Für Italien heißt es jetzt wie für die Fischer aus Pozzuoli: nicht ausrutschen. Die Seeleute aus dem Ort bei Neapel wetteifern jährlich darum, die Fahne am Ende der seifenbeschmierten Planke zu erwischen.

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Eines steht fest: Italien ist nicht Griechenland. Beim Ausbruch der Schuldenkrise im Jahr 2009 betrug das griechische Haushaltsdefizit fast 13 Prozent, die italienische Regierung plant dagegen für nächstes Jahr einen Fehlbetrag von lediglich 2,4 Prozent.

Im Vergleich zum kleinen und wirtschaftlich schwachen Griechenland ist Italien ein kraftstrotzender Gigant: Das Belpaese ist die drittgrößte Wirtschaftsnation und der viertgrößte Nettozahler der EU; die Pro-Kopf-Wirtschaftsleistung in den produktiven Regionen des Nordens liegt über jener Deutschlands.

Mit einem geplanten Defizit von 2,4 Prozent liegt Italien zwar deutlich über den 0,8 Prozent, die von der Vorgängerregierung von Paolo Gentiloni mit der EU-Kommission vereinbart worden waren – aber es darf bezweifelt werden, dass Gentiloni die versprochenen 0,8 Prozent eingehalten hätte: Unter den sozialdemokratischen Regierungen war das effektive Defizit immer deutlich über den angekündigten Zahlen gelegen, nämlich zwischen 2,5 und drei Prozent. Und Frankreich plant nächstes Jahr ein Defizit von 2,8 Prozent – ohne dass die EU-Kommission aufschreit.

Strapaziertes Vertrauen

Alles halb so wild also in Rom? Was das geplante Defizit angeht, schon. Das Problem ist der enorme Schuldenberg, den Italien mit sich herumträgt: Die Staatsverschuldung ist mit 2300 Milliarden Euro die größte der EU und die drittgrößte der Welt. Sollte Italien wegen plötzlich massiv ansteigender Zinsen in Schwierigkeiten kommen, wäre kein Rettungsschirm der Welt groß genug, um das Land auffangen zu können. Ein Staatsbankrott Italiens würde unweigerlich die gesamte Eurozone mit in den Abgrund reißen.

Was die Populisten in Rom nicht wahrhaben wollen: An den Finanzmärkten ist das wichtigste Kapital das Vertrauen. Und das haben die Lega und die Cinque Stelle mit der Ankündigung von Mehrausgaben in der Höhe von Dutzenden von Milliarden Euro arg strapaziert. Dabei nützt es auch nicht viel, wenn Finanzminister Giovanni Tria und Premier Giuseppe Conte versichern, dass man die Finanzen im Griff habe und dass auch ein Austritt aus dem Euro nicht auf der Tagesordnung stehe. In Brüssel und an den Finanzmärkten hat man längst begriffen, dass Tria und Conte nicht viel zu sagen haben.

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Luigi di Maio (links) und Matteo Salvini setzen ihre Wahlversprechen um.
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Die beiden starken Männer in der Regierung sind die Vizepremiers Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega und Luigi Di Maio von den Cinque Stelle.

Zwei Volkstribune

Und diese beiden Volkstribune wollen ihre kostspieligen Wahlversprechen – Bürgereinkommen, Steuerreduktion, Senkung des Rentenalters – realisieren. Oder wenigstens die ersten Schritte dazu einleiten. Beide hatten sich in der Vergangenheit für einen Austritt aus der Gemeinschaftswährung ausgesprochen; im Parlament wurden die Finanzkommissionen von Senat und Abgeordnetenkammer mit Eurogegnern besetzt. Auch das fördert nicht das Vertrauen in die wahren Absichten der Regierung.

Die Folge: Die Risikoaufschläge für die italienischen Staatsschulden sind markant, wenn auch nicht alarmierend, angestiegen. In einigen Wochen werden die Ratingagenturen Moody's und S&P ihre neuen Bonitätsnoten verteilen. Es wird erwartet, dass die italienischen Anleihen heruntergestuft werden – im schlimmsten Fall bis auf Ramschniveau. Und die Europäische Zentralbank (EZB) wird ab 2019 ihr Kaufprogramm für Staatsanleihen einstellen, das bisher maßgeblich dazu beigetragen hatte, die Zinsen für Italien im erträglichen Rahmen zu halten. Kurz: Es könnte sich etwas zusammenbrauen.

Suche nach Sündenböcke

Salvini und Di Maio scheinen zwar zu ahnen, dass ihre Pläne riskant sind. Doch statt davon abzulassen, suchen sie die Sündenböcke, die für eine mögliche Katastrophe verantwortlich gemacht werden: Die berechtigte Kritik aus Brüssel bezeichnen sie als "Terrorismus", mit dem die Spekulation gegen Italien befeuert werde. Das Ziel der EU-Kommission und der Mainstream-Medien bestehe darin, über eine neue Finanzkrise die unliebsame, aber in Italien populäre Regierung loszuwerden. (Dominik Straub aus Rom, 5.10.2018)