Für Christine Blasey Ford ist ihr Albtraum Realität geworden: 36 Jahre hat sie darüber geschwiegen, was ihr im Alter von 15 Jahren widerfahren ist – aus Angst, dass ihr nicht geglaubt wird. Nun, nachdem sie vor Millionen TV-Zusehern doch unter Eid davon erzählt hat, hat es der US-Senat quasi amtlich gemacht: Ihr Wort zählt nicht gegen jenes des erzkonservativen Juristen Brett Kavanaugh, dem sie versuchte Vergewaltigung vorgeworfen hat.

Das ist nicht nur für Blasey Ford vernichtend, sondern für jedes Opfer, das mit dem Gedanken spielt, einen sexuellen Übergriff zur Anzeige zu bringen. Wer kann nun noch Vertrauen haben, dass ihr oder ihm geglaubt wird, wenn Aussage gegen Aussage steht? Und, noch schlimmer: Welcher Täter, der sich nicht ganz dumm anstellt, wird jetzt noch Konsequenzen befürchten – zumindest dann, wenn er ein mächtiger weißer Amerikaner ist?

Nicht politisch unabhängig

Die Republikaner, sie sind die politische Heimat von US-Präsident Donald Trump, argumentieren mit der Unschuldsvermutung – wissend, dass Kavanaugh nicht vor Gericht stand, sondern sich einem Hearing für einen Höchstrichterposten auf Lebenszeit stellte. Doch für ein solches Amt sollte es nicht reichen, bloß im Zweifel unschuldig zu sein. Es wäre stattdessen nötig, über alle Zweifel erhaben zu sein. Und das ist Kavanaugh nicht – das weiß jeder, der die Anhörungen verfolgt hat. Erhebliche Zweifel bestehen nicht nur an seiner Unschuld im Jahr 1982, sondern auch daran, ob er dieser Tage unter Eid bei eigentlichen "Nebenaspekten" die Wahrheit gesagt hat – etwa in puncto Alkoholkonsum oder Jahrbucheinträge.

Und schon gar nicht gelang es Kavanaugh, bei der zentralen Anforderung für das Höchstgericht über alle Zweifel erhaben zu sein: jener der politischen Unabhängigkeit, dass er also strikt nach Gesetzeslage statt nach Parteivorlieben entscheiden würde.

Niedrige moralische Latte

Doch der wichtigste Punkt ist und bleibt der Umgang mit Opfern sexueller Übergriffe. 27 Jahre nach der erniedrigenden Befragung der Rechtsprofessorin Anita Hill in einer ähnlichen Causa im US-Justizausschuss haben die Republikaner zwar auf die Optik geachtet und eine auf Sexualdelikte spezialisierte Staatsanwältin die Fragen stellen lassen; doch die wütenden Tiraden von Ausschussmitgliedern sowie der in aller Öffentlichkeit vorgebrachte Spott des US-Präsidenten über das mutmaßliche Opfer zeigen, dass den Republikanern keine moralische Latte zu niedrig ist, wenn es darum geht, die USA – auch die unabhängige Justiz – unter ihre Kontrolle zu bringen. Und dass sie Opfer, egal wie glaubwürdig sie sich präsentieren, nicht ernst nehmen, wenn damit ihre Politik, ihre Macht, ihr Einfluss gefährdet sind.

Das ist ein Schlag ins Gesicht jedes Opfers sexueller Übergriffe, statistisch zumindest eine von zwei Frauen in den USA. Doch sie und alle, die sich mit ihnen solidarisieren, haben die Chance, die Republikaner dafür zu bestrafen: an den Urnen bei den Midterm-Wahlen im November. (Noura Maan, 7.10.2018)