Riga – Bei der Parlamentswahl in Lettland zeichnet sich nach Prognosen ein Machtverlust der amtierenden Mitte-Rechts-Regierung ab. Nach zwei Nachwahlbefragungen verlieren die drei Koalitionspartner ihre Mehrheit in der Volksvertretung Saeima. Insgesamt könnten demnach sieben Parteien den Einzug ins Parlament des EU- und Nato-Lands schaffen.

Die Wahlbeteiligung lag nach ersten Informationen bei etwas mehr als 50 Prozent. Erste offizielle Ergebnisse wurden in der Nacht zum Sonntag erwartet.

Nach der Nachwahlbefragung der Nachrichtenagentur Leta zeichnet sich ein Sieg der Oppositionspartei Harmonie ab, deren Stammwähler vor allem aus der starken russischen Minderheit kommen. Die sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnende Partei könne demnach mit 19,4 Prozent der Stimmen rechnen und stärkste Kraft werden. Eine andere Befragung des Internetportals Delfi sieht dagegen die neugegründete Neue Konservative Partei mit 14,5 Prozent vorne.

Dahinter landen jeweils die neu gegründete liberale Partei Für die Entwicklung / Dafür! vor der mitregierenden nationalkonservativen Nationalen Allianz. Die beiden Mitte-Rechts-Koalitionsparteien – das Bündnis der Bauern und Grünen von Ministerpräsident Maris Kucinskis und die liberalkonservative Jauna Vienotiba – bleiben in beiden Befragungen unter 10 Prozent.

Nachwahlbefragungen unzuverlässig

Angaben zur Anzahl an befragten Personen wurden keine gemacht. Die Parteien äußerten sich zunächst vorsichtig zu Prognosen – schon bei den vergangenen beiden Wahlen haben sich die Nachwahlbefragungen als unzuverlässig erwiesen.

Zur Bestimmung der 100 Sitze im Parlament waren gut 1,5 Millionen aufgerufen. Zur neunten Wahl seit der wiedererlangten Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetunion 1991 traten 16 Parteien und Bündnisse an. Meinungsforscher und Experten erwarteten daher bereits im Vorfeld der Abstimmung ein fragmentiertes Parlament. Im Mittelpunkt des Wahlkampfs in der Ostseerepublik standen sozialpolitische Themen.

Regierungschef Kucinskis sprach bei seiner Stimmabgabe von einer "bedeutenden Abstimmung". Der Wahlkampf habe gezeigt, dass es politische Kräfte gebe, die Änderungen an Lettlands gegenwärtiger Sicherheitspolitik und Haltung gegenüber der EU vornehmen wollen, sagte er im Wahllokal.

Hackerangriff

Während der Parlamentswahl wurde das beliebteste Online-Netzwerk des Landes von Hackern angegriffen. Den Nutzern der Website Draugiem.lv wurden am Samstag eine prorussische Botschaft und Fotos russischer Soldaten angezeigt. Wer hinter dem Cyberangriff steckt, blieb zunächst unklar.

"Wir haben mit solchen Zwischenfällen am Wahltag gerechnet", sagte Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics. Es seien Ermittlungen zu der Attacke eingeleitet worden. Solange die Untersuchung andauere, bleibe Draugiem.lv offline, sagte ein Sprecher des Internetdienstes.

Den Nutzern des Netzwerks Draugiem.lv, das in den Nachbarländern als Frype.com bekannt ist, wurde eine Nachricht auf Russisch angezeigt: "Lettische Kameraden, das betrifft euch: Die Grenzen Russlands haben kein Ende." Der Satz erinnert an nationalistische Slogans wie "Russland kann sich jederzeit aussuchen, an welches Land es grenzen will", die nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim verbreitet wurden. Außerdem poppten Fotos von russischen Soldaten auf der Krim, Panzern in Moskau und Kreml-Chef Wladimir Putin auf den Bildschirmen auf.