Der Disclaimer des Bloggers gleich zu Beginn: Nein, ein Kuhhorn, das der Bauer mit Mist füllt ist und am Acker vergräbt, ist nichts Schlimmes und eine Bergkristall-Wasserlösung, die er auf dem Feld verspritzt, fügt Erdäpfeln oder Futterklee keinen Schaden zu. Mir graust es indes vor den Pestiziden und der Massentierhaltung und der Überdüngung in der herkömmlichen, intensiven Landwirtschaft. Relativierender Whataboutism ist dennoch unangebracht. Wenn eine biologische Landwirtschaft "Magie" und "Vodoo" zu ihrer Bedingung erklärt, verliert sie ihre Berechtigung.

Zauberei mit "Präparaten"

Aber schön der Reihe nach: Biologisch-dynamische Landwirtschaft geht tatsächlich weiter als herkömmliche Bio-Landwirtschaft. Die Landwirte des Demeter-Verbands – das ist die bekannteste Marke des bio-dynamischen Landbaus – verpflichten sich zu Mischwirtschaft aus Ackerbau und Viehzucht, Futter darf nur in beschränktem Ausmaß zugekauft werden, die Rinder dürfen nicht enthornt werden. Die Auflagen betreffen gar die Familienbande. Wenn direkte Familienmitglieder eine konventionelle Landwirtschaft führen, benötigt der Demeter-Landwirt eine Ausnahmegenehmigung seines Verbands. 

Wesentlicher Bestandteil des bio-dynamischen Landbaus ist die Arbeit mit biologisch-dynamischen "Präparaten", "die, aus Heilpflanzen, Kuhmist, Bergkristall und Tierhüllen gewonnen, in kleinsten Entitäten angewandt, die Erde verlebendigen. Sie fördern die Entwicklung der Pflanzen und ihre Lebenskräfte, indem sie harmonisierend auf sie Einfluss nehmen", wie es auf der Demeter-Website heißt. "Präparate" können zum Beispiel Kuhhörner sein, die mit Kuhflade gefüllt sind. Im Ackerland verscharrt haben sie "ein halbes Jahr Zeit, kosmische Kräfte und die Energie der tierischen Hülle zu sammeln. Die wohlriechende, dunkel-erdige Masse aus den Hörnern wird dynamisiert."

Esoterische Hilfsmittel werden bei den Bio-Bauernhöfen von Demeter groß geschrieben.
Foto: REUTERS/Arnd Wiegmann

Die Analogien von Stofflichem und den ihr zugeschriebenen Wirkungen erscheinen fast kindlich naiv. Fein geriebener Bergkristall etwa – das Präparat Hornkies – fängt das Sonnenlicht ein, vermutlich weil er in der Sonne so schön schimmert. Das Gut Prerau in Niederösterreich, ein stattliches Anwesen, das sich dem bio-dynamischem Landbau verschrieben hat, legt auf seiner Webseite diesem "Präparat" die Latte hoch: "Seine Aufgaben liegen in der verstärkten Öffnung der Pflanze gegenüber den kosmischen Kräften, vor allem der Sonne aber auch den Gestirnen und deren Rhythmen."

Homöopathie für den Boden?

Demeter bezeichnet die Anwendung von "Präparaten" selbst als "Homöopathie für den Boden". Ob Rübe, Weizen und Mais ebenfalls mit dem Placeboeffekt reagieren, ist fraglich. Die Dosierung des Sonnenfängermehls ist jedenfalls dezent. Der Zulieferer "Präparatekiste" empfiehlt pro Hektar Ackerland vier Gramm Hornkies, aufgelöst in 35 Litern Wasser, aber nicht irgendwie.

Die Hersteller geben dem bio-dynamischen Landwirt präzise Anleitungen fürs Ritual: "Beim Rühren achten Sie darauf, dass Sie die 60 Minuten voll machen und zwischendrin nicht unterbrechen. Nehmen Sie einen Holzstab und rühren Sie recht schnell in eine Richtung, bis sich ein tiefer Trichter (Rührkrater) bildet. Dann stoppen Sie und kehren die Rührrichtung um, sodass es ordentlich sprudelt. So machen Sie das die gesamten 60 Minuten hindurch. Das ist nach einer Weile etwas anstrengend, hat aber auch etwas Meditatives."

