London – Für Außenstehende bleibt der Kunstmarkt oftmals ein Buch mit sieben Siegeln, seine Gesetze und Mechanismen kaum nachvollziehbar. Etwa auch aktuell. Manche wähnen in der Schredder-Aktion eine von Banksy herbei geführte Zerstörung, um das Werk dem Markt zu entziehen. Dafür spricht die vom Künstler über Instagram ins Spiel gebrachte Versteigerungsformel "going, going, gone". Ihre Ironie ist nur im Original nachvollziehbar, das endgültige "gone" im Sinne für "verloren".

Andere meinen, das Gegenteil sei der Fall: Das tatsächlich nur zur Hälfte zerschnipselte Bild sei durch diese öffentliche Performance überhaupt erst fertiggestellt worden: via Fernbedienung, kontrolliert und nicht bis zur vermeintlich vollständigen Vernichtung. Dazu der multifunktionelle Rahmen mit eingebautem Mechanismus, der sich als Bestandteil des Werkes entpuppte.

Voilà: Ein Unikat, dessen Wert sich innert weniger Minuten erhöhte, weit über den offiziellen Zuschlag hinaus, der, welch Zufall, den neuen Auktionsrekord markiert. Kunstmarktökonomen schätzen den neuen Marktwert wenigstens auf das Doppelte. Wieso? Weil diese Fassung des Ballonmädchens nun im OEuvre des Künstlers ein Alleinstellungsmerkmal hat. Zumal Banksy den Markt als Akteur in das Brimborium involvierte. Dass Künstler dessen Gesetze und Mechanismen längst für sich zu nutzen verstehen, ist kein Novum, aber eine vergleichsweise junge Disziplin.

Ein Internetnutzer hat die Wertsteigerung visualisiert.
Foto: Facebook

Ehedem waren die Rollen klar verteilt: Um von ihrem Schaffen leben zu können, waren Künstler auf Auftraggeber und Käufer angewiesen. Später kamen Kunsthändler und Galerien hinzu, die ihre Schützlinge förderten, vermarkteten und deren Werke sie gegen eine satte Beteiligung vermittelten. Von den schnöden Alltagssorgen befreit, konnte sich der Künstler auf sein kreatives Schaffen konzentrieren. Damit gerieten sie allerdings in eine Abhängigkeit. Denn der Zugang zu den Käufern blieb ihnen in der Regel verwehrt.

Insofern haben sich die Usancen am Primärmarkt wenig verändert, sieht man von Stützungskäufen seitens Galeristen bei Auktionen ab. Der Sekundärmarkt ist vielen Künstlern ein Dorn im Auge: Weil sie keinen Einfluss darauf haben, ob und wann ehemalige Käufer Werke zu welchem Preis wieder verkaufen. Von dabei generierten Wertsteigerungen profitieren sie nie direkt.

Insofern war es nur eine Frage der Zeit, wann Künstler die Strukturen und Mechanismen des Marktes für sich nutzen. Nicht nur hinter den Kulissen, sondern ganz offen. Indem Galeristen zu Vertriebspartnern degradiert wurden, gleichauf mit den führenden Auktionshäusern, denen man Werke zum Verkauf überlässt. Zeitgenossen wie Jeff Koons fertigen potenzielle Rekordanwärter längst on demand. Einen Coup landete Damien Hirst, der 2008 via Sotheby's mehr als 200 Objekte versteigern ließ. Sotheby's als Komplize. Vermutlich auch aktuell, denn eines können Verkäufer nicht bestimmen: Die Reihenfolge der aufgerufenen Lots. Banksys Girl with Balloon war das letzte an diesem Abend, eine akkordierte Inszenierung, die in die Geschichte des Kunstmarktes eingehen wird. (Olga Kronsteiner, 9.10.2018)