Dass Natur- und Geisteswissenschaften in vielen Bereichen zusammenwirken und voneinander profitieren können, ist nichts Neues. Bei manchen Beispielen wird diese Relevanz jedoch besonders eindringlich vermittelt. Der Kanadier Vinh-Kim Nguyen ist Arzt und Anthropologe, er beschäftigt sich einerseits mit soziologischen Theorien rund um Biopolitik und ist andererseits für Ärzte ohne Grenzen im Einsatz, zuletzt drei Monate im Jemen. Er untersucht mitunter Zusammenhänge zwischen Antibiotikaresistenzen und Krieg. Nguyen sprach im Rahmen des Vienna Humanities Festival, veranstaltet vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), dem Wien-Museum und Time to Talk.

STANDARD: Lange Zeit lag Ihr Fokus thematisch auf HIV-Infektionen, insbesondere in Westafrika. Wie sind Sie zu Antibiotikaresistenzen im Mittleren Osten gekommen?

Nguyen: Durch einen ehemaligen Schüler von mir, Omar Dewachi, ein Iraker, der – ebenfalls als Anthropologe und Arzt – in Beirut arbeitet. Vor etwa zehn Jahren, als viele Menschen aus dem Irak in den Libanon gekommen waren, versorgte er Verwundete. Viele Patienten hatten unbehandelbare Infektionen, bei denen Antibiotika nichts bewirkten. Da wurde ich um Hilfe gebeten.

Ein dickes, fettes, besonders widerstandsfähiges Bakterium
Foto: Public Health Image Library

STANDARD: Um welche Erreger handelte es sich?

Nguyen: Ein Bakterium, das wir sehr häufig fanden, war das sogenannte Acinetobacter baumannii. Es ist relativ unbeweglich – ein sehr faules, fettes Bakterium, das etwa im Boden sitzt und Resistenzgene anderer Bakterien in sich aufnimmt. Es ist nicht sehr aggressiv, aber wenn Antibiotika verwendet werden, ist es oft das einzige, das überlebt. Schließlich kann es auf sein ganzes Archiv an gesammelten Resistenzgenen zurückgreifen. Es ist ein opportunistischer Organismus, der im Menschen nur Infektionen verursacht, wenn sie sehr krank oder schwer verletzt sind.

STANDARD: In diesem Fall also kein ganz ungewöhnlicher Fund.

Nguyen: In der Literatur fanden wir sogar viele Beschreibungen von amerikanischen Soldaten, die sich im Irak damit infiziert hatten. Daher wurde das Bakterium auch "Iraqibacter" genannt – eine problematische Bezeichnung, die impliziert, dass es ursprünglich aus dem Irak stammt, was nicht der Fall ist. Die Soldaten wurden medizinisch sehr gut versorgt und haben heftige Verletzungen überstanden, die zum Beispiel von Sprengfallen herrühren. Sie haben lange genug überlebt, um überhaupt erst solche Infektionen zu bekommen. Infolge eines Befalls kann sich der Zustand aber wieder verschlechtern bis hin zum Verlust von Gliedmaßen oder zum Tod.

STANDARD: Aber das Bakterium trat auch in der irakischen Bevölkerung häufiger auf.

Nguyen: Deshalb haben wir uns gefragt, ob das mit dem Krieg oder der Verwendung von Antibiotika bei der medizinischen Behandlung zu tun hat – oder mit anderen Umständen, etwa Umwelteinflüssen. Vielleicht waren die Erreger schon vor der Krankenstation resistent. Wir wissen aus den Veterinär- und Umweltwissenschaften, dass Antibiotika in die Umwelt gelangen, beispielsweise durch Abwässer oder wenn sie in der Viehzucht verwendet werden. Wenn im Zuge von Kriegen die Infrastruktur zerstört wird, kann das den Effekt verstärken. Und mit Antibiotika in der Umwelt werden Bakterien natürlich resistent, weil jene Stämme mit den passenden Resistenzgenen überleben und zur dominanten Population werden.

STANDARD: Das ist ja schon hierzulande problematisch.

Nguyen: Generell haben viele Patienten aus dem Irak davon gesprochen, dass der Krieg das Land und die Umwelt vergiftet habe. Es gibt viele Krebserkrankungen und Hinweise darauf, dass US-Amerikaner bei den Kämpfen in Falluja Uran benutzt haben. Unmengen an Waffenmaterial wurden benutzt, Gebäude gesprengt. In einigen Studien wurden Umweltproben aus Städten analysiert, und Straßenzüge, in denen kriegerische Auseinandersetzungen stattgefunden haben, wiesen mehr Schwermetalle auf.

STANDARD: Wie beeinflussen Schwermetalle potenzielle Krankheitserreger?

Nguyen: Wir haben entdeckt, dass Schwermetalle selbst Antibiotikaresistenzen entstehen lassen. Anders formuliert: Diejenigen Gene in Bakterien, die sie bei hoher Schwermetallbelastung schützen, erlauben ihnen gleichzeitig, dass sie Antibiotika standhalten können. Das ist also ein weiterer möglicher Verlauf der Resistenzbildung. Derzeit sind die Indizien noch nicht sehr verlässlich, das dokumentierte Auftreten hängt zeitlich noch zu stark mit dem Krieg zusammen. Wir versuchen nun herauszufinden, ob das Ganze schon vor den Kämpfen der Fall gewesen sein könnte. Aber es scheint ein neues Phänomen zu sein.

STANDARD: Eines, das auch andernorts zur Bedrohung werden kann?

Nguyen beim Humanities Festival in Wien mit IWM-Rektorin Shalini Randeria.
Foto: Kollektiv Fischka

Nguyen: Besonders beunruhigend ist daran Folgendes: Die Gene, die Antibiotikaresistenzen verursachen, breiten sich sehr schnell auf der ganzen Welt aus. Es treten an sich nur wenige Infektionen in westlichen Ländern, auch in Österreich, auf. Vor ein paar Jahren gab es in dem Spital in Montreal, in dem ich arbeite, einen Ausbruch, bei dem fünf Personen verstorben sind. Das ist keine große Zahl, aber relevant, und wir haben Hinweise darauf, dass A. baumannii eine wichtige epidemiologische Rolle spielt.

STANDARD: Wie sieht diese aus?

Nguyen: Durch das Archiv an resistenten Genen, die der Erreger von anderen Bakterien ansammelt, stellt er eine Art Reservoir in der Umwelt dar. Er kann diese Gene aber nicht nur aufnehmen, sondern auch abgeben – zum Beispiel an Bakterien, die sehr viel wahrscheinlicher Infektionen beim Menschen auslösen, etwa E. coli oder Pseudomonas.

STANDARD: Wie wird dagegen verfahren?

Nguyen: Generell heißt die Strategie in diesen Fällen "antibiotic stewardship", ein Programm zum rationalen Einsatz von Antibiotika. Sie sollten nicht bei jeder Erkältung verschrieben werden, sondern nur, wenn sie absolut notwendig sind. Es gilt, Antibiotika in der Landwirtschaft zu vermeiden. Das ist natürlich sehr kompliziert und arbeitet gegen Gewohnheiten, wirtschaftliche Interessen usw. Eine andere Herausforderung ist, dass das System in ärmeren Ländern noch schlechter läuft: Dort kauft man die Medikamente auf dem Schwarzmarkt, die regulären Varianten sind oft verunreinigt oder nachgemacht und fördern damit Resistenzen. Andererseits: Wie können wir Menschen in diesen Ländern vorschreiben, ihren Zugang zu Antibiotika einzuschränken, wenn doch primär wir das Problem verursacht haben? (Julia Sica, 4.10.2018)