Bild nicht mehr verfügbar.

"Die neue italienische Regierung setzt im Gegensatz zu ihren Vorgängern auf Konfrontation", erklärt Ökonom Darvas die Reaktionen auf den Finanzmärkten.

Foto: Reuters/Tony Gentile

Die Zeiten, in denen Analysten und Ökonomen gebannt und ungläubig Zinskurven anstarren, weil wieder einmal ein Euroland ins Trudeln geraten ist, sind wieder zurück. Italien ist am Dienstag an den Finanzmärkten unter Druck geraten. Die Situation ist zwar nicht direkt mit den Jahren 2011 bis 2013 vergleichbar, als Italien so hohe Zinsen für neue Kredite bezahlen musste, dass ernsthaft Zweifel aufkamen, wie lange Rom das doch durchhalten werde.

Doch die Aufschläge sind bemerkenswert. Innerhalb der vergangenen sechs Monate haben sich die Zinsen, die Italien seinen Gläubigern für zehnjährige Kredite bieten muss, beinahe verdoppelt. Am Dienstag gab es erneut einen deutlichen Ruck nach oben. An der Mailänder Börse dagegen ging es nach unten. Besonders italienische Banken mussten Kursverluste hinnehmen. Allein in den vergangenen sieben Tagen hat die Bank-Austria-Mutter Unicredit elf Prozent ihres Börsenwertes eingebüßt. Als Folge der Unruhe fiel selbst der Wert des Euro gegenüber dem US-Dollar auf ein Sechswochentief.

Doch woher rührt die Nervosität, und wie schlimm kann es noch kommen? Auf den ersten Blick erscheint die Aufregung übertrieben. Was war geschehen: Die italienische Regierung, gebildet aus der rechten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung, hatte sich vergangene Woche auf ein neues Budget für das Jahr 2019 geeinigt. Die Koalition will eine Steuerentlastung für Unternehmen finanzieren und ein Sozialprogramm für Arme.

Eine Kreditkarte für sozial Schwache

Sozial Schwache sollen eine Art Kreditkarte bekommen, mit der sie maximal 780 Euro in italienischen Geschäften ausgeben können, etwa für Lebensmittel und Kleider. Die Karte bekommen Pensionisten und Arbeitslose, sofern sie bereit sind, einen Job anzunehmen. Allein dieses Programm soll zehn Milliarden Euro im ersten Jahr kosten, sagte Italiens Vizepremier Luigi Di Maio.

Die Folge ist, dass das Defizit im Staatshaushalt 2019 ansteigen wird, und zwar laut den Berechnungen Roms auf 2,4 Prozent der Wirtschaftsleistung. In dem Finanzrahmen, den die italienische Vorgängerregierung mit der EU-Kommission vereinbarte, wurde ein Defizit von 0,8 Prozent für das kommende Jahr vereinbart. Die EU-Kommission kritisierte prompt, dass Italien die Abmachung ignoriere.

Allerdings ist niemand davon ausgegangen, dass Italien diesen Wert tatsächlich erreicht – selbst die Kommission nicht. Noch im Frühling hatte die Brüsseler Behörde ein Defizit von etwa 1,7 Prozent für das kommende Jahr erwartet. Die Italien-Analysten der Investmentbank Barclays gingen wie die meisten übrigen Marktbeobachter von 1,9 Prozent aus. Die Abweichung zwischen Erwartung und neuer Realität betrug also gerade 0,5 Prozentpunkte. Und selbst wenn das Defizit im kommenden Jahr 2,4 Prozent erreichen sollte, wäre das immer noch niedriger als die Neuverschuldung Italiens in den vergangene Jahren.

Starke Reaktionen auf den Finanzmärkten

Dass die Reaktion an den Finanzmärkten dennoch so stark ausgefallen ist, hat laut Zsolt Darvas, Ökonom am Brüsseler Thinktank Bruegel, zwei Gründe. "Die neue italienische Regierung setzt im Gegensatz zu ihren Vorgängern auf Konfrontation", sagt Darvas. Auch unter dem sozialdemokratischen Premier Matteo Renzi und diversen Technokratenregierungen in Rom wurden Defizitziele stets verfehlt. Der Konflikt wurde aber nicht offen ausgetragen.

