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Stefan Schauhuber
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Foto: Martin Schauhuber
KOK-BORU KG
Stefan Schauhuber

Manas fliegt.

Die zwei Stars: Rustam Tynaliev (links) und Manas Niyazov (rechts).

Karte: Der Standard

Als Rustam Tynaliev die Ziege zum ersten Mal sieht, erzählen zwei nassrote Flecken im Gras von ihrem Schicksal. Ein alter Kirgise hat ihr Kopf und Hufe abgeschnitten. Tynaliev muss den Kadaver absegnen, so schreiben es die Regeln seines Sports vor. Zehn Minuten später sitzt er wieder auf seinem Pferd, der verstümmelte Ziegenkadaver liegt keine drei Meter entfernt auf dem staubigen Boden. Tynaliev, Kraftpaket, wettergegerbtes Gesicht, fokussierter Blick, will das Tier an sich reißen. Ein Usbeke stellt sich mitsamt Pferd in den Weg. Tynaliev bringt sein Ross in Stellung, holt mit der Reitgerte aus. Pferd kracht gegen Pferd. Willkommen in der Welt des Kok Boru!

Kok Boru ist der Nationalsport Kirgisistans. Zwei berittene Viererteams streiten um eine 30 bis 35 Kilo schwere Ziegenleiche und versuchen, diese in das gegnerische Tor, den Tay Kazan, zu werfen, also in einen etwa einen Meter hohen und zwei Meter breiten Betonring. Die Meisterschaft der Provinzteams wird vor zigtausenden Fans ausgespielt, die Spieler sind Superstars. Kirgisistan ist fern und weit. Schwer greifbar. Doch wer Kok Boru versteht, versteht das ganze Land.

Links: Auf diesem Kleinlaster wird der noch lebende "Spielball" herangekarrt.
Rechts: die Spuren der Schlachtung.
Foto: Schauhuber

Die Ziege aufzuheben ist mühsam. Hängt sich Tynaliev aus dem Sattel und greift nach dem Tier, kann er sein Pferd nicht kontrollieren. Für den Usbeken ist das der perfekte Zeitpunkt, seinen Konkurrenten wegzuschieben und selbst in Position zu kommen, das gegenseitige Belauern ist ein geistiger Kampf der Reiter und eine physische Schlacht der Pferde.

Eishockey-Bully hoch zu Ross

Tynaliev attackiert seinen Gegenspieler im richtigen Moment und greift sich sofort selbst die Ziege. Er hievt sich in den Sattel und reitet los, weg, nur weg von den Gegenspielern, die schon nach ihm und dem Kadaver jagen. Er nimmt Kurs auf den Tay Kazan. Tausende Lungen halten den Atem an.

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Zweikämpfe verdienen ihren Namen.
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Ein volles Hippodrom beim Kok Boru ist hier in den Steppen Zentralasiens keine Seltenheit. An diesem heißen Septembertag in Tscholponata ist das Publikum aber ein ungewöhnliches: Unter die alten Kirgisen mit ihren tiefen, von einem Leben unter der Sonne gezogenen Falten und weiß-blauen Filzhüten mischen sich Touristen. Deutsche, Kanadier, Japaner, sie alle sind für die World Nomad Games nach Zentralasien gereist. Diese Nomad Games sind quasi die Olympischen Spiele der nomadischen Sportarten.

Hippodrom und Riesen-Alm

Eine Woche lang steigen in Tscholponata Ring- und Reitsportbewerbe, eine Autostunde entfernt auf der gigantischen Alm Kyrchyn bieten rund tausend Jurten, eine Showbühne und ein großer Basar das kulturelle Rahmenprogramm. Kok Boru wird unten gespielt, also auf 1.600 Metern mit Aussicht auf den riesigen See Issyk-Kul. Es ist die unbestrittene Königsdiziplin. Den Sport gibt es in ganz Zentralasien, aber nirgendwo sonst ist er so wichtig wie in Kirgisistan.

