eines pluralistischen Aushandlungsverhältnisses zu präsentieren, sondern als einzig mögliche Option, ist tatsächlich der Sargnagel des Politischen – und macht natürlich ganz unmittelbar all jene attraktiv, die behaupten, dass sie doch eine Alternative hätten. Der Name dieser neuen Partei ist also wirklich Programm.

Das Bemerkenswerte an diesem "Sound" ist, dass er von allen Seiten geteilt wird. Wenn derzeit etwa ein Teil des Widerstands gegen die Rechten sich auf die "Wissenschaftlichkeit" ihrer Positionen bezieht, dann bewegen sie sich auch innerhalb des "Sounds der Alternativlosigkeit". Auch ein Slogan wie "Rassismus ist keine Meinung" gehört da hinein. Das Problem dabei ist, dass manche Dinge vielleicht ja tatsächlich alternativlos sind. Und in den ersten Jahren der Regierung Merkels war auch ein Großteil der Bevölkerung mit ihrer etwas einlullenden, beruhigenden Art ganz einverstanden, weil man den Eindruck hatte, sie mache schon das Beste aus dem, was möglich sei.

Parolen wie "Wir sind das Volk" gehören zum typischen Sprech der rechten und rechtsextremen politischen Bewegungen.
Foto: APA/AFP/JOHN MACDOUGALL

Doch genau diese Unaufgeregtheit ist jetzt eben das Einfallstor für alle, die sich eben doch aufregen wollen, worüber auch immer. Die Position der "Alternativlosigkeit" der eigenen Ansichten nützt eben nichts, wenn die Gegenseite das nicht einsieht. In der Politik geht es nicht um Wahrheit, sondern um Übereinkünfte; man muss in einer Demokratie prinzipiell jede Position pluralistisch verhandeln und kann nicht Wahrheiten verkünden. Ein wichtiger Punkt im Umgang mit der neuen Rechten ist es, wieder einen "Sound" in die politische Debatte zu bringen, der für abweichende Meinungen tolerant ist und die eigenen Ansichten immer als eine Alternative in einem Spektrum vieler andere möglicher Alternativen darzustellen. Nur dann ist es möglich, die tatsächlich wichtigen Grenzen zu ziehen: dort, wo es um Menschenrechte geht, zum Beispiel.

"Das muss man doch einmal sagen können ... "

Die zweite rhetorische Formel, die Séville untersucht, ist die, wo es ums "Hausaufgaben machen" geht. Sie prägt den gesamten Diskurs rund um die wirtschaftlichen Probleme Europas und des Euros und ist ebenfalls entpolitisierend, weil sie ein Framing setzt, das politische Konflikte "pädagogisiert". In diesem Rahmen ist es unmöglich, verschiedene ökonomische Konzepte zu diskutieren, und das schafft in den Köpfen bereits eine Hierarchie der Kulturen, die nur allzu leicht ins Rassistische gewendet werden kann.

Die dritte rhetorische Formel lautet "Wir sind das Volk" und beschäftigt sich mit der Frage, wie eine Partei, deren gesamtes Führungspersonal zur Elite gehört – sowohl vom Bildungsgrad als auch von den sozialen Hintergründen, etwa familiären, her –, sich zur Sprachführerin des Volks gegen die "Eliten" machen kann. Und wieso es der Linken eigentlich nicht gelingt, "populär" zu sein.

Die vierte rhetorische Formel schließlich betrachtet die Aufforderung, doch endlich "Mut zur Wahrheit" zu haben. Das äußert sich gerne als "Das muss man doch einmal sagen können" oder als "Ich bin kein Rassist, aber ..." Auch in diesem Kapitel zeigt Séville, dass diese rhetorische Formel keineswegs nur auf autoritäre Nationalradikale begrenzt ist, sondern ebenfalls in der etablierten Politik aufgegriffen wird – nur eben meist bloß als Floskel, als Willensbekundung, der dann aber eben gerade keine wirklichen Offenlegungen folgen.

Was begünstigt den Sound?

Mir hat an dem Buch nicht nur die Grundthese eingeleuchtet, sondern ich finde auch formal den Transfer von wissenschaftlichen Erkenntnissen zurück in den gesellschaftlichen Diskurs sehr gelungen. Séville schreibt gut lesbar und verständlich, ohne akademisierendes Brimborium, aber auch ohne deshalb ihre Thesen zu verflachen und auf notwendige Differenziertheit zu verzichten. Und sie hält trotz aller Wissenschaftlichkeit mit ihren eigenen Positionen nicht hinter dem Berg. Das ist sehr wohltuend, wie ich finde. Auch wenn ich ihr nicht in allem zustimme. Angela Merkel kommt bei ihr zu schlecht weg, wie ich finde, und ich fand es in Ordnung, das Gomringer-Gedicht zu entfernen, Séville nicht.

Auch teile ich nicht ganz Sévilles Vertrauen in die politische Institutionen des demokratischen Parlamentarismus. Ich denke, neben aller Wichtigkeit, über den "Sound der Macht" nachzudenken und ihn möglichst zu verändern, braucht es auch Debatten über die Strukturen und äußeren Mechanismen, die diese Art von "Sound" begünstigen. Es ist nicht nur die individuelle Schuld politischer Akteurinnen und Akteure, die zu diesen entpolitisierten rhetorischen Figuren geführt hat, sondern es liegt auch in der Logik der Dynamik des politischen Alltagsgeschäfts. Aber dazu müsste man dann vielleicht nochmal ein eigenes Buch schreiben. (Antje Schrupp, 4.10.2018)