Die Regierungen in Rom suchten um immer neue Ausnahmen an, und irgendwie raufte man sich stets mit Brüssel zusammen. Das ist vorbei, die Regierung von Lega und Fünf-Sterne-Bewegung mache deutlich, dass sie sich nicht zurückhalten will, so Darvas.

Die Furcht vor einem verhärteten Konflikt innerhalb der Eurozone zwischen Rom einerseits und der EU-Kommission und Deutschland andererseits treibt auch Investoren um und verleitet die risikoscheueren dazu, italienische Anleihen zu verkaufen. Bei Anleihen laufen Kurse und Zinsen gegengleich: Wenn Investoren die Papiere loswerden, fallen die Kurse, und die Zinsen steigen. Genau das passiert nun.

Die Angst vor den Ratingagenturen

Barclays macht in einer Aussendung an seine Klienten auf noch einen Umstand aufmerksam: Ende Oktober werden die Ratingagenturen Moody's und S&P ihre neuen Bewertungen zu Italien abgeben. Wenn Italien die Vereinbarungen mit der Kommission aufkündigt, steigt laut Barclays die Wahrscheinlichkeit, dass die Kreditwürdigkeit des Landes abgestuft wird.

Diese ist aber ohnehin schon miserabel bewertet, und eine weitere Abstufung könnte Investoren erst recht dazu verleiten, italienische Staatsanleihen zu verkaufen.

Italiens notorisch hohe Verschuldung ist laut dem Ökonomen Darvas der zweite Grund für die aktuelle Unruhe. Der Schuldenstand des Staates liegt bei 132 Prozent der Wirtschaftsleistung, das ist der zweithöchste Wert in der Eurozone. Rom kann sich das nur leisten, wenn die Zinsen moderat sind. Wenn nun die Neuverschuldung von Tag zu Tag teurer wird, "dann kann diese Balance kippen", so Darvas.

Dabei darf nicht übersehen werden, dass die italienischen Regierungen der vergangenen Jahre eine vorsichtige Haushaltspolitik betrieben haben: Sieht man einmal von den Kreditzinsen ab, haben die Finanzminister in Rom zuletzt immer mehr Geld eingenommen als ausgegeben.

Sparpolitik hat Probleme verstärkt

"Diese Sparpolitik hat zu den wirtschaftlichen Problemen des Landes wesentlich beigetragen", sagt Thomas Fazi, der sich als Autor zahlreicher Bücher ("The Battle for Europe") mit den ökonomischen Herausforderungen des südeuropäischen Eurolandes beschäftigt. Die Ausgaben hochzuschrauben sei im Prinzip richtig, sagt er. Statt über die Höhe des Defizits zu streiten, sollte die Diskussion sich darum drehen, ob die angekündigten Maßnahmen in Rom die Wirtschaft wirklich beleben können, so Fazi.

Tatsächlich ist Italien das einzige Land neben Griechenland in der Eurozone, bei dem die Wirtschaftsleistung nach wie vor deutlich unter dem Vorkrisenniveau ist. Die Industrie des Landes schwächelt, die Produktion ist um gut 25 Prozent eingebrochen seit 2008. Ob höhere Ausgaben einen Ausweg aus dieser Situation bieten, darüber sind sich Experten nicht einig.

Ökonom Darvas sagt, dass Italien nicht mehr in der Krise feststecke, die Wirtschaft soll heuer um 1,5 Prozent wachsen, eine expansive Finanzpolitik sein nicht nötig.

Scharfe Kritik beim Finanzministertreffen

So sieht man es auch bei den EU-Partnern und der Kommission: Vizepräsident Valdis Dombrovskis übte am Dienstag beim EU-Finanzministertreffen in Luxemburg scharfe Kritik. Die Vorhaben in Rom stünden "nicht im Einklang mit dem Eurostabilitäts- und Wachstumspakt", sagte der Lette.

Er hoffe, dass Italien nicht mit einem Verlassen der Eurozone liebäugle. Der Verweis auf den Europakt ist ein Indiz dafür, gegen Italien Sanktionen zu verhängen, sollte die Regierung das höhere Defizitziel nicht zurücknehmen. Das kann die Kommission formell relativ leicht durch die strengeren Regeln, die infolge der Griechenland-Krise neu geschaffen wurden. (András Szigetvari, Thomas Mayer aus Straßburg, 2.10.2018)