Schiedsrichter, seriös.
Stefan Schauhuber

Die Nomad Games werden nach 2014 und 2016 zum dritten Mal abgehalten, die zwölf teilnehmenden Kok-Boru-Teams sind Rekord. Neben vier russischen Regionen und einigen Zentralasiaten gibt es zwei Exoten: Frankreich und die USA. Die Franzosen, allesamt Horseball-Spieler, sind zum ersten Mal dabei, für die Amerikaner ist es das zweite Mal. Die US-Botschaft in Bischkek ermöglicht den Cowboys aus Wyoming die Teilnahme.

Lieblingsland USA

"Du kannst dir ganzen Tag Videos anschauen, aber es zu spielen – das ist unbeschreiblich", sagt Ladd Howell, mit zwei Toren im Gruppenspiel gegen Krasnojarsk Held des Tages. Die kirgisischen Fans lieben ihn, so wie sie Amerikaner allgemein lieben. Jeder Weiße wird auf Verdacht gefragt, ob er denn "American" sei. Bei Enttäuschungen wie Österreichern reicht es immerhin für einen freundlichen Handschlag, manchmal gar für ein Selfie.

Ladd Howell, Rodeocowboy und Fanliebling.
Stefan Schauhuber

An den Rodeo-erfahrenen Amerikanern sieht man die Schwernisse des Sports. Das Timing beim Aufheben der Ziege, das Geradeausreiten beim Transport des schweren Kadavers, der abschließende Wurf: Das sieht bei den Spitzenreitern von der Cowboyranch unbeholfen aus. Selbst tot scheint das Spielgerät noch zu bocken. "Alles geht so schnell", sagt Howell.

Kirgisistan dominiert

Die Amerikaner haben Glück, nicht gegen die überlegenen Kirgisen spielen zu müssen. Die Gastgeber rauschen mit Ergebnissen wie 29:5 und 23:5 ins Finale, obwohl sie oft nur mit Halbgas spielen. Auch das Finale gegen Usbekistan ist eine klare Sache, nach 20 Minuten steht es 10:2.

Verletzungen gehören dazu, bei Amerikanern ...
Stefan Schauhuber

Als die Zaungäste schon mit dem Pausengeplaudere beginnen, bricht Hektik los. Rufe von der Seitenlinie erreichen die an einem Kopfende des Spielfelds in der Sonne sitzenden Sanitäter vom Roten Halbmond. Die werden von einer Sekunde auf die nächste geschäftig und zielstrebig, wie man das nur bei Einsatzkräften sieht. Ein verletzter Spieler wird abtransportiert. Später spricht sich sein Beinbruch herum. Die Spieler nehmen die schwere Verletzung mit einer mühelosen Fassung, die sagt: Wir sehen das nicht zum ersten Mal.

... wie auch bei Kirgisen.
Stefan Schauhuber

Kok-Boru ist gefährlich, das lässt sich nicht leugnen, das will auch keiner leugnen. Die Reiter tragen unter ihrer in den jeweiligen Nationalfarben gehaltenen, flatternden Kleidung einen Brust- und Rückenpanzer sowie Ellbogen- und Knieprotektoren. Schwachstelle der Ausrüstung ist der traditionelle Hut Tebetei. Das bisschen Leder und Pelz schützt kaum vor Gehirnerschütterungen.

Kopf gegen Tay Kazan ist angesichts des minimalen Schutzes zu vermeiden.
Stefan Schauhuber

"Es hat viel mit Maskulinität zu tun", sagt der Anthropologe Ulan Bigozhin. "Kok-Boru-Spieler werden verehrt, weil sie das militärische Erbe der Steppe erhalten: Auf dem Rücken der Pferde gegen den Feind kämpfen." In Kirgisistan und auch im Nachbarland Kasachstan wird der Sport von ganz oben gefördert. Er passt in das Konzept der Regierenden, die ihren Nationalismus mit wertvollen, realen Traditionen untermauern wollen. Gleiches passiert mit einer anderen, der wichtigsten Tradition des Landes. Sie kommt in der Drittelpause zum Vorschein: Statt stadionüblichem Terrorpop kommt aus den Lautsprechern eine feierliche Rezitation.

