Berufsbildung hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, weil ihr Relevanz im Kampf gegen die (Jugend)Arbeitslosigkeit und für die Deckung des Fachkräftebedarfs zugeschrieben wurde, sagt Franz Gramlinger.

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Berufliche Bildung ist divers, breit, bunt, und sie verändert sich ständig. Das gilt für Österreich mit Ausbildungsformen in Schulen, Betrieben, großen und kleinen Weiterbildungsinstitutionen und in tertiären Bildungseinrichtungen. Und das gilt noch viel mehr für Europa. Bildung ist in der EU ein subsidiäres, dem nationalen Recht nachgeordnetes Thema, nationale Regelungen gehen vor Gemeinschaftsbeschlüssen. "Die" Berufsbildung in Europa gibt es nicht. Aber es gibt in der EU gemeinsame Gremien, Gruppen, Projekte und Ziele – und diese verändern die Berufsbildung (BB).

Die nationalen BB-Systeme werden in der nahen Zukunft noch besser vergleichbar werden, und es wird leichter, sich formale Ausbildungen anerkennen zu lassen. Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) ist dafür richtungsweisend. Als Folge werden auch im nationalen Kontext Anrechnungen üblicher und einfacher werden, wovon der/die Einzelne profitieren wird. Die Durchlässigkeit innerhalb der Bildungssysteme wird verbessert – basierend auf Abschlüssen, Zeugnissen und Zertifikaten. Spannender und schwieriger ist die Anrechnung von nichtformalen Kompetenzen: solchen, die nicht durch ein Papier bestätigt sind. Wenn jemand etwas kann – egal, ob als Installateur oder Bautechniker, als Altenbetreuer oder Arzt, als Koch oder Programmierer (bitte immer die weibliche Form mitdenken!) – und dieses Können und das notwendige Wissen demonstrieren und nachweisen kann, wird es nicht mehr erforderlich sein, alle formalen Ausbildungsschritte zu durchlaufen. Die skandinavischen Länder sind diesbezüglich weiter, wir werden nachziehen.

Grenzen verschwimmen

Wir lernen vieles am Arbeitsplatz, in der Freizeit und mehr und mehr im Internet – nichtformales Lernen, das oft zu neuen Kompetenzen führt. Wie und wo wir lernen, wird vielfältiger werden, und Lernen-Können und -Wollen wird die zentrale Fähigkeit. Auch die Digitalisierung wird das Lernen verändern, aber der wesentliche Antriebsfaktor hierbei ist die sich verändernde Arbeitswelt mit veränderten Anforderungen. Innovation- und Change-Management werden Themen für den Bildungsbereich – keine unserer Stärken in Österreich. Und die (Nicht-)Geschwindigkeit von Veränderungen kann zu einem veritablen Problem werden. In diesen Punkten kann unser System von anderen (EU-)Ländern lernen, so wie viele Länder von unserem Berufsbildungssystem lernen wollen, das international als Vorzeigesystem gilt – großteils zu Recht, aber darauf können wir uns nicht ausruhen.

An Bedeutung verlieren wird die Unterscheidung zwischen Allgemein- und Berufsbildung. Und die Grenzen zwischen Erstausbildung und Weiterbildung werden verschwimmen. Was und wie wir im Alter von sechs bis 18 oder 19 lernen, ist eine Basis. Was wir zwischen 20 und 65 lernen, was wir an Erfahrung und Können dazugewinnen und wie wir mit neuen Anforderungen zurechtkommen, wird wesentlich an Bedeutung gewinnen und die Institutionen-Landschaft verändern.

Mehr als den Bedarf decken

Die eigentliche Herausforderung sehe ich aber anderswo. Berufsbildung hat in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, weil ihr Relevanz im Kampf gegen die (Jugend)Arbeitslosigkeit und für die Deckung des Fachkräftebedarfs zugeschrieben wurde.

Es ist zweifellos wichtig, dass Menschen die Anforderungen spezifischer Arbeitsplätze erfüllen können, dass sie sich das dafür notwendige Wissen und Können aneignen. Aber das ist nicht genug. Ein Bildungssystem muss mehr leisten, als Menschen "job-ready" für den Arbeitsmarkt zu machen. Aufgabe beruflicher Bildung ist es, nicht nur Kompetenzen und Fähigkeiten auszubilden. Essentiell für unsere Gesellschaft ist es, dass sie auch Einstellungen, Haltungen und Werte vermittelt – intentional und verantwortungsvoll. "Work-based learning" ist immer auch "people-based learning" – in sozialem Kontext. Junge Menschen sollen über die Berufsbildung Formen des Miteinander-Umgehens und -Auskommens erleben und erlernen. Sie sollen lernen, selbstbestimmt für sich und für andere Entscheidungen zu treffen, Verantwortung zu übernehmen und ein lebenswertes Leben zu gestalten. Eine Selbstverständlichkeit? Auf jeden Fall eine Zukunftsaufgabe. (Franz Gramlinger,