Proteste gegen die Bestellung von Brett Kavanaugh.

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Beängstigend für Männer. So diagnostiziert es zumindest der Präsident der USA. Nachdem er sich im Fall seines Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Brett Kavanaugh, eine Weile mit Attacken auf das potentielle Opfer Christine Blaysey Ford zurückgehalten hat, war es für ihn spätestens ab dem 21. September Zeit, zum Angriff überzugehen.

Und mit der Anhörung beider durch den Senat wurde der Tonfall noch einmal verschärft. Das war offenbar auch nötig. Denn Kavanaugh hat keine besonders gute Figur abgegeben. Er sprach zu viel über Bier

USA TODAY

und versuchte zugleich darzustellen, dass Alkohol kein Problem für ihn sei. Er duckte sich häufig vor Fragen weg, beantwortete sie nicht oder stellte einfach Gegenfragen

Das kann und darf man zurecht kritisieren. Andererseits sollte dabei nicht übersehen werden, dass für das Verhalten eines womöglich falschbeschuldigten Menschen ebenso wenig ein Handbuch existiert wie für mutmaßliche Opfer. Gerade diejenigen, die unermüdlich darauf hinweisen, dass Opfer auch jenseits von gesellschaftlichen Stereotypen über Opfer existieren, müssten anerkennen können, dass dies auch für Falschbeschuldigte gilt. Es ist also durchaus möglich, dass ein Brett Kavanaugh, der wenig souverän auftritt, schreit, schimpft und sich in Widersprüche verstrickt, unschuldig ist. Wenn Sie, ich und weitere 18 Personen fälschlicherweise einer versuchten Vergewaltigung bezichtigt werden würden, dann kämen dabei 20 individuelle Reaktionen heraus. Aus diesem Grund will ich mich an dieser Stelle nicht an Spekulationen beteiligen.

Es sind sehr viele kluge und weniger kluge Einschätzungen über diesen Fall erschienen – die besten erkennen an, wie schwierig eine faktenorientierte Navigation bei der Gemengelage ist, und umreißen die absehbaren Schäden für alle Betroffenen. Dem gibt es wenig hinzuzufügen. Worüber man allerdings unbedingt noch miteinander ins Gespräch kommen sollte, ist der andere Grund, warum der Ton in dieser Sache nicht nur von Donald Trump, sondern auch von konservativen Medien und republikanischen Kontrahent*innen Trumps verschärft wurde.

Denn dieser Grund liegt im Herz der #MeToo Debatte. Es ist dieser Grund, der die Debatte so unübersichtlich, so schmerzhaft und so unfassbar ausufernd macht: Was, wenn Donald Trump mit seiner Diagnose richtig liegt? Was, wenn es wirklich beängstigende Zeiten für junge Männer sind?

Euphemismen

Und zwar nicht, weil sie fälschlicherweise eines klar definierten Verbrechens beschuldigt werden, sondern weil sie in ihrem Verhalten gegenüber Frauen gar nichts Falsches erkennen können und sich verwundert fragen, was entsprechende Vorwürfe gegen sie überhaupt sollen. Die #MeToo Bewegung will, dass Männer für ihr Handeln Verantwortung übernehmen und zur Verantwortung gezogen werden. Doch im Laufe der Debatte erheben immer mehr Männer ihre Stimme, die wissen wollen, welches Handeln eigentlich gemeint ist. Wofür sollen sie die Verantwortung übernehmen?

Dass sie – um bei den Anschuldigungen gegen Kavanaugh zu bleiben – mit ihren Verbindungsbrüdern auf Partys gesoffen haben und jungen Frauen "nachgestiegen" sind? Dass sie versucht haben, "aufs Ganze zu gehen" und sich dabei auch Körbe eingefangen haben. Was, wenn die Mehrzahl der Männer mit solchen Euphemismen keine Taten verschleiern, von denen sie tief im Innern wissen, dass sie Unrecht sind, sondern Tätlichkeiten, die für sie zum Mannsein einfach dazugehören? Was, wenn sie ein Nein nicht nur missverstehen wollen, sondern in einer Welt leben, in der sie sich ständig dazu aufgefordert sehen, ein Nein möglichst kreativ zu umgehen?

Mann-sein

Dann haben Männer Männlichkeit nicht nur falsch verstanden, sondern sie ist ihnen auch falsch erzählt worden. Und zwar von uns allen. Das entschuldigt in keiner Weise die jeweilige Tat. Sexualisierte Gewalt ist ein Verbrechen. Jede Person, die die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person missachtet und übergeht, sollte sich darüber im Klaren sein. Aber wenn Männer das getan haben, was Brett Kavanaugh zur Last gelegt wird, und wirklich nicht verstehen, was die ganze Aufregung soll, dann können wir es nicht dabei bewenden lassen, sie angemessen zu bestrafen. Sondern müssen uns ernsthaft fragen, was wir einander darüber erzählen, was es bedeutet, ein Mann zu sein. (Nils Pickert, 7.10.2018)