Hilfsbedürftige in Turin erhalten eine Mahlzeit. Italiens Regierung will zehn Milliarden für Sozialhilfe ausgeben.

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Ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle armen Bürger Italiens: So hatte das Versprechen der Fünf-Sterne-Bewegung im Wahlkampf gelautet. Bei den Italienern kam das gut an. Die vom Komiker Beppe Grillo gegründete Protestbewegung avancierte bei den Wahlen Anfang März zur stärksten Partei.

Etwas mehr als ein halbes Jahr später ist vom Grundeinkommen in Rom keine Rede mehr, nicht zuletzt, weil dem italienischen Staat die gut 30 Milliarden Euro, die das Projekt nach groben Schätzungen jedes Jahr gekostet hätte, fehlen.

Stattdessen will die Koalitionsregierung aus der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechten Lega eine Art elektronische Einkaufskarte für Arme einführen. Wer kein Geld hat, soll 780 Euro im Monat auf diese Karte gutgeschrieben bekommen. Sie würde zum Einkauf in italienischen Geschäften berechtigten. Ob es dabei Beschränkungen geben soll, etwa für Alkohol und Tabak, wird in Rom gerade diskutiert.

Das Ganze kann man sich am ehesten als eine italienische Form der Mindestsicherung vorstellen. Kommen soll sie ab März, wie Premier Giuseppe Conte gegenüber der Tageszeitung "La Stampa" zu Protokoll gab. Das Geld gibt es eben nicht bedingungslos wie ein Grundeinkommen, sondern jeder Bürger muss bereit sein, Arbeit aufzunehmen. Wer keinen Job findet, wird dazu verpflichtet, einen sozialen Dienst zu leisten. Wer dreimal ein Arbeitsangebot ablehnt, soll nach den Worten von Vizepremier Luigi Di Maio die Zahlungen verlieren.

Ende der Zurückhaltung

Selbst dieser abgespeckte Plan der Regierung, der vergangene Woche vorgestellt wurde, soll gut zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten. Bei der EU-Kommission kam der Vorschlag nicht gut an, weil Italien das Geld für sein Sozialprogramm nicht selbst aufbringen will, etwa durch neue Steuern, sondern der Staat zusätzliche Schulden machen müsste.

Italiens Schuldenstand beträgt aktuell 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. In den vergangenen Jahren ist der Schuldenberg wegen der vorsichtigen Budgetpolitik in Rom nicht weiter angestiegen. Doch das würde sich ab 2019 ändern, sollte die rechtspopulistische Regierung ihr Vorhaben umsetzen.

Italien verfügt im Gegensatz zu Österreich über keine Mindestsicherung oder Notstandshilfe: Das Arbeitslosengeld ist die einzige Absicherung für Menschen in erwerbsfähigem Alter. "Eine alleinstehende Mutter mit Kind, die seit Jahren nicht arbeitet, hat keinerlei Anspruch auf staatliche Hilfe", sagt Paolo Manasse, Ökonom an der Universität Bologna. Die Regierung unter Premier Matteo Renzi von der Mitte-links-Partei Partito Democratico hat im Jahr 2017 erstmals ein Sozialhilfegesetz beschlossen. Das Programm war vergleichsweise klein: Weniger als zwei Milliarden Euro wurden für das erste Jahr budgetiert. Hilfeleistungen sollten Menschen über 55 bekommen und Familien mit mehreren Kindern.

Viele offene Eckpunkte

Dem gegenüber soll das neue System allen Bürgern offen stehen, die sich zehn Jahre im Land aufhalten und bedürftig sind. Wie genau Letzteres definiert wird, ist unklar. Dass viele Eckpunkte offen sind, stößt bei dem Ökonomen Manasse auf Kritik. "Die Regierung hat eher vage Vorstellungen denn einen Plan." Er kritisiert noch andere Aspekte am Programm: Die italienischen Arbeitsämter seien extrem ineffizient und kaum in der Lage, Arbeitssuchenden Jobs zu vermitteln. Er ist überzeugt, dass mit diesem System kaum jemand den Sprung aus der Sozialhilfe schaffen werde. 780 Euro im Monat seien für italienische Verhältnisse viel Geld: Wer Teilzeit arbeitet, verdiene in vielen Fällen nur unwesentlich mehr. "Damit steigen die Anreize, gar nicht mehr zu arbeiten."

Der Kreis der potenziellen Hilfeempfänger ist groß. Italien hat eine der höchsten Armutsraten in der gesamten EU. Arm ist laut Definition der europäischen Statistiker jede Person, der weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens im Land zur Verfügung stehen. Das trifft auf jeden fünften Italiener zu. In Österreich gelten dagegen nur 14 Prozent der Bevölkerung als arm.

Zahlreiche Ökonomen bezweifeln, dass das Programm so, wie von der Fünf-Sterne-Bewegung angekündigt, das Wirtschaftswachstum anfachen wird. "Dafür wären langfristige Investitionen nötig", sagt Manasse. "Und genau das ist nicht geplant." (András Szigetvari, 4.10.2018)