Ungewohnt für eine Buchmesse: Das Publikum gibt 2017 bei einer Lesung und Podiumsdiskussion mit Thüringens AfD-Politiker Björn Höcke seinem Unmut Ausdruck.

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Alles begann mit einer Krise. Als sich 1949 zum ersten Mal nach Ende des Kriegs die Aussteller in den Weiten der Pauluskirche verloren, war die Stimmung in der Branche nicht gut. Einerseits hatte der Eiserne Vorhang die einstige Verlagshauptstadt Leipzig von Westdeutschland getrennt, andererseits war der Buchverkauf, der allen Prognosen entgegen in den ersten Friedensjahren geboomt hatte, gewaltig eingebrochen. Dies unter anderem, weil die potenziellen Leser ihr Geld nach der Aufhebung der Rationierung in lange entbehrte Lebensmittel investierten.

Hantieren mit Superlativen

205 Aussteller sowie 15.000 Besucher verzeichnete damals die erste Ausgabe der Buchmesse. 1950 waren es schon 450 Verlage. Seither ist man bei der Frankfurter Buchmesse gewohnt, mit Superlativen zu hantieren. Dieses Jahr werden zur 70. Frankfurter Buchmesse, die heute von EU-Außenkommissarin Federica Mogherini eröffnet wird, 7309 Verlage aus 102 Ländern und eine Viertelmillion Besucher sowie 9000 Journalisten erwartet.

Dass bei den Organisatoren der weltweit größten Buchmesse in der Stadt am Main trotzdem keine richtige Feierstimmung aufkommen will, hat mit den Problemen zu tun, die die deutschsprachige Buchbranche lange Zeit auszusitzen versuchte. 6,4 Millionen Käufer hat der deutsche Buchmarkt in den letzten fünf Jahren verloren, das sind 18 Prozent der Kunden. Sie sind weg, abgewandert ins Internet, zu Netflix, in die sozialen Medien, vermutet der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Abgesagte Messefeste

Auch die Umsätze, die zunächst von "Intensivlesern", die mehr Bücher kauften, stabilisiert wurden, kommen ins Rutschen. Nach einem Umsatzminus von 1,6 Prozent im Jahr 2017 ist der Umsatz des Buchhandels auch in den ersten acht Monaten 2018 gefallen. Um ein Prozent. Letzteres mit Folgen für die Buchmesse, denn während mehr Verlage aus den USA nach Frankfurt reisen und Südostasien und auch Afrika so stark wie nie vertreten sind, lassen deutsche Verlage aus. So wird die Ganske-Gruppe (Gräfe und Unzer, Hoffmann & Campe) heuer nicht an der Messe teilnehmen.

Zudem verzichten die deutschen Großverlage S. Fischer und Hanser auf ihre Messefeste, die als imageträchtige Treffpunkte von Autoren, Journaille und Verleger gelten. Auch der Rowohlt-Verlag, der in den letzten Wochen ins Gerede geriet, weil er unter Autorenprotesten seine Verlegerin Barbara Laugwitz durch den publikumswirksameren Mann und Generation Golf-Autor Florian Illies ersetzte, mag seine jährliche Party nicht abhalten.

Als wären der schlechten Zeichen nicht genug, musste der linke Frankfurter Stroem feld-Verlag vor wenigen Tagen Insolvenz anmelden. Viele sehen das Ende des Hauses mit dem roten Stern, das mit historisch-kritischen Ausgaben von Hölderlin, Trakl und Kleist Editionsgeschichte schrieb, als Symptom eines Umbruchs, der darin besteht, dass Bibliotheken, bisher die wichtigsten Kunden solcher Verlage mit kostenintensiven Bänden, Bücher digitalisieren – und die digitale Fassung an andere Bibliotheken weitergeben.

Business as usual

Unter dem Motto "Business as usual" werden indes auch heuer an der Frankfurter Buchmesse im Rechte- und Lizenzensektor gewichtige Deals abgeschlossen und neue Technologien vorgestellt, die im weitesten Sinn mit "Storytelling" zu tun haben. Allerdings hat sich die Buchmessen-Kampfzone in den letzten Jahren vermehrt von der Ökonomie zur Politik ausgeweitet. Das Stichwort dazu: rechte Verlage.

So kam es 2017 am Stand des von Götz Kubitschek, einem Ex-Soldaten mit AfD-Nähe, geleiteten Verlags mit dem schönen Namen Antaios zu Tumulten, die argumentativ meist auf dem Niveau "rechte" oder "linke Sau" ausgetragen wurden. Ähnliches geschah im Frühjahr in Leipzig im Umfeld der fünf Kleinverlage, die mit ihren zu weilen den Geruch von Kasernenschweiß verströmenden Programmen die Breite des Meinungskorridors ausloten.

Juergen Boos, Chef der Frankfurter Buchmesse, beruhigte kürzlich. Man habe das Sicherheitskonzept angepasst und die zwei einschlägigen Aussteller (Antaios kommt nicht, Junge Freiheit und Ahriman-Verlag sind dabei) in Hallenecken und Sackgassen positioniert. Das wird für eine Messe, die sich als "The World Capital of New Ideas" preist, nicht genug sein.

Spiel mit Aufmerksamkeit

Längst haben gewisse Kreise, die sich gern als Opfer des Meinungsmainstreams stilisieren, begriffen, wie das Aufmerksamkeitsspiel funktioniert. Auch das der Medien, die gern über Skandale aller Art berichten. Die Schriftstellerin Eva Menasse, selbst lange Journalistin, sprach kürzlich in einer Rede zur Eröffnung des Berliner Literaturfestivals von einer "militanten Intoleranz" und von Humor, "den wir den Rechten früher voraushatten". In der Tat könnten etwas mehr Gelassenheit, Vertrauen in die eigenen Argumente und der Verzicht auf den Einsatz der Moralkeule in der Auseinandersetzung mit jenen nottun, die zwar den guten Geschmack, aber nicht das Grundgesetz verletzen. Eine Buchmesse wäre dazu nicht der schlechteste Ort.

Denn gerade die diskussionslose Ächtung bescheinige den "Rechten gratis eine Stärke, die sie sonst unter Beweis stellen müssten", schreiben Leo/Steinbeis/Zorn im Buch Mit Rechten reden. Während Thilo Sarrazin, dessen Feindliche Übernahme mit 150.000 verkauften Exemplaren gerade die Bestsellerlisten stürmt, seinen Messe besuch androht, plant man in Frankfurt für Samstag Großes. Nämlich einen Weltrekord, falls mehr als 1000 als Harry Potter verkleidete Personen auf das Messegelände kommen. Wir sind gespannt. (Stefan Gmünder, 9.10.2018)