Manas, Manas

Wenn so etwas wie eine Volksseele irgendwo existiert, dann in Kirgisistan. Man kann sie sogar kaufen, wenn man denn ein 500.000-Vers-Buch lesen will. Das Epos Manas widmet sich primär dem mythischen Helden Manas, die Geschichte wurde jahrhundertelang mündlich übertragen, permanent ausgebaut, in jeder Zivilisationsphase ergänzt. "Manas" ist Bibel, Brockhaus und Berater der Kirgisen. Das Epos zu rezitieren ist hohe Kunst, im Rahmen der Nomad Games gibt es auch dafür einen Wettbewerb. Die alten Männer singen, predigen, reden sich in eine Trance, als würden sie den Dorfkindern am Lagerfeuer von ihrem halbgöttischen Ururgroßvater erzählen, der das Volk einst gerettet hat. Manas, Manas! Der Volksheld lebt.

Sicherheit steht vor.
Stefan Schauhuber

Manas, Manas! Der Volksheld lebt. Denn Tynaliev ist nur die Nummer zwei des kirgisischen Kok-Boru-Teams, der elitäre Sidekick. Der Star trägt die Zehn und heißt Manas Niyazov. Wenn Manas die Ziege packt – und das ist oft, wenn er am Feld ist, schrumpfen seine Teamkollegen zu Blockern und Statisten – dann wird es laut im Hippodrom. "Manas, Manas, Manas!"

Die Menschen wissen, was kommt. Während andere Reiter wie LKW manövrieren, fährt Manas Go-Kart. Das Ross des 25-Jährigen umkurvt jeden, der sich erdreistet, ihn aufhalten zu wollen, der Reiter versenkt die Ziege mit der Selbstverständlichkeit eines Ausnahmekönners. Jedes Kind, jeder Alte hier kennt Manas. "Er ist unser Mike Tyson", sagt Tabyldy Shekitov. Er muss es wissen, er war früher selbst ein großer Kok-Boru-Spieler.

KOK-BORU KG

Ein kirgisischer Mike Tyson hat 80.000 Instagram-Follower und einen persönlichen Sponsor, den er unerbittlich bewirbt. Vor fünfhundert Jahren wäre er nur der Held seines Dorfs gewesen. Damals war Kok Boru noch ein Kampf Jeder gegen Jeden, auf dem Heimweg riss sich die Jagdgemeinschaft um den erlegten grauen Wolf – den Kok Boru. Wer den Wolf vor der Jurte des Ältesten ablegte, kassierte Ruhm und Ehre. "Wir haben immer gespielt", sagt Shekitov, der seit seinem Karriereende Schiedsrichter ist, beim Finale aber frei hat.

Sport, Treue

Also sitzt er an einem Ende des Feldes unter der großen Weide, die den Teams vor dem Spiel als Treffpunkt und mit ihren gestutzten Ästen als Pferdeparkplatz dient. Shekitov fachsimpelt mit Freunden auf Kirgisisch, führt auch mal mit dem gelangweilten Schiedsrichter Schmäh. Man kennt sich. Und ja, sie haben immer Kok Boru gespielt, selbst in der Sowjetunion, als die politische Führung die Traditionspflege nicht immer gerne sah. "Wir haben in jedem Dorf gespielt. Dann eben inoffiziell", erzählt er. Kirgisistan ohne Kok Boru? Geht nicht.

Tabyldy Shekitov – natürlich mit Pferd.
Stefan Schauhuber

Der wichtigste Mann in der Geschichte des Sports war ein Filmemacher: Bolotbek Schamschijew formte den Sport zu dem, was er heute ist. Schamschijews Filme haben Namen, die klingen wie der sanfte Gesang eines verträumten Künstlers. "Roter Mohn von Issyk-Kul". "Der weiße Dampfer". "Frühe Kraniche". Er kam viel herum und analysierte international erfolgreiche Sportarten, 1993 goß der damals 52-Jährige seinen Volkssport in die Schablonen der großen Sportwelt.

