Vor 45 Jahren begann der Jom-Kippur-Krieg.

Foto: Imago/Xinhua

Spion oder Doppelagent: Ashraf Marwan.

Foto: Wikipedia

Beim "Engel" stecke der Teufel im Detail, schimpft ein unzufriedener Kritiker über eine Netflix-Premiere, die zur 45. Wiederkehr des Jom-Kippur-Kriegs eine der großen Agentenstorys des 20. Jahrhunderts aufgreift: die Geschichte von Ashraf Marwan, der den Mossad jahrelang mit ägyptischen Militärgeheimnissen versorgte und Israel auch vor dem Angriff Ägyptens und Syriens auf dem Sinai und auf dem Golan am 6. Oktober 1973 warnte.

"The Angel" – so sein Codename, und so heißt auch Uri Bar-Josephs Buch über den Fall, auf dem der Film basiert – war aber nicht irgendein Ägypter: Ashraf Marwan war der Schwiegersohn von Präsident Gamal Abdel Nasser und einer der engsten Mitarbeiter und Vertrauten von dessen Nachfolger Anwar al-Sadat.

Noch immer scheiden sich die Geister an Ashraf Marwan, wie man auch an der Rezeption des Films (Regie: Ariel Vromen) ablesen kann. Von "systematischer Geschichtsfälschung" ist in Ägypten die Rede. Aber damit ist nicht gemeint, dass sich die amerikanisch-israelische Produktion nur locker an die Biografie Marwans hält – sondern dass er nicht als Doppelagent dargestellt wird.

Ungeklärte Todesursache

In Ägypten sind viele davon überzeugt, dass nicht Ägypten verraten, sondern Israel hereingelegt wurde: Ashraf Marwan sei demnach ein "Held" und "ägyptischer Patriot" gewesen. Als solcher wurde er 2007 auch zu Grabe betragen. Er war aus ungeklärter Ursache vom Balkon seiner im fünften Stock gelegenen Londoner Wohnung gestürzt.

Die Identität des geheimnisvollen Spions war in den Jahren zuvor geleakt und kurz vor Marwans Tod bestätigt worden. Dahinter stand Israels ehemaliger Militärgeheimdienstchef Eli Zeira: Er bestritt die Nützlichkeit der von Marwan gelieferten Informationen – Teil des Versuchs, die Verantwortung dafür abzuschieben, dass Israel sich trotz der Warnungen im Oktober 1973 hatte überraschen lassen.

Auf der anderen Seite steht Ex-Mossad-Chef Zvi Zamir, der stets von der Authentizität Ashraf Marwans überzeugt war: Die Qualität der Informationen sei zu gut für die eines Doppelagenten gewesen, ist nur eines seiner Argumente. Die beiden trugen auch einen Rechtsstreit darüber aus.

Was 1973 verhinderte, dass Israel die Zeichen an der Wand verstand, war nach dem Krieg Gegenstand der Untersuchung der Agranat-Kommission. Marwan gab recht präzise Informationen, erfuhr allerdings auch erst unmittelbar vor Kriegsausbruch das genaue Datum. Immer wieder gibt es neue Details zu den dramatischen Stunden: So deklassifizierte Israel vor wenigen Wochen die Information, dass Zamir im letzten Moment Marwans Kriegswarnung, die man dann doch ernst nahm, veröffentlichen wollte, um die Ägypter vielleicht doch noch vom Angriff abzuhalten.

Geheimdienste und ihre Thesen

Historisch ist das der wichtigste Teil der Geschichte: wie Geheimdienste eine These aufstellen und daran festhalten, obwohl sich die Parameter quasi vor ihren Augen verändern. Die Annahme war, dass Ägypten nicht angreifen würde, solange es nicht Langstrecken-Kampfflugzeuge und Scud-Raketen hätte. Deshalb wurden auch die syrischen Kriegsvorbereitungen nicht ernst genommen – denn die Syrer würden ja nicht alleine losschlagen.

Am Entstehen dieser "Konzeptzia" war Ashraf Marwan mit seinen Informationen selbst beteiligt. Aber laut Zamir lieferte er sehr wohl auch die Informationen, die sie hätten infrage stellen sollen – und wurde nicht gehört.

Die zweite große Frage war stets, warum Sadat überhaupt in den Krieg ging. Mittlerweile ist geklärt, dass der ägyptische Präsident wusste, dass der Krieg nicht zu gewinnen war: Israel gelang es ja relativ rasch, den Spieß umzudrehen, auch das teilweise mithilfe von Marwans Informationen.

Sadat Ziel war, Diplomatie zu erzwingen, um den Sinai zurückzuholen. Genau das ist ihm auch gelungen. Im Film wird daraus eine Heroengeschichte rund um den Spion: Er hat das Gute – nämlich Frieden – im Sinn.

Womit man zur persönlichen Geschichte kommt: Was hat den Ehemann von Mona Abdel Nasser wirklich angetrieben? Da war offenbar vor allem die Verachtung seines Schwiegervaters, der den ehrgeizigen jungen Mann zu einem besseren Bürodiener degradierte und seine Tochter sogar einmal zur Scheidung zwingen sollte: Ashraf hatte peinliche Schulden gemacht, bei Mitgliedern der kuwaitischen Herrscherfamilie.

Riesiges Vermögen

Noch zu Lebzeiten Nassers kontaktierte Marwan die israelische Botschaft in London. Er wurde von den Israelis bezahlt, gut, aber – so Bar-Joseph – auch nicht übermäßig. Sein riesiges Vermögen begann er als Sadats Verbindungsmann zu Libyen und Saudi-Arabien aufzubauen. Er trieb es mit seinen Geschäften jedoch so bunt, dass Sadat auf Klagen letztlich reagieren und ihn aus seinem engsten Kreis entfernen musste. Nach der Ermordung Sadats übersiedelte Marwan endgültig nach London und häufte weiter Vermögen an. Bis Ende der 1990er-Jahre war er mit dem Mossad in Kontakt.

Die Familie glaubt, dieser habe Ashraf Marwan umgebracht. Es könnten aber auch jene gewesen sein, die ihn offiziell einen Helden nannten. (Gudrun Harrer, 8.10.2018)