Wahnsinn. Wie machen die das? Fröhliche, gebräunte Leute strahlen nichts als Happiness und Gesundheit aus auf den Fotos, die sie in Gruppen beim Chillen und Cocktailtrinken (vielleicht sind es Smoothies?) zeigen. Nicht nach Dienstschluss, sondern tagsüber. Mal so zwischendurch. Manchmal liegen sie in Hängematten und tippen – ganz im Flow – irgendetwas in ihre Notebooks wie in Hochglanzmagazinen. Allesamt Inhaber cooler Jobs, von der Kommunikationsexpertin bis zum Developer.

Juchhu – das neue Statussymbol für die neue Arbeitswelt ganz oben ist etabliert: Entspannung, Gelassenheit und Happiness. Zumindest die Hälfte der Arbeitenden muss angesichts solch konstruierter Wirklichkeit massiv an sich und ihrer Fähigkeit zum Selbstmanagement (im Zeitalter der Optimierungs-Apps) zweifeln. Denn sie wünscht sich weniger Stress (den schlechten, den belastenden, nicht den anregenden), weil die Arbeit zu viel, zu dicht ist, weil Vorgesetzte nichts wertschätzen, weil Kunden mühsam sind und weil sich alles miteinander mit der Familie, den Eltern, den Kindern, dem Haushalt und dem restlichen Organisationskram kaum jemals ausgeht und man nie abschalten kann. Ach ja – und außerdem fehlt der Sinn in der Arbeit für die Happiness, vielleicht die Perspektive, zumindest die Überzeugung, im Job genau auf dem richtigen Platz zu sein. Warum sollten sonst in sämtlichen Umfragen von Jobportalen rund 40 Prozent der Beschäftigten sofort wechselwillig sein, und das nicht wegen des Gehalts? Angesichts der tatsächlichen Fluktuationsraten handelt es sich dabei offensichtlich mehrheitlich um innere Kündigungen.

Beunruhigende Zahlen

Europaweit fühlen sich fast 60 Prozent der Beschäftigten von schwierigen Kunden, Schülern oder Patienten besonders belastet, was die EU-Gesundheitsagentur Osha als psychosozialen Risikofaktor Nummer eins qualifiziert.

Kopfschmerzen, Schlafstörungen, kaputte (oder keine) Beziehungen, Allergien, Panikattacken, Existenzängste, Abstiegspanik, Suizidgedanken, anhaltende Erschöpfungszustände. Das kommt der Wirklichkeit eines Drittels der heimischen Beschäftigten derzeit näher als der große, chillige Spaß im locker-leidenschaftlichen Jobleben. Laut Arbeitsklima-Index der Arbeiterkammer Oberösterreich erleben bis zu 30 Prozent Burnout-Zeichen an sich. Laut Anton-Proksch-Institut sind acht Prozent akut betroffen, 19 im Problemstadium und 17 in einem sogenannten Übergangsstadium.

Wer glaubt, das seien halt die verbrauchten Älteren, denen nach 30 Jahren Jobleben nicht mehr zu helfen ist, irrt. Über 40 Prozent der 18- bis 34-Jährigen geben in der Allianz-Stress-Studie an, akute Stressbelastung am Arbeitsplatz zu erleben. Besonders hohe Burnout-Gefährdung attestiert auch das Anton-Proksch-Institut der Gruppe unter 30 und erklärt das mit dem spezifischen Druck, Fuß zu fassen im Arbeitsleben.

Sitzen, Warten, Däumchen drehen

Zurück zum Chillen: Es scheint allerdings abseits des dokumentierten Flächenphänomens Burnout und der aktuell wieder hochmodernen Stigmatisierung und Ausgrenzung Arbeitsloser in der zum Brauchbarkeitsfetisch stilisierten Erwerbsarbeitswelt noch etwas faul zu sein. Eine Umfrage des international tätigen Fach- und Führungskräftevermittlers Robert Half gibt entsprechende Hinweise. Demnach sind 60 Prozent der Beschäftigten in ihrem Job chronisch gelangweilt. Sie haben zu wenig oder gar nichts zu tun, sind zu monotoner Arbeit ohne erkennbaren Sinn verdammt, versitzen ihre Arbeitsstunden, bis diese endlich vorüber sind.