Gelegentlich wird Kok Boru auch heute noch in der traditionellen Form gespielt.
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Tore und Teams statt Anarchie und Chaos, ein 200 mal 140 Meter großes Feld ähnlich dem Eishockey statt freier Fläche. Man muss Schamschijews Taten politisch sehen: Neben dem Epos Manas hatte sein junger Staat auf der Suche nach Identität und Stabilität jeden Anhaltspunkt nötig.

Kirgisistan, Kasachstan

"Ich war von Anfang an dabei", sagt Shekitov, während er auf der einzigen Bank im Schatten der Weide sitzt. Also seit 1996, als der nationale Kok-Böru-Verband nach Schamschijews Regeln gegründet wurde. Shekitov war ein Großer, Maradona haben sie ihn genannt, als er noch durch die Reiterreihen wirbelte. Ob er viele legendäre Spiele erlebt hat? Er lacht. So etwas kann nur ein Ausländer fragen.

Er erzählt von einer Partie, die Kirgisistans postsowjetisches Schicksal schmerzhaft genau beschreibt. "Ich hatte ein fantastisches Pferd, es wurde wie ich Maradona genannt. Ein Kasache kaufte es mir für eine unerhörte Summe ab, ich konnte nicht nein sagen. Dann kamen sie für ein wichtiges Spiel und schlugen uns – mit meinem Pferd." Shekitov spricht, als wäre das ungerecht und doch part of the game.

Der Erzrivale trägt Blau-Gelb.
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Nach der Auflösung der Sowjetunion stand Kirgisistan ohne wertvolle Rohstoffe da, während der große Nachbar Kasachstan auf Gas- und Erdölvorkommen saß. Die kasachischen Reichtümer sammelten und sammeln sich zwar primär bei der regierenden Elite, die Bevölkerung ist dennoch wohlhabender als beim südlichen Nachbarn.

Freiheit Fehlanzeige

Was die Staaten verbindet, ist ein Demokratiedefizit. In Kasachstan regiert seit der Unabhängigkeit ununterbrochen Nursultan Nasarbajew, Kirgisistan hatte in dieser Zeit zwei revolutionäre Umstürze und fünf Präsidenten. Die Organisation "Freedom House" gibt Kasachstan einen Freiheits-Score von 22 von 100, auch Kirgisistan zählt mit 37 Punkten nur als "teilweise frei". Zum Vergleich: Die Türkei hält bei 32, der Irak bei 31 Punkten.

Im Hippodrom von Tscholponata spielt das keine Rolle. Der Eintritt zum Kok-Boru-Finale ist gratis, Sport ist auch hier Opium für das Volk. Und das Volk darf jubeln, denn Finalgegner Usbekistan ist genau das nicht: ein Gegner. Die Kirgisen reiten den unterlegenen Blau-Grün-Weißen um die Ohren, die Pferde der Favoriten wirken mit ihrem rot-gelben Zaumzeug nicht nur imposanter, sondern sind schlicht stärker. Hat ein Usbeke endlich mal den Kadaver zum Galopp unter den Oberschenkel geklemmt, drängt ihn sofort ein Kirgise ab, umgekehrt reicht eine schnelle Bremsung oft zum Aushebeln der usbekischen Defensivformation. Nach dem zweiten Drittel steht es 19:3. Usbekistan ist machtlos.

Pferdeparkplatz.
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Normalerweise lautet das Kok-Boru-Gesetz Nummer eins: Das Finale jedes großen Turniers heißt Kirgisistan gegen Kasachstan. Gesetz Nummer zwei: Der jeweilige Gast ist ein Querulant. Die Kirgisen jammern bei Turnieren in Kasachstan über die Bedingungen, die Kasachen kritisieren in Kirgisistan die Regeln – der kasachische Verband ersetzte die Tay Kazans 2017 aus Sicherheitsgründen nämlich mit auf den Boden gezeichneten Kreisen, außerdem wird der in Kasachstan Kokpar genannte Sport mit einer Gummiziege gespielt.

