"Wir sind auf dem Weg in eine 'Über-drei-Grad-Celsius-Welt'", sagt Mojib Latif, der sich am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel mit Klimadynamik beschäftigt. Er bezieht sich auf den neuen Sonderbericht des Weltklimarates (IPCC), der am Montag veröffentlicht wurde und pünktlich vor der Klimakonferenz im polnischen Kattowitz im Dezember für Gesprächsstoff sorgt. Denn die bisherige Erwärmung von etwa einem Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit ist laut Klimaforschern bereits erreicht.

Der Weltklimarat sendet mit dem neuen Bericht aber auch ein Zeichen der Hoffnung. Mit einer raschen und drastischen Reduktion der Emissionen sei demnach eine Eingrenzung des globalen Temperaturanstiegs auf unter 1,5 Grad Celsius noch zu schaffen. Nach aktuellem Forschungsstand sind die Folgen der Klimaveränderungen dann noch beherrschbar.

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Mehr Zeit als erwartet

Eine zentrale wissenschaftliche Neuerung ist die Erkenntnis, dass das Emissionsbudget, das zur Erreichung des 1,5-Grad-Ziels noch zur Verfügung steht, um etwa zwei Drittel größer, ist als bislang geschätzt. "Diese Neueinschätzung beruht auf dem substanziellen Erkenntnisfortschritt, der in der Forschung seit 2013 stattgefunden hat. Allerdings bedeutet diese zusätzlich gewonnene Zeit keinesfalls, dass man die Hände in den Schoß legen kann, wenn man die Klimaziele erreichen will", sagt Jochem Marotzke, Direktor der Forschungsabteilung Ozean im Erdsystem am Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Denn an dem, was die Nationalstaaten laut Pariser Klimaschutzabkommen leisten sollten, ändert das nichts. Erstmals wird im Bericht auch erstaunlich deutlich 2050 als globales Ausstiegsjahr für alle CO2-Emmissionen genannt.

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Die Erde hat sich bereits um ein Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit erwärmt, stellen Forscher im neuen Weltklimabericht fest. Rasche und drastische Maßnahmen sind nun notwendig. Im Bild ist der Poopó-See in den Anden in Bolivien zu sehen. Er wurde 2015 für ausgetrocknet erklärt. Er zeigt, dass sich die Natur manchmal wieder erholen kann: Im Februar 2017 wurde er durch starke Sommerregen zu einem großen Teil wieder aufgefüllt. Zurzeit werden wieder Jungfische ausgesetzt.
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Auch Zentraleuropa betroffen

"Der Bericht zeigt auch, dass die Folgen des Klimawandels nicht 'weit weg' sind, sondern bereits den Mittelmeerraum und Zentraleuropa betreffen", sagt die Biologin Renate Christ, die viele Jahre das Sekretariat des UN-Weltklimarats geleitet hat. Die derzeitigen Anstrengungen, auf die sich die Staaten im Klimavertrag von Paris 2015 geeinigt haben, werden nicht reichen, sagt sie und ergänzt: "Selbst wenn alle erfüllt werden."

Hinsichtlich der österreichischen Klimapolitik meint die Biologin: "In Österreich bewegen wir uns noch im Rahmen einer Klimapolitik, die für die 90er-Jahre angebracht war. Leuchtturmprojekte und das Pochen auf Freiwilligkeit sind nicht genug."

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Ein Punkt im IPCC-Bericht, der für Diskussionen sorgt, ist die sogenannte Carbon-Capture-and-Storage-Technik. Dabei wird, kurz ausgedrückt, CO2 unter der Erde gelagert, statt es in die Atmosphäre zu entlassen. Laut Forschern müssten zwischen 100 und 1.000 Gigatonnen CO2 im Boden gelagert werden. "Die Gesetzeslage lässt die Technik in Österreich zum Beispiel gar nicht zu", sagt Christ.

Auch global gesehen sei das Verfahren bislang in industriellem Maßstab nicht erfolgreich gewesen, "geschweige denn absehbar, dass Biomasse unter der Berücksichtigung der Konkurrenz zur Nahrungs- und Futtermittelproduktion in ausreichendem Umfang produziert werden kann", ergänzt Jakob Wachsmuth vom Competence-Center Energiepolitik und Energiemärkte am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe.

"Wandel schnell möglich"

"Es zeigt sich im aktuellen Bericht wieder klar, wie sehr wir im Verzug sind, unseren Treibhausgasausstoß zu reduzieren", sagt Volkswirt Karl Steininger von der Universität Graz. Auch in Österreich ist der CO2-Ausstoß in den vergangenen drei Jahren wieder gestiegen, kritisiert er.

Die Geschichte zeige aber auch, dass Technologiewandel in kurzer Zeit möglich sei, sagt Mojib Latif. Beispiele wären der Übergang vom Pferdewagen zum Automobil oder vom Festnetz zum Smartphone, sagt er. Eine Veränderung im Energieverkehrssystem und im Lebensstil könne zudem viele positive Seiten haben, betont Renate Christ: "Ein Schneller, Größer und Teurer macht uns ja auch nicht wirklich glücklich." (Julia Schilly, 8.10.2018)