Bild nicht mehr verfügbar.

Offene Homosexualität ist nicht selbstverständlich: Rund sechs Prozent der in der Studie Befragten waren "hidden homosexuals".

Foto: Andreea Alexandru, AP

München – Die Technische Universität München (TUM) hat 12.354 Männer im Alter von 45 Jahren eingeladen, um über deren Sexualleben zu sprechen. Die nun im Fachjournal "Sexual Medicine" präsentierten Ergebnisse machen einige Widersprüchlichkeiten erstmals statistisch fassbar: So zeigte sich etwa, dass rund zehn Prozent der homosexuellen Männer zum Zeitpunkt der Befragung in den letzten drei Monaten Sex mit einer Frau hatten. Rund sechs Prozent waren "hidden homosexuals", die sich selbst als homosexuell sahen, Sex aber nur mit Frauen hatten und häufig verheiratet waren.

Für ihre Studie befragte ein Team um Kathleen Herkommer von der Klinik für Urologie am TUM Universitätsklinikum über zwei Jahre hinweg 45-jährige Männer in Düsseldorf, Hannover, Heidelberg und München unter anderem über ihre erste sexuelle Erfahrung, ihre sexuelle Orientierung, die Anzahl ihrer Partnerinnen und Partner und ihre sexuellen Praktiken. Von den Befragten gaben 95,1 Prozent an, heterosexuell zu sein, 3,8 Prozent waren nach eigenen Angaben homosexuell und 1,1 Prozent bisexuell. Unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung machten die Männer ihre ersten sexuellen Erfahrungen im Alter von etwa 18 Jahren – mit Frauen.

Findungsphase bis 20

Erst im Durchschnitt zwei Jahre später hatten einige auch sexuelle Kontakte zu Männern und auch das unabhängig von ihrer in der Studie angegebenen Orientierung. Herkommer erklärt das so: "Es handelt sich dabei wohl um eine Findungsphase, in der sexuell Unterschiedliches ausprobiert wird."

Die Untersuchung beinhaltete auch Fragen zur Art des Geschlechtsverkehrs, den die Männer in den letzten drei Monaten hatten. Der vaginale Sex lag bei heterosexuellen Männern deutlich auf Platz 1 (98 Prozent), gefolgt von oralem Sex, den knapp 60 Prozent ausübten. Diese Form des Sexes wurde von homosexuellen Männern (91 Prozent) am häufigsten praktiziert, weitaus weniger häufig Analverkehr (64 Prozent).

Abweichung von der sexuellen Orientierung

Jeder zehnte homosexuelle Mann hatte in den letzten drei Monaten Geschlechtsverkehr mit Frauen. Ähnlichen Studien aus Australien, Belgien oder den USA hatten diese Abweichung von sexueller Orientierung und Sexualverhalten bisher nicht gefunden.

Bis zum 45. Lebensjahr hatte der Großteil (98 Prozent) der heterosexuellen Männer mit bis zu zehn unterschiedlichen Menschen Sex. Etwa ein Drittel der bisexuellen Männer und knapp die Hälfte der homosexuellen Männer waren sexuell deutlich aktiver: sie hatten mehr als 30 unterschiedliche Sexualpartner beziehungsweise -partnerinnen.

Im Alter von 45 waren über drei Viertel der heterosexuellen Männer zwischen fünf und zehn Jahren mit ihrer Partnerin zusammen, auch über die Hälfte der homo- und bisexuellen Männer war in einer festen und langjährigen Partnerschaft. Knapp 70 Prozent der heterosexuellen Männer waren verheiratet, 80 Prozent waren Vater geworden.

Homosexuelle Männer mit Ehefrau und Kindern

Auffällige Diskrepanzen zwischen der angegebenen sexuellen Orientierung und der gelebten Sexualität zeigten sich vor allem bei den Homosexuellen. "Wir haben eine Gruppe gefunden, die ihre Homosexualität zwar kennen, diese aber nicht ausleben, sondern ein rein heterosexuelles Leben führen und geführt haben – häufig mit Ehefrau und Kindern", sagt Herkommer. "Es gibt Hinweise darauf, dass eine solche Diskrepanz zu psychischen Problemen führen kann. Unsere Studie liefert wichtige Daten, um das Phänomen weiter zu erforschen." Andere Studien hätten bereits Hinweise darauf gegeben, dass es diese Gruppe gibt. Die Forscher konnten dies jetzt aber erstmals wissenschaftlich beweisen." Betroffen waren davon 5,9 Prozent der homosexuellen Männer. (red, 2.10.2018)