Seit bekannt wurde, dass Google erneut an einer Suchmaschine für den chinesischen Markt arbeitet, gehen die Wogen hoch. Mehrere Aspekte sind im Hinblick auf "Dragonfly", so der Name der geplanten Suchmaschine, brisant. Obwohl sich Google 2010 aufgrund von politischer Zensur und Hackerangriffen aus China zurückgezogen hatte, soll nun abermals eine Suchmaschine entwickelt werden, die der chinesischen Zensur- und Überwachungspolitik in die Hände spielt. Zusätzlicher Unmut erwächst aus der Tatsache, dass selbst Google-Mitarbeiter offenbar nicht über den umstrittenen Dienst informiert wurden – DER STANDARD berichtete. Insbesondere nach der Affäre rund um Googles Kooperation mit dem Pentagon zur Nutzung von künstlicher Intelligenz für Militärdrohnen im März 2018 wird der neuerliche Vorstoß auf den chinesischen Markt unter der Belegschaft als Affront gewertet.

Dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, dass die Entwicklung von Suchmaschinen kein neutrales Unterfangen darstellt, ganz im Gegenteil. Es zeigt, dass die Entwicklung von Suchtechnologie von gesellschaftspolitischen Normen, Werten und Ideologien geprägt ist. Es verdeutlicht, dass Suchmaschinen nicht nur drastische Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben, sondern dass gesellschaftliche Wertvorstellungen, politische Ziele und ökonomische Begehrlichkeiten bereits an der Entwicklung und Gestaltung dieser Technologien maßgeblich beteiligt sind. Falls sich Dragonfly etabliert, wird es eine Technologie sein, die die chinesische Politik bereits in sich trägt und gleichzeitig weiter in der Gesellschaft verankert.

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Google unterliegt in der EU gewissen Regulierungen hinsichtlich Daten- und Personenschutz.
Foto: REUTERS/Dado Ruvic/Illustration

Gestaltung, Regulierung und Anpassung

Suchmaschinen sind aber nicht nur in China gesellschaftspolitischen Entwicklungen unterworfen. Wie meine Forschung zeigt, sind im Herzen Europas ebenfalls Prozesse der Ausverhandlung von Suchtechnologien und gesellschaftlichen Normen, politischen Ordnungen und ökonomischen Wünschen zu beobachten. Bereits 2010, lange vor der NSA-Affäre, haben sich Bürger in unterschiedlichen europäischen Ländern gegen die Einführung des Google-Street-View-Services gewehrt. Was darauf folgte, war ein langjähriges Hin und Her zwischen besorgten Bürgern, Datenschutzbehörden und Google. In Österreich zum Beispiel wurde Street View für einige Jahre ausgesetzt, bevor Google seinen Dienst 2017 wieder unter der Voraussetzung aufnahm, dass Personen und Gebäude gezielt unkenntlich gemacht werden können.

Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) einige bemerkenswerte Urteile gesprochen, wie zum "Recht auf Vergessenwerden" im Mai 2014. Betroffene können nun einen Antrag auf Löschung von falschen, verjährten oder diffamierenden Informationen bei Google beantragen. Der EuGH hat damit eindeutig festgestellt, dass Google der europäischen Gesetzgebung unterliegt. Er hat zudem festgelegt, dass Google (und andere Suchmaschinen) in jedem Einzelfall zwischen dem Recht auf Datenschutz und dem Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Informationen abwägen muss. Das ist insbesondere im Hinblick auf Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, eine doch sehr verantwortungsvolle und gesellschaftlich relevante Aufgabe.

Zuletzt hat sich in den Verhandlungen der europäischen Datenschutzreform gezeigt, wie hart die Auseinandersetzungen zwischen Silicon-Valley-Firmen, europäischen Politikvorstellungen, nationalen Interessen und zivilgesellschaftlichen Akteuren geführt werden. All dies zeigt, dass Europa versucht, eine Stimme im globalen Konzert der Gestaltung, Regulierung und Anpassung von kommerziellen Suchmaschinen, Google insbesondere, zu finden. Doch wie sieht diese Stimme aus? Welche Agenda verfolgt Europa, und wie steht diese zu nationalen Interessen, Wertvorstellungen und politischen Ordnungen? Und welche Alternativen gibt es in Europa?

Europäische Vielfalt und technische Alternativen

Diese Fragen stehen im Zentrum meines vom FWF geförderten Habilitationsprojekts "Algorithmische Imaginationen" am Institut für Technikfolgen-Abschätzung der ÖAW. Mittels qualitativer sozialwissenschaftlicher Methoden untersuche ich, wie kommerzielle Universal-Suchmaschinen (Google) im Silicon Valley mit seiner speziellen ökonomischen Kultur und kapitalistischen Ideologie entwickelt werden, aber auch in Europa mittels politischer Rahmenbedingungen, Gesetzgebung und sozialer Praktiken gestaltet und gesellschaftlich verankert werden.

Jede österreichische Suchanfrage trägt letztlich zur Verfestigung von Googles Geschäftsmodell und Vormachtstellung bei. Im Kontext der EU-Datenschutzreform analysiere ich, wie europäische Suchmaschinenpolitik rhetorisch zwar von gemeinsamen Grundrechten, wie dem Recht auf Datenschutz, geprägt wird, in der Praxis jedoch mit einer Vielzahl von unterschiedlichen politischen und ökonomischen Kulturen, historischen Erfahrungen, Wertvorstellungen und sozialen Praktiken zu kämpfen hat. Diese Vielzahl schwächt die europäische Stimme im globalen Konzert der Gestaltung von Suchmaschinen. Zudem scheint Europa mehr auf Regulierung und Kontrolle von Google und Co zu setzen, als sich mit der Förderung und dem Aufbau von Alternativen zu beschäftigen.

Schließlich untersuche ich, wie drei europäische Suchmaschinen in der Praxis entwickelt und gestaltet werden: die datenschutzfreundliche Suchmaschine Startpage (NL), die Peer-to-peer-Suchmaschine Yacy (D) sowie die Initiative Open Web Index, die einen öffentlich finanzierten, frei zugänglichen und europäischen Webindex anstrebt (D/EU).

Open Web Index (OWI) ist nur eines von mehreren europäischen Suchmaschinen-Projekten. OWI strebt einen frei zugänglichen Webindex an, auf den Programmierer unterschiedliche Suchmaschinen aufsetzen können. Yacy dagegen ist eine dezentrale Open-Source-Suchmaschine, die von Nutzern für Nutzer erstellt wird.
Foto: Astrid Mager

Alle drei Projekte zeichnen sich durch unterschiedliche Visionen, technische Herangehensweisen sowie Organisationsformen aus. Alle drei vereint jedoch nicht allein der Wunsch nach alternativer Suchtechnologie, sondern auch nach einer alternativen Gesellschaftsordnung. Welche Chancen darin liegen, welche Herausforderungen ihnen begegnen und wie sie diese meistern, wird sich im Laufe meines Projekts zeigen. Welche Machtverhältnisse dabei wirksam werden, welche Kompromisse einzugehen sind und welche Implikationen sich daraus im Hinblick auf eine europäische Innovationspolitik ergeben, werden weitere Aspekte meiner Arbeit sein. (Astrid Mager, 10.10.2018)