Muskelkater in den Armen, besseres Aroma

Der bio-dynamische Landwirt fängt sich mit der ökologischen Vodoo-Rührzereminie – vor dem Verrühren in Plastikbehältnissen wird ausdrücklich abgeraten – vielleicht einen Muskelkater ein, nach Angaben des Präparateherstellers aber auch allerlei erquicklich Verwertbares: gesunde Pflanzen, höhere Erntemengen, Widerstand gegen Schädlinge und ein besseres Aroma. Die behaupteten Effekte sind recht handfest. Zur Kausalität schüttelt der Forschungsring – eine Demeter nahe stehende Einrichtung – eine etwas kühne Begründung aus dem Ärmel: "Das Wirkungsprinzip der Präparate besteht in der Anregung harmonisierender Lebensprozesse. Eine unmittelbare Nährstoffwirkung durch die Präparate liegt nicht vor. Die Präparate dienen somit der Selbstregulation biologischer Systeme."  

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Demeters Anchorman: Rudolf Steiner

Die bio-dynamische Landwirtschaft beruft sich auf die Lehren Rudolf Steiners (1861-1925). Steiner ist mit seiner "Anthroposophie" eine Art Habakuk für manch esoterischen Unfug der Gegenwart. Waldorfschulen setzen seine pädagogischen Konzepte um, Impfgegner berufen sich auf ihn, anthroposophische Alternativmediziner teilen seine euphemistische Freude an dem Fieber, das die Masern hervorruft. Steiners krude Fußnoten zur Rassentheorie wird von seinem Claqueuren gerne überhört. Es gibt anthroposophische Architekten und eine von Steiner inspirierte Christengemeinde. Steiner hatte weder mit Landwirtschaft noch mit Biologie etwas am Hut, seine acht Vorträge im Rahmen eines "Landwirtschaftlichen Kursus der geisteswissenschaftlichen Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft" bilden dennoch die Grundlage für das, was heute unter dem Biolabel Demeter am Markt ist und Kühen die Enthornung auf den Höfen erspart.  

Dabei geht es nicht nur um Tierliebe: "Die Kuh hat Hörner, um in sich hineinzusenden dasjenige, was astralisch-ätherisch gestalten soll, was da vordringen soll beim Hineinstreben bis in den Verdauungsorganismus, sodass viel Arbeit entsteht gerade durch die Strahlung, die von Hörnern und Klauen ausgeht, im Verdauungsorganismus." Weniger verschwurbelt liest sich das Credo einer nordhessischen bio-dynamischen Landwirtschaft zum Thema Kuhhorn: "Kühe mit Hörnern geben vollwertige Milch. Sie wird oft selbst von Allergikern vertragen."

Was wäre Biolandwirtschaft ohne exakte Wissenschaft?

Genug der Häme, bringen wir die Sache auf den Punkt: Demeterbauern haben offensichtlich ein Herz für die Umwelt, sie produzieren gute Milch, Fleisch ohne Hormonkeulen und knackige Karotten. Und das wäre auch so, wenn sie den Unfug mit den vergrabenen Hörnern und dem Verspritzen von Bergkristallwasser bleiben lassen. Wer als Konsument Bioprodukte kauft, vertraut der Wissenschaft. Weil Biochemiker und Mediziner den Nachweis erbringen, dass Lebensmittel ohne Pestizide dem Körper und der Umwelt gut tun, weil Forscher der Bodenkultur stringent belegen, dass biologische Landwirtschaft gegenüber überdüngten Böden ökologisch vorteilhaft ist und weil Volkswirte die positive Nachhaltigkeit von Ökolandwirtschaft für eine Gesellschaft glaubhaft argumentieren können.

Darum zahlen wir gerne ein wenig bis viel mehr für Bio-Produkte, auch wenn der Erdapfel ein wenig verschrumpelt ist. Ohne naturwissenschaftliche Beweisführung wäre Bio ein beliebiges Label wie jedes andere – und am Markt vermutlich fehl am Platz. Das Präparate-Vodoo der bio-dynamischen Landwirtschaft fällt der Biolandwirtschaft letztlich in den Rücken. Wer morgens beim Verrühren von "Präparaten" Unwissenschafltichkeit zum Prinzip seines Tuns erhebt, kann sich abends nicht wissenschaftlicher Beweisführung bedienen, um die Qualität seiner Produkte und die Vorteile biologischer Landwirtschaft zu untermauern. (Christian Kreil, 8.10.2018)

Die Bewertung der Stiftung Gurutest:

Esoterikfaktor: ★★★★★
Pseudomedizinfaktor: ☆☆☆☆☆
Verschwörerfaktor:☆☆☆☆☆
Rechtsaußenfaktor: ★☆☆☆☆
Marketinggeniefaktor: ★★★★☆ 

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