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Im russischen Samara ist an der Wand eines Wohngebäudes ein Kosmonaut abgebildet. Wie viele Menschen darin tatsächlich wohnen, ist schwer zu sagen.

Foto: REUTERS/Michael Dalder

Es war schon dunkler Abend, als der unscheinbare Kleinwagen mit den getönten Scheiben scharf vor der Bushaltestelle bremste. Heraus sprangen zwei sportlich gebaute Männer, die sich zielstrebig auf unsere kleine Gruppe zu bewegten. Die Männer waren in Zivil, doch die Kärtchen, die sie uns kurz und lässig vor die Nase hielten, wiesen sie als Polizeibeamte aus. "Ihre Dokumente bitte", wandten sie sich an meine beiden Begleiter, Roma und Alik. Mich ignorierten sie völlig. "Du siehst eben aus wie Wasja", erklärte mir Alik später.

Roma sieht nicht aus wie Wasja. Er ist Kaukasier. Erkennbar an den schwarzen, glatten Haaren, der langen Hakennase und – wenn er den Mund aufmacht – den harten Kehlkopflauten, die er der weichen russischen Sprache beimischt. Geboren wurde er in der russischen Teilrepublik Karatschai-Tscherkessien. Wunderschön, aber bettelarm. Und so kam Roma nach Moskau, um zu arbeiten. Nur eine Wohnung hatte der junge Mann nicht – und auch noch nicht genug Geld, selbst eine zu mieten.

Sein Onkel Alik, den ich noch aus gemeinsamen Uni-Tagen kannte, bat mich, seinen Neffen aufzunehmen. In der Wohnung, die ich zu der Zeit gemietet hatte, war noch ein Zimmer frei. Auch die Vermieterin war einverstanden, bekam sie doch dadurch einen Zuschuss. Nur eins wollte sie auf keinen Fall: Roma (und mich) bei sich anmelden. Hätte sie das getan, hätte sie nämlich Steuern zahlen müssen auf die Mieteinkünfte.

Das Problem für "Inogorodsi"

Für Roma ein echtes Problem: Denn Polizisten in der Hauptstadt machen regelrecht Jagd auf "Inogorodsi", also Auswärtige. Besonders scharf werden Gastarbeiter aus den zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken kontrolliert, aber auch russische Staatsbürger, vor allem aus dem Kaukasus. Können sie keine Registrierung vorweisen, drohen den Ausländern Ausweisung und Abschiebung, russischen Bürgern eine Geldstrafe, Kaukasiern dabei oft auch noch ein paar unangenehme Stunden auf dem Revier. Das Ganze lässt sich natürlich umgehen, wenn der Rubel in die Tasche der Ordnungshüter selbst rollt. Dann drücken sie ein Auge zu.

Auch die beiden Beamten in Zivil wollten die Registrierung sehen. Roma zeigte den irgendwo ergatterten Fahrschein eines Fernbusses, um zu beweisen, dass er erst vor zwei Tagen angekommen ist. Registrieren muss man sich innerhalb von drei Tagen, ein Busfahrschein ist also keine langfristige Lösung. Die hatte Alik parat: eine fiktive Registrierung. Gekauft um ein paar hundert Rubel, erspart sie den ständigen Ärger mit den Behörden – zumindest solange niemand genauer nachprüft.

Bis vor ein paar Jahren war das für Wohnungs-, ja selbst Zimmerbesitzer ein glänzendes Geschäft und versprach teilweise eine höhere Rendite als das tatsächliche Vermieten der Immobilie. Die Inhaber ließen gegen Gebühr – umgerechnet ein paar Euro im Monat – dutzende, manchmal sogar hunderte Auswärtige bei sich einschreiben, obwohl die tatsächlich ganz woanders wohnten.

Rekord in Jekaterinburg

Inzwischen schauen die Behörden etwas genauer hin. Immer öfter werden nun Missbrauchsfälle publik. Einen zweifelhaften Rekord dürfte dabei ein Wohnungsbesitzer in der Millionenstadt Jekaterinburg im Ural aufgestellt haben: Die Staatsanwaltschaft hat im Frühjahr ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem sich herausstellte, dass in seiner Wohnung rund 7.000 Menschen registriert waren.

Dass die Duma nun ein Gesetz berät, das die fiktive Unterbringung von Ausländern schärfer bestrafen soll, hat allerdings real wohl kaum irgendwelche Auswirkungen. Denn eigentlich ist dieser Betrug auch jetzt schon eine Straftat. Wichtiger wäre es tatsächlich, durchgehend zu kontrollieren. Dann wären solche Wohnungen mit mehreren tausend Bewohnern auch nicht möglich. Solange aber Beamte an dem Betrug mitverdienen, wird das Schema noch eine Weile Bestand haben. (André Ballin aus Moskau, 3.10.2018)