Valentin Postlmayr ist ein lächerlicher König, Dorothee Hartinger spielt Europa.

Foto: Reinhard Werner / Burgtheater

Franz-Xaver Mayrs Inszenierungen machen Spaß. Das klingt erst einmal platt, ist aber nicht zu verachten. Neuester Beleg dafür ist Miroslava Svolikovas Stück Europa flieht nach Europa im Burgtheater-Kasino. Das könnte nämlich auch ganz unschön belehrend sein. Immerhin lässt die Wiener Dramatikerin allerlei Vertreter der europäische Geschichte auftreten, um aufzuzeigen, wie sie selbst immer wieder Ungerechtigkeit hervorgebracht haben: Kirche, Adel, Kolonialisten.

Von erhobenem Zeigefinger fehlt aber jede Spur. Dorothee Hartinger erscheint zu Beginn des Abends mit einem glänzenden Klumpen Fleisch in den blutigen Händen. Sie ist die Prinzessin Europa aus dem Schöpfungsmythos unseres Kontinents. Doch alsbald verläuft die Geschichte der vom Stier übers Meer entführten jungen Frau anders als in der griechischen Sage.

Zeus in Tiergestalt kommt nicht dazu, sie zu vergewaltigen, denn sie tötet ihn mit einem Stich mit der Spitze eines Haares. In Zeiten von MeToo ein gewitzter Einfall. Die euphorische Europa will ein Land gründen, das ohne Gewalt und Mauern existiert. Was nun folgt, macht die Vision allerdings Stück für Stück zunichte.

Freude an der Macht

Denn erst übernimmt ein König mit aufgemalten Muskeln die Szene. Der Text, der ihm vor lauter Stottern kaum aus dem Mund kommen will, zerreißt Darsteller Valentin Postlmayr förmlich. Dann platzt es endlich aus ihm heraus. Wie Rumpelstilzchen hopst er über die Bühne und freut sich lächerlich überdreht an seiner Macht. Zusammen mit Sven Dolinski spielt er später zwei spöttelnde Beamte. Sie haben sich als bibbernde Bauern verkleidet und zeigen mit Fistelstimmen Verständnis für die ihnen zugedachte Härte des Lebens.

Marta Kizyma wurde als Hexe einst verbrannt. Marie-Luise Stockinger wiederum klagt als Pfarrer im knielangen Talar vom Zerfall der Familien und von leeren Kirchen. Sie verrenkt Körper und Stimme gleichermaßen. Alina Fritsch ihrerseits preist als Gelehrter mit unfassbar schnellen Worten die Eigenverantwortung des Individuums. Und schlüpft zudem in die Rolle eines Eroberers, der verzückt von seinem fruchtbaren Samen die Welt damit tränken will.

Der Regisseur als Drechsler

Dass Fritsch kleingewachsen ist und solch imperiale Töne spuckt, ist beispielhaft für Mayrs Arbeiten. Diese konterkarieren gerne. Eine fröhlich genannte Putztruppe kommt sehr lethargisch daher. Mayr liefert keine realistischen Szenen, seine Regiekunststücke siedeln allesamt im Exzentrischen. Er drechselt das Stückmaterial regelrecht.

Diesen Tanz auf Messers Schneide vollführt er mit höchster Präzision. Genau getimte Sprechchöre und aufwenige Gesangsnummern bringen sein buntes, einfallsreiches Universum zum Klingen. Aus Dadada-, Lelele- und Mimimi-Lauten orchestriert er an diesem Abend einen Chor, der die Europahymne schräger singt, als man sie je gehört hat. Sie ist dennoch oder gerade deshalb ergreifend.

Uraufgeführt wurde Europa flieht nach Europa im Juni bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater Berlin. Es ist die zweite Zusammenarbeit von Svolikova und Mayr. Mit Diese Mauer fasst sich selbst zusammen und der Stern hat gesprochen ... am Schauspielhaus Wien 2017 wurden die beiden 1986 Geborenen als bester Nachwuchs für den Theaterpreis Nestroy nominiert.

Michaela Flück hat dem üppigen Text eine enge, beige Bühne entgegengesetzt, die an einen antiken Tempel erinnert. Auch Kostümbildner Korbinian Schmidt ist ein Fixstarter in Mayrs tollem Team. Sehen und Hören eifern im Publikum um die Wette. Das macht den Text nicht weniger treffend. Aber – wie gesagt – obendrein zu einem riesengroßen Spaß. (Michael Wurmitzer, 4.10.2018)