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Miese Nächte und folglich miese Tage, mittelfristig eine ganze Reihe körperlicher und psychischer Beschwerden sind ein wachsendes Phänomen. Die gefühlten Ursachen sind auch jene, welche die Wissenschaft belegt: Dauerstress und damit kaum Chance für das Gehirn, Stresshormone abzubauen

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Wer weniger Schlaf braucht, ist mehr wert. Brauchbarer, leistungsfähiger, fitter – einfach besser. Ein ungeschriebenes, aber nachhaltig gelebtes kapitalistisches Narrativ, ein Imperativ. Klar sagen die großen Vorstandschefs der Weltkonzerne, wie früh sie aufstehen und was sie zwischen fünf und sechs Uhr Früh bereits zur körperlichen Ertüchtigung veranstaltet haben. Erfolgreich ist demzufolge, wer früh aufsteht. Natürlich mit den ökonomisch erwünschten Gefühlen: frisch, tatendurstig, fröhlich, gierig, endlich die Ärmel aufzukrempeln und nach "sinnlosen" vier, fünf Stunden im Bett endlich wieder zuzupacken – und kreativ zu sein. Es gibt ja ausreichend Apps und elektronische Hilfen, die bei solcher Disziplinierung helfen. Und man muss sich natürlich unablässig gut fühlen dabei.

Damit scheiden 80 Prozent der Menschen für Ämter in der ersten Reihe aus. Denn sie brauchen sieben bis acht Stunden Schlaf. Weitere zehn Prozent müssen sich noch weiter hinten anstellen, denn sie benötigen neun bis zehn Stunden, um sich ausgeruht zu fühlen. Lediglich zehn Prozent kommen mit vier bis sechs Stunden gut aus. Eine Leistung? Nein, sagt die Schlafforschung. Denn wie viel Schlaf benötigt wird, ist teils genetisch bedingt, teils durch Lebensumstände und -erfahrungen geprägt. Umgewöhnen, abtrainieren, das ist also sinnlos, sogar äußerst gefährlich. Man denke nur an die Schnurre der Huffington Post-Gründerin Ariana Huffington, die angeblich irgendwann im Morgengrauen im Büro übermüdet so heftig mit dem Kopf auf die Tischplatte geknallt ist, dass ihr Jochbein brach. Ähnlich unveränderbar ist auch, ob man Lerche, also Frühaufsteher und Frühzubettgeher, oder Eule mit gegenteiligem Rhythmus ist. Ein wenig verschieben geht, umdrehen aber auf Dauer nicht. "Always on" geht schon gar nicht, weder im Lerchen- noch im Eulenwald.

Auswirkungen auf Gesundheit

So weit die beruhigende Nachricht für alle, die sich innerhalb unmenschlicher Gesetze der Arbeitswelt im Feld von topfitten schlafreduzierten Superhelden nicht ganz proper fühlen, vor zehn nicht auf Touren kommen und/oder erst nach acht Stunden das Gefühl haben, richtig geschlafen zu haben. Alles okay, auch wenn Magazine anderes behaupten und als Leitbild vorgeben.

Gelegentlich nächtens im Kreis zu gehen, weil ein Nagen im Hirn nicht aufhören will und sich keine Lösung zeigt, gehört ja auch gelegentlich zum Leben. Immer dann gut schlafen, wenn die App es sagt, ist für Maschinen brauch- und umsetzbar.

Komplizierter ist die Kur für jene rund 30 Prozent, die an chronischen Schlafstörungen leiden, sich stundenlang wälzen, dauernd aufwachen oder schon Herzrasen kriegen beim Gedanken an das Weckerläuten um sechs Uhr früh. Miese Nächte und folglich miese Tage, mittelfristig eine ganze Reihe körperlicher und psychischer Beschwerden sind ein wachsendes Phänomen. Dass in solchem Zustand das Leben entweder zur Mühe wird oder kaum als freudvoll empfunden wird, darf als große Beeinträchtigung schon stehen bleiben, auch wenn (noch) keine Blutdruck-, Herz- oder Verdauungsprobleme zu messen sind.

Das Problem nicht nur verschieben

Die gefühlten Ursachen sind auch jene, welche die Wissenschaft belegt: Dauerstress und damit kaum Chance für das Gehirn, Stresshormone abzubauen. Abstiegs- und Versagensangst, berufliche und private Probleme. Plus: Störquellen. Vom schnarchenden Partner über Lärm draußen bis zur niemals endenden Blaulichtflutung. Frauen sind übrigens, sagt der deutsche Schlafforscher und Allgemeinmediziner Michael Feld (Buchtipp: Dr. Felds große Schlafschule) genetisch bedingt anfälliger für leicht störbaren Schlaf, und nach der Kleinkindphase sind sie auch gut sozialisiert auf leichtes Schlafen.

Die Augen fest zudrücken hilft nicht. Gerne angewandte Mittel wie Alkohol oder Schlaftabletten verschieben bekanntlich das Problem – wenn sie es nicht sogar noch schnell vergrößern.

Das ist nicht neu. Ebenso wenig unbekannt ist das, was wirklich hilft: sich den Störquellen stellen. Einige sind leicht zu eliminieren, etwa das Handy im Bett, Fernsehen vor dem Schlafen (Blaulicht hält das Hirn im Tag-Modus); ausreichend bewegen, nichts Schweres essen, möglichst wenig Alkohol und ein möglichst dunkler, ruhiger Schlafraum. Möglichst positive Gedanken und Dankbarkeit für den Tag helfen ebenso wie jeweils individuelle Entspannungstechniken: ein Bad, eine Yoga-Übung, ein paar Seiten in einem lieben Buch. Sich Loslassen gestatten, um morgen wieder aufzudrehen. (Karin Bauer, xx.xx.2018)