Nach ihrer fast vollständigen Ausrottung in Europa nimmt der Bestand der Seeadler seit drei Jahrzehnten wieder zu. Nun wurden die ersten Vogelgrippe-Fälle bei diesen majestätischen Greifvögeln bekannt.

Foto: Oliver Krone/Leibniz-IZW

Im vorvergangenen Winter gab es in Norddeutschland mehr als ein Dutzend rätselhafter Todesfälle von Seeadlern: 17 Greifvögel waren binnen kurzer Zeit aus zunächst unbekannten Ursachen verendet. Nun konnte ein Forscherteam nachweisen, dass die Vögel mit dem hochansteckenden Vogelgrippevirus H5N8 infiziert waren, genauer: mit dem Virusstamm H5N8 2.3.4.4b. Es sind die ersten Fälle der Vogelgrippe bei Seeadlern, berichten die Forscher im Fachblatt "Viruses". Das stelle den Schutz der bedrohten Tiere vor neue Herausforderungen.

Die Vogelgrippe bedroht seit Wildvögel und Hausgeflügel seit Jahrzehnten. Insbesondere Hühner, Gänse und Enten, aber auch andere Wasservögel sind von Infektionen mit unterschiedlichen Stämmen des Influenza-A-Virus betroffen. Immer wieder kommt es zu Epidemien, etwa 1992 in Mexiko, 2006 in Mitteleuropa, 2015 in den USA und 2016/2017 abermals in Europa. Der Seeadler (Haliaeetus albicilla) schien bislang verschont zu bleiben, obwohl für einzelne Greifvogelarten wie dem Wanderfalken oder dem Mäusebussard bereits Infektionen nachgewiesen wurden.

Aggressiver Virusstamm

Biologen um Oliver Krone vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) konnten nun nachweisen, dass die 17 in Norddeutschland verendeten Seeadler tatsächlich mit der Vogelgrippe infiziert waren. Analysen des Viren-Erbguts zeigten, dass es sich nicht um den weit verbreiteten Influenzatyp H5N1 handelte, sondern um den Typ H5N8. Außerdem identifizierten die Forscher durch eine vollständige Sequenzierung den Virusstamm 2.3.4.4b, der als hochaggressiv für Vögel gilt.

Das Virus kann in Vögeln eine Gehirnentzündung auslösen. Die norddeutsche Tiefebene und die deutsche Ostseeküste sind der zentrale Lebensraum von Seeadlern in Deutschland. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich bis nach Grönland im Westen und nach Japan im Osten. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden die Greifvögel durch Jagd und den Einsatz des Insektizids DDT fast ausgerottet, seit den 1980er Jahren erholten sich die Bestände wieder. In Deutschland gibt es derzeit 750 Brutpaare.

Keine Gefahr für Menschen

Die Tiere seien für Infektionskrankheiten sehr empfänglich, sagte Oliver Krone: "Seeadler ernähren sich vor allem im Winter von Aas und, wenn verfügbar, auch von Wasservögeln. Natürlich sind kranke und schwache Tiere eine leichte Beute für den Seeadler. Das führt dazu, dass sich diese Greifvögel immer wieder Viren und anderen Krankheitserregern aussetzen."

Warum sich Seeadler 2016/17 mit dem Virus infizierten, bei der H5N1-Epidemie im Jahr 2006 aber verschont geblieben waren, ist noch nicht geklärt. Die Empfänglichkeit für unterschiedliche Virenstämme könnte artspezifisch sein, meinen die Wissenschafter. Es könnte aber auch sein, dass die Unterschiede zwischen den Virenstämmen entscheidend sind. Der Virenstamm 2.3.4.4b scheint deutlich aggressiver für viele Vogelarten zu sein als früher aufgetretene Stämme, weshalb es jetzt möglicherweise auch die großen Seeadler getroffen hat. Für den Menschen scheint der Influenzatyp H5N8 übrigens weniger gefährlich zu sein als der Typ H5N1: Bisher sind keine Übertragungen von Tieren auf den Menschen bekannt. (red, 4.10.2018)