Die "Mastur Bar": Ein Setting, das die Brasilianerin Fabiana Faleiros seit 2015 in unterschiedlichen Kontexten realisiert.

Foto: Günter Kresser

Innsbruck – Was mit Lieben begann und mit Lachen enden soll, hält zurzeit bei seiner zweiten Station, dem Sex. Mit ihrer Ausstellungstrilogie im Innsbrucker Taxispalais wagt sich Kuratorin Nina Tabassomi an die scheinbar alltäglichsten Phänomene und sucht genau dort nach den Fragen und Antworten unserer Gesellschaft. Weil es eben für jeden Anknüpfungspunkte gibt und sie ebendort "utopisches Potenzial" ortet, das die Kraft für (politische) Veränderung hat.

Das trifft auf Sex ebenso wie auf Kunst zu: Beide produzieren einen "sinnlichen Überschuss", der sich dem rationalen Wissen und Verstehen entzieht. Das wird in den fünf rein weiblichen Positionen der Ausstellung sehr differenziert zur Diskussion gestellt. Empfangen wird man in der Innsbrucker Kunsthalle mit einer phallischen Skulptur. Sobald sich die Installation von Elisabeth von Samsonow aber als hölzerner Baumstamm-Penis entpuppt, der seinen "Saft" durch zahlreiche Steckdosen zum Laden digitaler Geräte spendet, erhält die abgenutzte Symbolik einen guten Humor und der Phallus wir zum freundlich-sozialen Verteilersystem.

Auch in der Sex Maschine geht es um Energieproduktion: Zwei Nähmaschinen setzen eine Apparatur in Gang, die für die Vereinigung der zwei Enden eines Audiokabels sorgt. Sinnlich flüsternd tönt es nebenan aus der weißen Schaumstoffwand.

Mythos Weiblichkeit

Eine erotische Frauenstimme erzählt in einer Neon-Sound-Arbeit der jungen Tirolerin Sarah Decristoforo die Geschichten dreier Frauenfiguren: der griechischen Pandora, der als hysterisch abgestempelten Freud'schen Dora und der Kindfrau Lolita, die eigentlich Dolores hieß. In der komplexen Fusion dieser Figuren thematisiert Decristoforo den jahrtausendealten diskriminierenden Mythos der Weiblichkeit als böse Falle für den Mann. Bedeutend greller geht es im Raum nebenan zu, dort betritt man nämlich die Mastur Bar, ein Setting das die Brasilianerin Fabiana Faleiros seit 2015 in unterschiedlichen Kontexten realisiert. Üppig dunkle Vorhänge, Flackerlicht, Couchtische und Kissen bilden die Umgebung für eine interessante Assoziationskette, die von Handbewegungen am Touchscreen über weibliche Masturbation bis zur Symbolik von Handposen von Monarchen führt.

Die Transgender-Künstlerin Ashley Hans Scheirl bringt eine weitere Facette aufs Tapet. Ihre Darstellungen von Sex in einem kollaborativen Porno und in fragilen Zeichnungen zeigen trotz der Radikalität ausgewogene Machtverhältnisse. Um den Feminismus der heutigen Frauengeneration dreht sich schließlich eine Videoarbeit von Alex Martinis Roe.

Sex als Dauerbrenner

Fast alle Beiträge wurden eigens für die Ausstellung Sex produziert. Keine männlichen Künstler einzuladen sei, so die Kuratorin, keine Prämisse gewesen, schlussendlich hätten sich aber die weiblichen, feministischen und queeren Perspektiven als die interessanteren herausgestellt.

Naturgemäß ist die Innsbrucker Ausstellung nicht die erste, die Sexualität verhandelt. Die Tate Modern stellte 2010 in Pop Life Sex als Teil der Selbstvermarktung von Künstlern dar, beginnend bei Jeff Koons' Made in Heaven-Skulptur, die seine Beziehung mit Pornostar Cicciolina zelebriert. Die Kunsthalle Wien thematisierte schon 2003 mit Sex in the City die Vereinnahmung von Sex durch Medien und Internet und einige Jahre später deren Ausformung als Pornografie. Zuletzt war die Schau Sex in Wien im Wien-Museum zu sehen.

Demgegenüber stellt die Innsbrucker Ausstellung die politische Dimension des Themas in den Mittelpunkt. Der Wille zu einer echten Auseinandersetzung ist ihr durchgängig anzumerken, nie wird sie voyeuristisch oder sensationslüstern. Marginalisierte Positionen finden Raum, ebenso wie Uneindeutigkeiten, mitunter auch Verstörung. Alles Themen, die sich auch in anderen Lebenskontexten denken lassen. Und zum Schluss ist Sex vielleicht gar nicht mehr das Thema, sondern vielmehr ein Vehikel für weiterreichende Diskussionen. (Nicola Weber, 4.10.2018)