Die Antigene, die auf den roten Blutkörperchen sitzen, bestimmen nicht nur, ob man Blutgruppe A oder B hat. Das Antigen-Spektrum ist noch viel größer.

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In Ländern mit moderner medizinischer Versorgung kennen die meisten Menschen ihre Blutgruppe: A, B, AB oder 0. Gemeinsam mit dem Rhesusfaktor gehört das AB0-System zu den gebräuchlichsten Klassifizierungssystemen für menschliches Blut. Sie sind aber bei weitem nicht die einzigen: Die Körperflüssigkeit kann auch nach Kelly, Duffy, MN, Kidd und einer Reihe weiterer Systeme bestimmt werden.

Man könnte glauben, dass bei der Erlangung einer so grundlegenden Information wie der Blutgruppe kaum noch Optimierungspotenzial vorhanden ist. Doch so einfach ist die Sache nicht. In einer Reihe von Sonderfällen reichen die traditionellen Verfahren nicht aus. Dann werden aufwendige DNA-Methoden angewandt. Zu diesen etablierten Testsystemen könnte künftig noch ein weiteres kommen, das eine hohe Genauigkeit mit einer schnellen und einfachen Handhabung paart: Forscher am Austrian Centre of Industrial Biotechnology (Acib) in Graz arbeiten im EU-Projekt "SynBiocarb" gemeinsam mit 13 Partnern – darunter die TU Graz und die Wiener Boku – an einer Methode, die zu Biosensoren führen könnte, mit denen selbst komplexe Bluteigenschaften exakt bestimmbar würden. Unter Umständen könnte dann dafür ein einfacher Teststreifen reichen.

In einer im Fachjournal "ACS Chemical Biology" publizierten Studie, die das Acib gemeinsam mit den französischen Partnern vom Centre de Recherche sur les Macromolécules Végétales (Cermav) in Grenoble durchgeführt hat, haben die Forscher die Methode vorgestellt. Das Acib wird im Rahmen des Comet-Programms der Förderagentur FFG mit Mitteln des Wirtschafts- und des Infrastrukturministeriums sowie mit Landesmitteln aus Niederösterreich, Steiermark, Wien und Tirol unterstützt.

Antigene und Antikörper

Die erwähnten Blutgruppensysteme verweisen auf die Zusammensetzung der Oberfläche der Erythrozyten – der roten Blutkörperchen. Die hier vorhandenen Moleküle können als Antigene wirken, also Immunreaktionen und die Bildung von Antikörpern hervorrufen. Im AB0-System wird das Blut auf Basis ihrer Antigen-Merkmale in vier Gruppen eingeteilt: Wer Blutgruppe A hat, auf dessen roten Blutkörperchen sitzen Antigene des Typs A, die für die Produktion von Antikörpern gegen Typ B verantwortlich sind. Umgekehrt bilden Menschen mit Blutgruppe B Antikörper gegen den A-Typus. Blutgruppe 0 bildet Antikörper gegen A und B, Blutgruppe AB bildet keine Antikörper der beiden Typen, eben weil beide Antigene vorhanden sind. Treffen – etwa bei einer fehlerhaft durchgeführten Transfusion – A- und B-Typen aufeinander, reagieren Antigene und Antikörper, und es kommt zu Verklumpungen – was für den Patienten tödlich ausgehen kann.

Auf diesen Verklumpungen fußen auch die serologischen Tests – das gängige Mittel, um Blutgruppen zu bestimmen. Hier muss einer der Partner der Antigen-Antikörper-Reaktion bekannt sein. Bei der Bestimmung seltener Antigen-Varianten können die Labors ins Straucheln kommen. Dann kommen gewöhnlich DNA-Analysen zum Einsatz. Genauso werden bei "antikörpergefährdeten" Schwangerschaften die Genbestimmungen angewandt. Gibt es eine Immunantwort der Mutter auf das Blut des Kindes, kann das fatal sein.

Bei der Methode, an der nun Acib-Forscherin Birgit Wiltschi und ihre Kollegen arbeiten, steht die Entwicklung eines Rezeptors im Fokus, der die aus Zucker bestehende Oberflächenstruktur der Antigene erkennen kann. Derartige Rezeptoren gibt es bereits in der Natur: Sie heißen Lektine und übernehmen in so gut wie allen Organismen Aufgaben, bei denen es um die Interaktion mit Zuckermolekülen geht, erklärt Wiltschi. "Selbst die Befruchtung von Eizellen wird durch Lektine vermittelt."

Wie Perlen einer Kette

Für das Erkennen konkreter Antigene sind die natürlich vorkommenden Lektine aber zu unspezifisch. Deshalb verändern die Forscher die Moleküle leicht. "Als Protein ist Lektin aus den 20 immer gleichen Aminosäuren aufgebaut, die wie Perlen an einer Kette aneinandergereiht sind. Ihre Abfolge bestimmt sowohl die 3D-Struktur der Moleküle als auch ihre Funktion", erklärt die Forscherin. Werden nun einzelne Aminosäuren ausgetauscht, kann das große Wirkung entfalten. Wiltschi: "Wir haben beispielsweise in einem der Bausteine nur ein Atom verändert, und schon wurde der Zucker unterschiedlich erkannt, ohne aber die Funktionalität des Lektins zu stören."

Konkret wurden etwa mithilfe eines zellulären Produktionssystems Fluoratome in das Lektin eingebracht. Sie veränderten das Bindeprofil der Moleküle und die Affinität des Rezeptors zu jenen Zuckerstrukturen, die zu Antigenen der Blutgruppe A gehören.

Gelingen hier weitere Optimierungen, so hoffen die Wissenschafter, könnte letztendlich das gesamte Antigen-Spektrum mithilfe dieser Technologie spezifisch angesprochen werden. Ein Tropfen Blut auf einem Teststreifen würde reichen, um selbst seltene Bluttypen zu klassifizieren. (Alois Pumhösel, 6.10.2018)