Jede Österreicherin und jeder Österreicher hat schon mindestens einmal von der Belagerung Wiens durch die Osmanen im Sommer 1683 gehört; viele wissen auch, dass es 1529 bereits einen ersten Versuch gab, die Stadt einzunehmen. Auch in vielen Gemeinden des Umlandes, wie etwa in Mödling, sind diese kriegerischen Ereignisse präsent und werden nicht zuletzt durch Denkmäler in Erinnerung gerufen beziehungsweise gehalten. Warum aber weiß eigentlich niemand von der Belagerung Wiens im Jahr 1645?

Gräuel des 30-jährigen Krieges.
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Schwedische Soldaten in Wien

Nun erreichte diese nicht die Dauer und das Ausmaß der osmanischen Belagerungen, aber es war doch ein Heer von einigen Tausend schwedischen Soldaten, das unter Führung des Generals Lennart Torstensson im Frühjahr 1645 am Tabor erschien und zeitgleich auch im Wald- und Weinviertel bis an die Donau kleinere Verbände aussandte – Zwettl, Korneuburg, Krems und Stein wurden eingenommen und viele weitere Orte besetzt oder geplündert. Krems blieb über ein Jahr in der Hand der protestantischen Schweden.

Dass diese Ereignisse heute allenfalls noch in der Heimatgeschichte eine Rolle spielen ist bezeichnend für die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg in Österreich: Während er in Deutschland fast flächendeckend in Museen, in ortsgeschichtlichen Darstellungen oder Denkmälern präsent ist, scheint er in Österreich fast vergessen zu sein. Das zeigt sich auch in diesem Jahr, in dem in Deutschland mit einer Unzahl kleinerer und größerer Ausstellungen, mit einer Flut wissenschaftlicher Darstellungen und Veranstaltungen an den Kriegsausbruch 1618 erinnert wird.

Mit dem Zweiten Prager Fenstersturz begann der Dreißigjährige Krieg. Der Aufstand protestantischen böhmischen Stände richtete sich gegen die Rekatholisierungsversuche von Kaiser Ferdinand II. aus dem Hause Habsburg.
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Das "Fehlen" des Jubiläums in Österreich hat dabei anscheinend naheliegende Gründe: der Aufmarsch der Schweden vor Wien und die Zerstörungen im Wald- und Weinviertel 1645 waren – außer einigen kleineren Beutezügen verschiedener Truppen im Bereich des heutigen Vorarlberg – eigentlich die einzigen militärischen Aktionen, die die Territorien der heutigen Bundesländer direkt betrafen. Der Dreißigjährige Krieg fand damit in Österreich militärisch eigentlich nicht statt.

Habsburger gehörten zu den wichtigsten Kriegsparteien

Das Bild ändert sich jedoch, wenn man nicht von heutigen territorialen Grenzen ausgeht: Landesherren über die Territorien, die heute zu Österreich gehören, waren – mit Ausnahme Salzburgs – die Habsburger Ferdinand II. (1578-1637) beziehungsweise Ferdinand III. (1608-1657). Und die waren nicht nur Erzherzöge von Österreich ob und unter der Enns, sondern auch Herzöge der Steiermark, Kärntens und Krains sowie Könige von Böhmen und Ungarn – und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Als Könige von Böhmen waren sie von 1618 in die Konflikte einbezogen. Als Kaiser standen sie für eine der vier wichtigsten Kriegsparteien, zwischen denen im Dreißigjährigen Krieg die militärischen und politischen Vorteile hin und her gingen.

Die Belagerung Wiens 1619 durch das böhmische Ständeheer. Gemälde von Pieter Snayers, um 1620.
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Die Konsequenz war, dass der Krieg unter großen Mühen und zu erheblichen Teilen aus den Steuern und Abgaben der Einwohner der verschiedenen Regionen Österreichs finanziert wurde. Dass dies für den einzelnen wie für die Länder ebenso wie für die landesherrliche Verwaltung einen immer größeren finanziellen wie organisatorischen Kraftakt bedeutete, je länger der Krieg dauerte, ist mittlerweile gut belegbar. Insofern war der Krieg also fast über seine gesamte Länge sehr wohl ein Großereignis, das die Bewohner der habsburgischen Länder direkt betraf. In Böhmen, Teilen Schlesiens und im sogenannten Vorderösterreich war das auch durch Kriegsereignisse direkt der Fall.

Kriegslasten der Bevölkerung heute vergessen

Während diese militärischen Aktionen aber dort in der Erinnerung bis heute präsent blieben, sind die Kriegslasten im heutigen Österreich weitgehend vergessen. Truppenrekrutierungen, Steuern und Abgaben, Seuchen und Truppendurchzüge, Konfiskationen des Besitzes von vertriebenen Protestanten und ähnliches vergaß man offenbar schneller als Kriegsgreuel, Zerstörungen und Schlachten. Diese eignen sich bis heute deutlich besser zur Darstellung in Gemälden, Denkmälern, Ausstellungen und Filmen. Dessen ungeachtet ist auch in Österreich das Jahr 1618 der Erinnerung wert: Als Beginn eines Zeitalters von Kriegen, das über den Friedensschluss von 1648 in Münster und Osnabrück weit hinausreichte. (Katrin Keller, 8.10.2018)