In der Nähe des saudischen Konsulats in Istanbul fordern Demonstranten Aufklärung über das Schicksal von Jamal Khashoggi.

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Der Journalist wurde zuletzt am 2. Oktober gesehen.

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Zum Verschwinden von Jamal Khashoggi – der am Dienstag das saudi-arabische Konsulat in Istanbul betrat und nicht mehr herauskam – sind aus türkischen Quellen in der Nacht auf Sonntag Informationen durchgesickert, die nach einem "Verbrechen aus einer anderen Epoche" klingen – so der Generalsekretär von Reporter ohne Grenzen, Christophe Deloire: Demnach sei der Journalist, der zuletzt die saudische Führung durch seine publizistische Kritik verärgerte, im Konsulat ermordet worden.

Dazu sei extra ein 15-köpfiges Team aus Saudi-Arabien angereist. Der Tote sei zerstückelt und sofort im diplomatischen Gepäck abtransportiert worden.

Saudi-Arabien dementiert aufs Entschiedenste. Die türkischen Behörden haben bis Sonntagmittag nichts vorgelegt, das diese Version erhärten würde. Aber türkische Offizielle, etwa Yasin Aktay, Berater von Präsident Tayyip Erdoğan in der AKP, wiederholten die Geschichte vor Journalisten. Erdoğan selbst schien am Sonntagnachmittag jedoch zu widersprechen: Er hoffe noch auf positive Nachrichten von Khashoggi.

Im saudischen Konsulat, einem weitläufigen Gebäude, konnte sich am Samstag ein Reuters-Team umsehen. Es sah auch Kameras, die aber, hieß es, nicht aufgenommen hätten. Es scheint keine Bilder davon zu geben, wie Khashoggi das Konsulat verlässt.

Lebensgefährtin wartete vergeblich

Vor dem Konsulat hatten seine Lebensgefährtin Hatice C. und ein Freund Dienstagnachmittag vergeblich auf ihn gewartet. Khashoggi hatte, so heißt es, die diplomatische Vertretung Saudi-Arabiens mit einiger Sorge betreten, er brauchte jedoch Papiere für seine Verehelichung mit C. Laut saudischem Generalkonsul hat er das Konsulat regulär verlassen.

Der prominente 59-jährige Journalist und ehemalige Medienmanager hatte 2017 Saudi-Arabien verlassen, nachdem man ihm dort einen Maulkorb umgehängt hatte. Seitdem schrieb er seine kritischen Kommentare vor allem in der Washington Post. International solidarisieren sich nicht nur Journalisten, sondern viele Nahostexperten mit ihm. Khashoggi war in vielen Foren zu Gast, die sich mit der Region befassen, in Wien etwa beim Bruno-Kreisky-Forum.

Gefährliche Kritik

Es gibt auch Überlegungen, dass bei der versuchten Festnahme Khashoggis etwas schiefgegangen sein könnte. In den vergangenen Tagen kursierte vor allem der Verdacht, dass er verschleppt worden sein könnte, um in Saudi-Arabien vor Gericht gestellt zu werden. Auch für diese Vermutung gab es keine Beweise. Saudische Kritiker – dazu müssen sie nicht einmal echte Dissidenten sein – werden oft mit schwerwiegenden Anklagen wie Verrat und Terrorismusunterstützung verfolgt.

Kronprinz Mohammed bin Salman sagte in einem Interview mit Bloomberg, er wisse nichts über Khashoggis Verbleib. Auf die Frage, ob dieser angeklagt werden sollte, sagte der Königssohn, zuerst müsse geklärt werden, wo er ist. Das ist kein Nein. Khashoggi hatte vor allem die neue Politik Saudi-Arabiens kritisiert, deren treibende Kraft der Kronprinz ist.

Bei der Bewertung der Gerüchte sollten auch die angespannten Beziehungen zwischen der Türkei und Saudi-Arabien mitbedacht werden. Die Länder stehen in Syrien, aber auch etwa beim Konflikt um Katar auf unterschiedlichen Seiten. Am Wochenende tauchte auf Twitter ein Hashtag auf, der insinuiert, dass das Emirat Katar Khashoggi entführt haben soll. (Gudrun Harrer, 7.10.2018)