Seid doch froh!, könnte man da sagen, spart ihr doch eure Lebenskraft für das, was ihr nach Feierabend tun wollt. Denkt an all die chronisch Überforderten, die im Burnout zusammenbrechen!

Weit gefehlt, sagen Mediziner. Denn dieses sogenannte Boreout hat, wenngleich weniger gut beforscht und dokumentiert wie die Schwester Burnout, ähnliche bis gleiche Symptome. Ausgebranntsein von Langeweile, von Unnützem, von chronischer Unterforderung macht ebenso krank wie dauernder Termindruck, Informationsüberflutung und all die bekannten Plagen. Der feine Unterschied: Burnout ist quasi eine Medaille auf dem Schlachtfeld der Leistungsgesellschaft. Es ist im besten Fall besprechbar geworden, hat Verantwortungsträger und einen gesetzlichen Rahmen wie die Evaluierungspflicht psychischer Belastungen am Arbeitsplatz, es hat Führungskräfteschulungen und eine ganze Reihe mehr oder weniger "ultimativer" Ratgeber sowie Seminare zwecks Prophylaxe und Kur erhalten.

Boreout geht gar nicht.

Zu geringe oder keine Belastung punktet gar nicht in der Kommunikation – wer outet sich da? Hey, Schatz, putz du mal die Wohnung und hol die Kinder, mir war ja schon im Büro so fad! Das kommt sicher nicht oft vor. Boreout wird verschwiegen, kunstvoll verborgen und in der Selbstdarstellung um 180 Grad umgedeutet in ein echt stressiges Berufsleben. Es soll ja niemand merken, dass man total überflüssig ist und folgenlos ersetzt respektive gestrichen werden könnte. Außerdem ist es höchst unwahrscheinlich, dass man wirklich ernst genommen wird mit einem Boreout – man kann ja schließlich froh sein, wie gesagt.

Gemessen ist allerdings, dass ein Zustand andauernd herabgesetzter Aktivierung bei andauernden einförmigen und sich wiederholenden Arbeitsaufgaben mit Schläfrigkeit, Müdigkeit, einer Verminderung der Reaktionsfähigkeit und einer Zunahme schwankender Herzfrequenz einhergeht. Deutsche Arbeitnehmerschützer haben zuletzt Ergebnisse veröffentlicht, wonach Dauerfadisierten Abstumpfung, Entfremdung und ein "Absinken der Intelligenz" blüht. Boreout lässt also verblöden. Ähnlich wie Burnout – die Dauerflutung mit Stresshormonen (etwa Cortisol) führt ja auch zu einer Art Vergiftung, die das Funktionieren des Hirns hemmt und permanent im Flüchten/Kämpfen oder im Erstarrenmodus hält. Daneben hat dann nicht mehr viel Platz.

Zumindest nicht das, was auch als Trend ausgerufen wird: Empathie und Beziehungsfähigkeit. Das wäre schön – und die Hirnforschung sagt: Es macht nichts so dauerhaft glücklich wie funktionierende soziale Beziehungen. Dazu gehört aber zuerst eine Beziehung zu sich selbst. Wer andere spüren und etwas geben will, muss sich erst selbst spüren. Das geht sichtlich weder im Gefängnis der permanenten Überforderung noch im Kerker der sinnentleerten Langeweile. Wenn, wie Ali Mahlodji (Whatchado) in seinem Report für das Zukunftsinstitut schreibt, arbeiten zu dürfen zu einem Privileg wird und das, was wir heute Faulheit nennen, zu einer Tugend im Maschinenzeitalter, dann wird das sich selbst und andere Spüren die größte Herausforderung. Und die schönste Aufgabe. Am besten im Grünen.