Helmut Haberl: Plus zwei Grad ist nicht einfach ein bisschen wärmer als plus 1,5 Grad. Es führt zu viel stärkeren, womöglich auch anderen Veränderungen.

Foto: Pilo Pichler

Glasklar zeigt der neue IPCC-Bericht, dass die gegenwärtige Klimapolitik zu einer globalen Erwärmung von weit über zwei Grad führen wird. Werden bis 2030 nur die Reduktionsziele von Paris umgesetzt, gibt es keine Chance mehr, die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Nur bei sofortigem, wirksamem Handeln wäre das noch möglich. Doch schon die ungenügenden Vereinbarungen von Paris werden in vielen Ländern nicht umgesetzt.

Massive Transformation nötig

Das IPCC führt anschaulich vor Augen, wie groß der Unterschied in den Auswirkungen einer Erwärmung um zwei statt 1,5 Grad ist. Das Risiko einer massiven Freisetzung von CO2 durch großflächiges Auftauen von Permafrostböden ist bei zwei Grad Erwärmung erheblich größer. Das Gleiche gilt für das Risiko eines galoppierenden Meeresspiegelanstiegs, wenn die Eisschilde von Grönland oder in der Antarktis instabil werden. Die Liste ähnlicher Risiken ist lang und zeigt vor allem, wie wichtig Nichtlinearitäten im Erdsystem sind: Plus zwei Grad ist nicht einfach ein bisschen wärmer als plus 1,5 Grad, sondern führt zu viel stärkeren, womöglich auch anderen Veränderungen. Das Risiko, dass es zu kaum oder gar nicht beherrschbaren "Kippeffekten" im Erdsystem kommt, ist bei zwei Grad wesentlich größer als bei 1,5 Grad. Kommt es zu einem Überschießen über 1,5 oder gar zwei Grad oder sogar zu einer dauerhaft größeren Erwärmung, so sind die Risiken noch größer.

Das 1,5-Grad-Ziel ist noch erreichbar, aber im neuen IPCC-Bericht wird deutlich, wie rasch und massiv dafür umgesteuert werden müsste. Nötig wäre eine umfassende sozialökologische Transformation, die eine rasche und deutliche Verringerung des Verbrauchs an Rohstoffen und Energie ermöglicht. Es geht nicht nur um die Verringerung von Energie- und Rohstoffverbrauch pro Einheit Bruttoinlandsprodukt, also mehr Öko-Effizienz, sondern um eine absolute Verringerung gegenüber heute.

Nur noch Niedrigenergiehäuser

Wie groß diese Herausforderung ist, zeigen aktuelle Ergebnisse im Institut für Soziale Ökologie. Die Menschheit verfügt inzwischen über einen Bestand an Gebäuden, Infrastrukturen, Maschinen und langlebigen Gütern, der fast gleich schwer ist wie alle Pflanzen auf der Landfläche des Planeten, nämlich rund 800 Milliarden Tonnen. Diese Materialbestände wuchsen in den letzten 110 Jahren exakt gleich schnell wie das weltweite Bruttoinlandsprodukt. Der Anteil des Ressourcenverbrauchs, den die Menschheit investiert, um neue Materialbestände aufzubauen, stieg von gut 20 Prozent vor hundert Jahren auf inzwischen über die Hälfte.

Das Wachstum des Bestandes an Gebäuden, Infrastrukturen, Maschinen und energieintensiven Konsumgütern müsste in den reichen Ländern gestoppt und im Rest der Welt begrenzt werden, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Die Qualität der Bestände müsste in Richtung Nullemissionen und Niedrigenergiestandard verbessert werden. Ab sofort könnten zum Beispiel nur noch Niedrigenergiehäuser mit Netto-Nullemissionen an Treibhausgasen gebaut werden. Die bestehenden Gebäude würden bis 2050 zu über 95 Prozent praktisch auf Nullemissionsstandard gebracht. Energieintensive Maschinen und Produkte würden effizienter und sparsamer.

Herausforderung Siedlungs- und Verkehrspolitik

Die Siedlungs- und Verkehrspolitik könnte dazu beitragen, den Güter- und Personentransport durch stärkere Durchmischung von Wohnen, Produzieren und Konsumieren sowie veränderte Organisation der Produktionsketten zu verringern. Bahnen, öffentlicher Nahverkehr, Radfahren und Zu-Fuß-Gehen könnten dann einen großen Teil des Straßen- und Flugverkehrs ersetzen. Österreich als europäischer Spitzenreiter in der Bodenversiegelung hätte hier besonders große Hausaufgaben zu meistern. Emissionen in Produktion, Handel und Konsum könnten verringert werden, etwa im Bereich der Ernährung durch Reduktion der Lebensmittelverluste und Umstellung auf eine gesündere Ernährung mit einem geringeren Anteil tierischer Produkte als hierzulande üblich. Dies würde es erlauben, durch Maßnahmen im Bereich Landnutzung einen Teil des Kohlenstoffs in der Atmosphäre wieder langfristig in Pflanzen und Böden zu binden.

Falsche Prioritäten

Der neue IPCC-Bericht macht die Vorteile einer nachfrageorientierten Strategie deutlich. Maßnahmen zur Verringerung des Verbrauchs emissionsintensiver Güter weisen viel mehr Synergieeffekte und weniger Trade-offs mit Zielen einer nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) auf als technische Maßnahmen zur Emissionskontrolle. Durch rasches Handeln wäre es möglich, den Einsatz von zu Recht umstrittenen Maßnahmen wie gezielten Eingriffen in die Erdsysteme (Stichwort: Climate Engineering) und Kohlenstoff-Abscheidung und -Endlagerung (Stichwort: Carbon Capture and Sequestration) zu verringern oder ganz zu vermeiden.

Technisch ist all das möglich, aber es erfordert weitreichende Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. Es wäre eine Transformation von ähnlichen Ausmaßen wie die des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft. Noch besteht die Möglichkeit, in diese Richtung zu steuern und die Veränderungen im Erdsystem einigermaßen beherrschbar zu halten. Die Prioritäten in Politik und Gesellschaft sind allerdings weltweit und hierzulande andere. (Helmut Haberl, 9.10.2018)