Kellnerinnen sind übergriffigen Gästen oft schutzlos ausgesetzt.

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Ein Mann hatte versucht, Mara an sich heranzudrücken. Er hatte sie mit einer Hand am Rücken umfasst, mit der anderen am Gesäß zugepackt. So konnte man es später im Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien lesen. Mara (ihr Name wurde von der Redaktion geändert) gelang es mit Mühe, sich loszureißen. Ihr Chef "beruhigte" die aufgebrachte Kellnerin, den Gast wies er aber nicht zurecht.

Mara hat 2017 in einem kleinen Café mit Bar und einigen Tischen gearbeitet. Übergriffe wie dieser waren an der Tagesordnung. Am Tag nach diesem brachialen Übergriff eines Gastes gab es wieder einen Vorfall – mit einem anderen Gast. Diesmal wurde Mara vulgär beleidigt. Der Mann beschimpfte die Kellnerin, "sie sehe aus wie eine Kuh, könne ihm einen blasen, er werde ihre Mutter ficken", heißt es in dem Gerichtsakt.

Fälle wie jener von Mara sind keine Seltenheit. Gerade Kellnerinnen sind oft besonders massiven Übergriffen ausgesetzt. Seltener kommt es vor, dass die betroffenen Frauen den Gang vor Gericht wagen. Das tat Mara, und sie bekam recht. Unterstützt von der Arbeiterkammer, erhielt sie 2500 Euro ausständigen Lohn und weitere 1000 Euro Schadenersatz. Bescheidene Beträge, wenn man bedenkt, dass sie auch bedroht worden war.

Außerhalb der glamourösen Welt

Als sie dem zweiten Gast gesagt hatte, sie würde die Polizei rufen, habe dieser gedroht, dass "dies das Letzte in ihrem Leben sein würde". So steht es in der Urteilsbegründung. Und weiter: Vom Chef des Lokals sei der Klägerin daraufhin mitgeteilt worden, dass das Lokal von den Gästen, nicht aber von den Kellnerinnen lebe. Sie könne ja gehen. Es sei "leichter, eine neue Kellnerin zu finden als neue Gäste". Mara hat ihre Stelle in dem Café vorzeitig verlassen – berechtigterweise, wie ihr das Arbeits- und Sozialgericht bestätigte.

Der Begriff der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz ist seit den 1970er-Jahren bekannt. Doch erst die feministische Juristin Catharine MacKinnon hielt 1979 in Sexual Harassment of Working Women fest, dass es sich um eine Diskriminierung von Frauen handelt – als Resultat männlicher Dominanz. Sie forderte Gesetze, die Frauen schützen.

Berufe wie jener von Mara haben nichts mit der glamourösen Welt des Filmbusiness zu tun, in dem die #MeToo-Debatte vor einem Jahr ihren Anfang nahm. Wenn werktätige Frauen und – viel seltener – auch Männer als Lehrlinge, Arbeiter oder Angestellte sexuell belästigt werden, haben sie weniger Möglichkeiten, ihre Erlebnisse einer breiten Öffentlichkeit mitzuteilen.

Doch die öffentliche Diskussion um #MeToo hat gerade durch ihre prominenten Proponentinnen seit dem vergangenen Jahr alle Gruppen der Gesellschaft erreicht – also auch Betroffene in ganz anderen sozialen Schichten.

Mehr Fälle als im Vorjahr

Das belegen auch die Zahlen, die der Gleichbehandlungsanwaltschaft, also der staatlichen Einrichtung zur Durchsetzung des Rechts auf Gleichbehandlung und Gleichstellung und zum Schutz vor Diskriminierung, vorliegen. "Im Vergleichszeitraum des Vorjahres sind deutlich weniger Menschen zu uns gekommen als im ersten Halbjahr 2018", betont Sabine Wagner-Steinrigl von der Gleichbehandlungsanwaltschaft im Gespräch mit dem Standard. Konkret waren es im Vergleichszeitraum 2017 genau 104 Fälle sexueller Belästigung in der Arbeitswelt gewesen, 2018 waren es 172. Da das Jahr 2018 noch andauert, liegen endgültige Zahlen noch nicht vor. Der Trend dürfte sich aber fortsetzen.

