Wird im Haus der Geschichte Österreich ausgestellt sein: Teddybär eines aus Ungarn geflüchteten Mädchens, 1955.

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Raumansicht im Haus der Geschichte Österreich.

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Wien – An Anlässen zur Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte mangelt es derzeit wahrlich nicht: Brexit-Verhandlungen, autoritäre Wendungen, Migrationsströme, Gedenkjahre am laufenden Band von 1848 über 1918 bis 1968, nicht zuletzt das Anfang der Woche enthüllte Trümmerfrauen-Denkmal der FPÖ. Kontroversen, die im künftigen Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ) am Heldenplatz in der Neuen Burg verhandelt werden könnten – und eigentlich auch müssen. Denn der Auftrag zu einem "Diskussionsforum" wurde beim HdGÖ gesetzlich verankert.

Eröffnen wird Österreichs erstes und einziges Bundesmuseum für Zeitgeschichte am 10. November mit der Ausstellung "Aufbruch ins Ungewisse – Österreich seit 1918". Ein Titel, der auch für das Museum selbst gilt, muss es doch um Platz, ausreichende Finanzierung und Akzeptanz bei Publikum und der neuen türkis-blauen Bundesregierung ringen.

Dekonstruktion und Sinnstiftung

An der Akademie der Wissenschaften fand diese Woche ein Symposium zum Thema "Das umkämpfte Museum – Zeitgeschichte ausstellen zwischen Dekonstruktion und Sinnstiftung" statt. Vom neuen HdGÖ ausgehend wurde der Blick auf vergleichbare Einrichtungen in anderen Ländern gerichtet. Was sollen Geschichtsmuseen heute leisten?

"Die historische und politische Urteilskraft stärken", meint Raphael Gross vom Deutschen Historischen Museum. Andreas Spillmann vom Schweizerischen Nationalmuseum sieht auch einen Auftrag, Identität zu stiften. Diese sei immens wichtig, Integration unumgänglich. Die Nation sei als Bezugspunkt weiterhin von Relevanz, das Gefühl der Zugehörigkeit "etwas Positives". "Wir leben in einer Zeit, die vergleichbar ist mit dem 19. Jahrhundert", meint Oliver Rathkolb, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des HdGÖ. Globalisierung, Migration, Kommunikation, politische und soziale Umbrüche – alles wieder äußerst relevant. Und schon damals wurden genau in einer solchen Phase Museen gegründet.

Dass Ausstellungen heute nicht mehr für die Ewigkeit gebaut werden, sondern inhaltlich flexibel bleiben müssen, ist unumstritten. Rathkolb verwehrt sich aber gegen einen postmodernen Irrweg, der meint, allen Sichtweisen auf Geschichte Raum geben zu müssen. Museen sind für ihn auch "moralische Anstalten", die unverrückbare Werte wie Demokratie und Frieden vermitteln sollten.

Kontroversen statt Antworten

Am spannendsten sei es, Konflikte auszustellen, meint Gross. Insofern sei es auch interessanter, die historische Einschätzung des Dollfuß/Schuschnigg-Regimes zwischen 1933 und 1938 als Kontroverse auszustellen, denn letztgültig zu beantworten. In dieser "österreichischen Gretchenfrage" sei das derzeit auch noch gar nicht möglich: "Kanzlerdiktatur" als Kompromissbegriff zwischen "Austrofaschismus" und "Ständestaat" habe sich in der Praxis etwa nicht bewährt. Schüler würden mit Kanzlerdiktatur vielmehr Hitler assoziieren, erklärt HdGÖ-Direktorin Monika Sommer.

Um kontroverse Geschichtsdeutungen und deren politische Vereinnahmung ging es auch in einem Vortrag von Ljiljana Radonić. Die Politologin beschäftigt sich mit Erinnerungskultur in postsozialistischen Ländern (Süd-)Osteuropas. Radonić unterteilt drei Gruppen: Jene, die ihre Museen schon früh nach der Wende als Instrumente zur "Anrufung Europas" einsetzten, meist mit der Perspektive auf den EU-Beitritt (Kroatien, Slowakei); jene, in denen die Sowjetverbrechen mit den Nazigreueln gleichgesetzt oder überbetont werden, wodurch es oft zu einer Überlagerung von letzteren komme (baltische Staaten); und jene, in denen ein "autoritärer Backlash" bei der Gedenkkultur festzustellen sei (Ungarn). Radonićs Fazit: "Autoritäre Regierungen attackieren vorhandene Museen, liberale gründen neue."

In diesem Sinne wird Österreichs Regierung auch am Umgang mit seinem Haus der Geschichte zu messen sein. (Stefan Weiss, 5.10.2018)