Sticheleien

Bei den Nomad Games verweigern die Kasachen gar das Antreten zum ersten Vorrundenspiel, wissend, der Veranstaltung mit einem Boykott das vorprogrammierte Highlight zu nehmen. Mit zwei Tagen Verspätung tritt der Co-Favorit doch noch an, die Regeln werden hingebogen: Die Kasachen dürfen ihr verpasstes Spiel nachholen und qualifizieren sich locker für das Halbfinale – wo dann sensationell Usbekistan eine Nummer zu groß scheint.

Punkt mit Einsatz.
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Der 5:4-Sieg der Usbeken ist ein lokales Erdbeben. Kasachische Journalisten munkeln, man hätte wegen des gegenseitigen Hasses der Spieler eine Eskalation im Finale vermeiden wollen. Kirgisische Journalisten munkeln, die Kasachen hätten eine Finalwatsch'n vermeiden wollen.

Der Anthropologe und Kok-Boru-Fachmann Ulan Bigozhin liefert eine simplere Erklärung: "Die Nomad Games werden in Kasachstan nicht sehr wichtig genommen, viele gute Spieler waren nicht motiviert. Außerdem war der Verband einfach nicht vorbereitet: Sie haben die C-Garnitur, also junge, unerfahrene Spieler geschickt, die noch nie einen Kirgisen gesehen hatten." Selbst beim ungeliebten Nachbarn gilt das erste Spiel gegen kirgisische Gegner als Feuerprobe.

Klare Sache

Also Usbekistan statt Kirgisistan, also eine einseitige Partie statt eines packenden Finales. Im dritten Drittel steht die Septembersonne schon sehr flach, der aufgewirbelte Sandstaub bricht das goldene Licht. Der anfangs frisch planierte Boden, vergleichbar mit einem harten Beachvolleyball-Platz, ist von Hufabdrücken übersät. Auf der Tribüne versuchen sechsjährige Mädchen, die letzten Reste ihres Popcorn- (immer süß!) und Tee-Vorrats loszuwerden.

Salto-Manas.

Das Klatschen der Reitgerte ist das dominierende Geräusch. Die Reiter arbeiten kaum mit Kommandos, die Fans haben den Sieg erwartet und hingenommen. Erst gegen Ende, als Manas mit der Ziege auch sich selbst per Salto in den Tay Kazan befördert, wird es noch einmal laut. "Kir-gis-stan! Kir-gis-stan!" Das Spiel endet mit Standing Ovations und einem roten Fahnenmeer, die vor der Partie herumwuselnden Flaggenverkäufer dürften ein gutes Geschäft gemacht haben.

Männer unter sich

Es gibt übrigens auch Frauen in Kirgisistan. Aber nicht in der Welt des Kok Boru, oder eigentlich: nur bei der Medaillenübergabe. Nach Frauen in seinem Sport gefragt, lacht Ex-Star Shekitov. "Es ist sehr, sehr hart", sagt er, ganz so als würde das als Erklärung reichen. Kok Boru bleibt auch hier ein fast perfektes Prisma der kirgisischen Zustände. Einzig die Hauptstadt Bischkek könnte man nach westlichen Maßstäben als ansatzweise progressiv bezeichnen, das Gesellschaftsmodell außerhalb der Städte unterdrückt Frauen.

Auch das passt irgendwie in das Bild dieses archaischen Sports, der mit der Moderne in so vielen Aspekten kollidiert. Mediziner können angesichts der Crashes an den Beton-Tay-Kazan nur den Kopf schütteln, Tierschützer wüssten nicht, ob sie eher wegen der Ziegenschlachtung oder der Pferde auf die Barrikaden müssten. Die Rösser werden bewusst in Kollisionen geritten, gehen unter Druck teilweise in die Knie, pro Spiel gibt es ein bis zwei kritische Szenen. Immerhin: Zu sehen, wie liebevoll sich Spieler und Betreuer um ihre Gefährten sorgen, erleichtert das Gewissen. Bis zum nächsten Sturz.