Es scheint, als hätte die öffentliche Debatte die Bereitschaft, sich zu wehren, bei einigen Berufsgruppen besonders erhöht. Wagner-Steinrigl nennt etwa den Kunst- und Kulturbereich – hier allerdings nicht jene Jobs mit Promi- oder Glamourfaktor. Denn auch in diesem Bereich gehen viele Frauen und Männer prekären Jobs nach. Auch Mitarbeiterinnen von Museen waren unter jenen, die nun bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft Hilfe suchten. "Früher gab es da kaum Beschwerden", sagt Wagner-Steinrigl. Betroffene kämen nun auch öfter in Gruppen – oder eine Person, die auch für Kolleginnen spricht, sucht die Anwaltschaft auf.

Gemeinsam Pornos schauen

Was im Vergleich zur Zeit vor der #MeToo-Ära sonst noch auffiel? "Es gibt jetzt Beschwerden aus dem Bereich Zivildienst und Ehrenamt", antwortet die Gleichbehandlungsanwältin, "zwar nicht wahnsinnig viele, aber vorher gab es da überhaupt keine." Dies sei ein Bereich, der vor allem auch junge Männer betreffe. Auch wenn insgesamt die Übergriffe auf Frauen, egal ob verbal oder brachial, noch die überwältigende Mehrheit darstellten.

Bei Zivildienern dürfte es, nach dem aktuellen Eindruck der Gleichbehandlungsanwaltschaft, regelmäßig zu Übergriffen kommen. Die Rede sei beim Ehrenamt auch vom "übergriffigen Vereinsobmann, der verlangt, dass man gemeinsam mit ihm Pornos schaut, oder der jungen Männern an den Po grapscht", erzählt Wagner-Steinrigl. Neu nach #MeToo sei auch, dass hier tätige Männer auch von Übergriffen Vorgesetzter erzählten.

Eine Studie, welche von den Wissenschafterinnen Birgitt Haller und Helga Amesberger für die Arbeiterkammer 2016, also vor #MeToo, erstellt wurde, zeigte da in Details noch ein anderes Bild. Bei Männern kamen Übergriffe nicht nur viel seltener vor, sie berichteten – damals – auch ausschließlich von Belästigungen durch (weibliche und männliche) Kundschaft, nicht aber durch Kollegen und Vorgesetzte. Das ging vom "Bartkraulen" bis zu anzüglichen Sprüchen. Befragt wurden für diese Studie Männer und Frauen im Alter von 16 bis 25 Jahren, die etwa den Beruf einer Köchin, eines Friseurs oder einer Friseurin erlernt hatten, im Catering und im Büro arbeiteten, in der Schule oder an der Uni waren.

Die Frauen, die man 2016 interviewt hatte, berichteten schon damals, von Kollegen, Vorgesetzten und Kunden belästigt zu werden. Ihnen wurde ans Gesäß, an die Brüste, zwischen die Beine gegriffen, sie wurden zu ihren sexuellen Vorlieben befragt oder sogar offen vom Chef aufgefordert, mit ihm zu schlafen.

Erschreckend ist, dass junge Frauen in der Studie erzählen, dass sie eigentlich immer und überall Belästigungen ausgesetzt seien: auf der Straße, in Öffis, im Fitnessstudio, in Lokalen. "Man kriegt echt eine dicke Haut. Wenn so etwas im Alltag oft passiert, dann wundert es einen im Arbeitsumfeld auch nicht mehr so", so eine Befragte in der Studie 2016.

Vielleicht wundern sie sich immer noch nicht. Aber sie beginnen sich zu wehren. (Colette M. Schmidt, 9.10.2018)