Die Hochöfen glühen, die Weltwirtschaft muss wachsen. Muss sie? Die Antwort darauf ist zwiespältig.

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Es sei, so heißt es in einem für die Wachstumsdebattewichtigen Text, "eine völlige Verwirrung der Ideen zu glauben, dass der wirtschaftliche Gebrauch von Treibstoff mit seinem verminderten Konsum gleichzusetzen ist. Das genaue Gegenteil ist der Fall." Das stammt nicht aus einem Pamphlet von Greenpeace, sondern aus einem Buch, das 1865 (!) erschienen ist: "The Coal Question" von William Stanley Jevons.

Eine wirtschaftlichere Nutzung von Kohle, so der britische Ökonom, könne deren Verbrauch gerade nicht reduzieren. Der wirtschaftlichere Einsatz selbst sei es, der zu einer Verbrauchszunahme führe – heute nennt man dieses Phänomen Jevons-Paradox oder Rebound-Effekt. Dieser Effekt führt dazu, dass relative Effizienzsteigerungen nicht zu einer absoluten Reduktion des Verbrauchs führen, weil auf die mit Effizienzverbesserungen verbundenen Kostenreduktionen mit Verbrauchserhöhungen reagiert wird. Dass man im STANDARD (29./30. September) einen Text über Wachstum lesen muss, in dem dieser grundlegende Zusammenhang unerwähnt bleibt, ist frustrierend.

Welches? Wo? Für wen?

Schon die Überschrift des Beitrags lässt wenig Freude aufkommen: "Warum Wachstum gut ist". Dass Wachstum immer und überall "gut" sei, glaubt zwar die Politik – das macht diese Position in ihre Undifferenziertheit aber nicht besser. Naiver Technikoptimismus ist angesichts ökologischer und sozialer Herausforderungen so wenig hilfreich wie moralinsaure Wachstumskritik. Statt Parolen wie "Wachstum ist gut" oder "Wachstum ist schlecht" in die Welt zu posaunen, sollte man die richtigen Fragen stellen: welche Art von Wachstum? Für wen? Und nicht zuletzt: wo? Drei Prozent Wachstum bedeuten in einem armen Land südlich der Sahara etwas völlig anderes als in einem Schwellenland oder EU-Staat. Man sollte den Gedanken auf sich wirken lassen, dass es in reichen Ländern so etwas wie "unwirtschaftliches Wirtschaftswachstum" (Herman Daly) geben kann.

Und abgesehen davon, dass der globale Ressourcenverbrauch schon heute über 90 Milliarden Tonnen liegt, spricht vieles dagegen, dass "entkoppeltes Wachstum" das Spannungsfeld von Wirtschaft und Umwelt harmonisch auflösen könnte. Strategien, die auf Technologie und Entkopplung setzen, sind durch den erwähnten Rebound-Effekt begrenzt. Dazu kommt, dass Wirtschaftswachstum selbst – das ja auch in Zeiten von Klimaabkommen und globalen Nachhaltigkeitszielen als Politikziel nicht aufgegeben wird – ein wichtiger Treiber ökologischer Probleme ist.

Unbeeindruckt von Empirie

Wovon sich die Politik ebenfalls weitgehend unbeeindruckt zeigt, ist die Empirie. Und deren Botschaft lautet ganz eindeutig: Der technologiebasierte Traum von der Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Umweltverbrauch findet nicht statt – das Gegenteil ist der Fall, wie die Arbeiten des Wiener Nachhaltigkeitsforschers Stefan Giljum und seines Teams an der Wirtschaftsuniversität Wien zeigen. Von den 1970er-Jahren bis zur Jahrhundertwende wurde global gesehen tatsächlich eine Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftsleistung erreicht – aber nur eine relative Entkopplung. Die Welt benötigte im Jahr 2000 zwar etwa ein Viertel weniger Ressourceninput, um einen Euro Wertschöpfung zu erzeugen, als 30 Jahre davor.

Das Bruttoinlandsprodukt ist jedoch im gleichen Zeitraum so sehr gewachsen, dass die Effizienzgewinne deutlich überkompensiert wurden. Und angesichts der globalen Situation und der technikbasierten Entkopplungsfantasien überaus dramatisch, wie sich zeigt: Seit dem Jahr 2002 ist nicht einmal mehr eine relative Entkopplung zu beobachten – der globale Ressourcenverbrauch wächst in den letzten 15 Jahren sogar schneller als das Bruttoinlandsprodukt! Wir erleben also das Gegenteil von Entkopplung; der Fachbegriff dafür lautet "Re-Coupling".

Grünes Wachstum

All das schließt natürlich nicht prinzipiell aus, dass wir in der Zukunft "grünes Wachstum" erleben könnten. Aber vor den realen Entwicklungen die Augen zu verschließen und angesichts von Rebound- und Wachstumseffekten weiterhin undifferenziert auf Wirtschaftswachstum zu setzen ist naiv und gefährlich. Natürlich wäre es auch naiv und gefährlich, angesichts globaler Massenarmut den Ländern des Südens zu raten, auf Wachstum zu verzichten. Doch gerade weil im globalen Süden Wachstum schon aus humanitären Gründen unverzichtbar ist, sollten reiche Länder sich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie in einer endlichen Welt erfolgreiches Wirtschaften möglich ist, das eine hohe Lebensqualität sicherstellt, ohne auf Dauerexpansion angewiesen zu sein.

Denn: Unsere "imperiale Lebensweise" (Brand/Wissen) stößt an ihre Grenzen – sie geht an ihrem eigenen Erfolg zugrunde. Aufgrund der ökologischen Probleme wird sich diese Lebensweise fundamental wandeln müssen. So notwendig eine Kritik der Wachstumskritiker ist: Wenn Björn Lomborg sagt, diese könnten keine Prioritäten setzen, liegt er ganz falsch – denn die notwendige Transformation wird nicht allein durch Technologie erreicht werden, sondern bedarf des Mutes, vermeintliche Selbstverständlichkeiten wie "Wachstum ist gut" infrage zu stellen. (Fred Luks, 7.10.2018)