Es sei nichts weniger als Willkür, was viele Asylwerber in österreichischen Behörden erleben müssen: Das ist der Tenor von Juristen und Rechtsberatern, die Sonntagabend in einer gemeinsamen Veranstaltung mit Künstlern zu einer Lesung aus Asylbescheiden ins Wiener Theater in der Josefstadt luden.

Koorganisator Oliver Scheiber, selbst Richter und Vorsteher am Bezirksgericht Wien-Meidling, betonte zwar, dass man kein "Behördenbashing" betreiben wolle und Respekt vor der Arbeit der Asylbeamten habe. Trotzdem seien die jüngsten Skandale rund um beleidigende und schwulenfeindliche Asylbescheide mehr als nur Einzelfälle – es gebe strukturelle Mängel im System.

"Betrifft uns alle"

Das bestätigte auch Christian Schmaus, auf Fremdenrecht spezialisierter Anwalt in Wien. Betroffene hätten oft nicht die Möglichkeit, vor der Behörde alle wesentlichen Punkte vorzubringen, die für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein könnten. Dazu kommen ein oft respektloser Ton und eine inkorrekte Begründung im Bescheid. Vielen Asylwerbern werde ein faires Verfahren vorenthalten. Das gehe alle Bürger an, so Schmaus: "Wenn das Fundament des Rechtsstaats untergraben wird, dann kracht es irgendwann auch im Gebälk – und das trifft uns alle."

Die Kritik an den Behörden sei nicht aufs Ergebnis der Verfahren gerichtet, sagen die Juristen unisono: Ein Asylantrag sei abzulehnen, wenn keine Schutzgründe vorliegen. Derzeit komme es aber immer wieder vor, dass diese Gründe gar nicht oder nur einseitig beleuchtet werden. Und das, obwohl es in Asylverfahren um Existenzielles – nämlich um den Schutz vor Folter und Gewalt – gehe.

Generalverdacht

Die auszugsweise vorgelesenen Asylbescheide – die "Staatskünstler" Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader übernahmen diesen Part – machten deutlich, wie präsent der Generalverdacht ist, der Asylsuchenden in Behördengesprächen oft entgegenschlägt. So hieß es gegenüber einem Betroffenen, der von politisch motivierten Morddrohungen in seinem Herkunftsland erzählt hatte, er wirke unglaubwürdig: Denn, so der Beamte, es sei nicht realistisch, dass jemand einen Drohbrief ohne Stempel, Unterschrift und Zeitangabe hinterlasse. Der Asylantrag des Betroffenen wurde deshalb abgelehnt.

Rechtsanwaltskammer-Präsident Rupert Wolff betonte, dass es im Asylverfahren "um Menschenleben geht". Man brauche deshalb gute Dolmetscher und eine möglichst gute Rechtsvertretung. Mia Wittmann-Tiwald, Grundrechtesprecherin der Richtervereinigung, sprach sich für eine durchgehende Anwaltspflicht im Asylverfahren aus.

Weitere Forderungen der Juristen: eine Weisungsfreiheit für Asylbeamte, Supervision für Personen, die über Asylverfahren entscheiden, sowie audiovisuelle Aufzeichnung von Asyl-Interviews, um nachträgliche Beweisprobleme zu vermeiden. Das helfe nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Behörde, ist Wolff überzeugt.

Der Abend im Josefstadt-Theater solle der Startschuss für eine längerfristige Initiative namens "Gegen Willkür" sein, kündigte Koveranstalter Daniel Landau an. Der Reinerlös des Abends kommt den Initiativen Queer Base und Asyl in Not zugute. (Maria Sterkl, 8.10.2018)