Spieler und Pferd sind sich nahe.
Stefan Schauhuber

Und doch dürfte Kok Boru eine Zukunft haben: In Kirgisistan ist der Sport wichtigen Menschen wichtig, das ist fast eine Überlebensgarantie. "Investitionen in Kok Boru sind ein Weg, Macht, Beliebtheit und Unterstützer zu sammeln", sagt Bigozhin. Lokalgrößen mit Machtambitionen kaufen dem ansässigen Provinzteam ein starkes Pferd und spekulieren dafür auf die Gunst der Bevölkerung. Die Summen gehen dabei ins Absurde: Für Achilles, eines der besten Pferde Kirgisistans, sollen 250.000 Dollar geboten worden sein. Der Besitzer hat abgelehnt.

Kok-Boru, mindestens oscarreif.
Amanat Film

Der Sport dehnt sich aus, im Herbst erscheint ein Kok-Boru-Brettspiel, der Trailer zum Blockbuster "Kok-Boru" – ein klassischer Sportfilm mit Bösewicht, Helden und Love Interest – läuft auf den Bildschirmen der Nomad Games rauf und runter. Seit 2017 ist das im westlichen Zentralasien als Buzkaschi bekannte Kok Boru von der UNESCO als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt. Die Fernsehübertragung bei den Games ist vollprofessionell, über dem Spielfeld schwebt eine Spider-Cam. Dabei verliert der Sport nichts von seinem Reiz. Wenn Manas einem Usbeken mit eisernem Griff die Ziege entreißt und eine gerade Linie zum Tay Kazan sieht, dann geht es nicht um Tradition, Nation oder Kultur. Dann geht es um Action, um Zweikampf, um Geschick, um Kraft und Kräfte, um Risiko und Wucht. Um Sport. (Martin Schauhuber aus Tscholponata, 12.10.2018)


Alle Teilnehmer des Kok-Boru-Turniers bei den World Nomad Games 2018, inklusive Details, Turnierverlauf und Ergebnissen auf einer Karte. Reisetipps folgen darunter!

Alle Teilnehmer des Kok-Boru-Turniers bei den World Nomad Games 2018, inklusive Details, Turnierverlauf und Ergebnissen.
Karte: Der Standard

Kirgisistan, Kirgistan oder Kirgisien – wie heißt das Land an der Seidenstraße nun korrekt? Kirgisien nannte sich die ehemalige sowjetische Teilrepublik, daher wird diese Bezeichnung heute vermieden. Ob man Kirgisistan oder Kirgistan sagt, ist aber lediglich eine Frage der Transkription. Und wie kommt man hin?

Turkish Airlines fliegt zum Beispiel von Wien via Istanbul um rund 400 Euro nach Bischkek und retour. Ein Visum ist für die Einreise nicht mehr nötig.

Eine individuell machbare Route beginnt mit einigen Tagen in Bischkek und geht von dort nach Osten zum Issyk-Kul. Über den Namen "heißer See" kann man nach europäischen Standards diskutieren, dank seines Salzgehalts friert er aber im Winter nie zu. In Tscholponata gibt es neben dem Hippodrom der Nomad Games auch berühmte Petroglyphen zu sehen.

Von dort reisen viele weiter nach Karakol, das eine gute Infrastruktur für Bergtouren hat. Ein Highlight auf dem Rückweg ist ein Aufenthalt in einer Jurte beim Gebirgssee Son-Kul.

Über lokale Tourismusagenturen lässt sich von Reittouren über private Fahrer bis hin zu Mehrtages wanderungen vieles organisie- ren, das größte Netzwerk hat CBT. Auch der österreichische Spezialist für Trekkingreisen und Weltweitwandern hat Kirgisistan-Reisen im Programm.

Die World Nomad Games 2020 finden voraussichtlich in der Türkei statt.