Sinn statt Karriere. Selbstverwirklichung statt Aufstieg. Sind das Gegensatzpaare? Ist die klassische Karriere zu Ende? "Die kurze Antwort lautet Ja", sagt die Konzernpersonalchefin des global tätigen Feuerfestkonzerns RHI Magnesita, Simone Oremovic. Etwas ausführlicher betrachtet bedeutet das: Das Modell Karriereleiter, mit eindeutigen Sprossen nach oben, eine jede voller Mühe und Einsatz erklommen und dann belohnt mit Mehrverdienst, höherer Funktion, den damit einhergehenden berechenbaren und wohlerworbenen Sicherheiten – selbstverständlich auf Basis einer unbefristeten Vollzeitanstellung –, ist selten geworden.

Sinn vor Karriere und Geld

Einerseits durch die Landschaft, in der durch Automatisierung, Globalisierung, Digitalisierung und Wertewandel solche Leitern nicht mehr selbstverständlich bereitstehen. Andererseits, weil sich das Heer der Kandidatinnen und Kandidaten, die dort hinaufwollen, mit den vielbeforschten Generationen Y und Z radikal geändert hat. Alte Kontrakte funktionieren nicht mehr – oder werden nicht mehr geglaubt. Und da ist die massiv wachsende Plattformökonomie mit ihren Kontraktarbeitern ohne Absicherung inklusive der Folgen für Sozialsysteme noch gar nicht mitgedacht.

In zunehmender Häufigkeit reiht sich Umfrage an Umfrage, wonach Junge Freunde, Familie und Sinn vor Karriere und Geld reihen. Oder zumindest gleichauf. Hohe Fluktuationen zeigen, dass sie auch bereit sind, schnell wieder zu gehen, wenn es nicht passt. Aufstieg – wozu? Nur mehr 40 Prozent deutscher Studierender finden beruflichen Aufstieg wichtig in ihrem Leben, ergab eine Studie der Berater von EY im Sommer. Aber auch viel breiter angelegte Befragungen, etwa jene der Jobplattform Xing im Juni, zeigen: Für über 87 Prozent der Erwerbstätigen ist es wichtig, dass sie Sinn in ihrer Arbeit erkennen.

Zwar geben die Befragten zu, dass sie für den Lebensunterhalt in die Arbeit gehen, ab einem Monatsbruttoverdienst von 2500 Euro rücken aber Sinn und auch Spaß nach oben. Und je mehr davon empfunden wird, desto größer ist auch die Identifikation mit dem Job, desto geringer sind die Fehl- und Krankenstandstage. Laut Fehlzeitreport ist mindestens drei Tage weniger im Krankenstand, wer eine sinnstiftende Arbeit zu Protokoll gibt.

Karriere – die Bedeutung ist verschwommen

Augenfällig neben Wünschen nach hilfreichen und wertschätzenden Vorgesetzten, gutem Betriebsklima und netten Kollegen ist bei der riesigen Menge an Dauerbefragungen im Ergebnis zudem: Der Begriff Karriere wird zumindest skeptisch betrachtet oder findet keine besonders erstrebenswerte Zuschreibung mehr. Die deutschen Berater Softgarden waren irritiert, als sie heuer unter 2300 Bewerbern nachfragten und diese mit "Karriere" nicht viel anfangen konnten, sich von "Karrieretipps" und "Karrierewebseiten" nicht angesprochen fühlten.

Was ist da los? Handelt es sich um ein Elitenphänomen einer gesättigten, in Wohlstand und unter maximaler elterlicher Helikopterbeschützung groß gewordener Generation, die nicht unbedingt muss, weil genug zum Ausgeben da ist? Sind es postmaterialistische Digitale, die keinem System mehr vertrauen? Reden wir von einer Spaßgeneration, die "den Arsch nicht hochkriegt", wie Autorin Eva Hartmann in ihrem aktuellen Buch schreibt? Ins Rollen kam alles vor rund zehn Jahren. Die Soziologin Erin A. Cech forschte damals in Stanford und fand heraus: Für 70 Prozent der an Colleges Studierenden ist es am wichtigsten, dass man sich für den künftigen Job begeistern kann und dass er Sinn und Bedeutung stiftet. Je elitärer die Uni, desto höher diese Werte. Am anderen Ende der Bildungsskala in Amerika waren die Werte diametral nach anderen Bedürfnissen gereiht: überhaupt einmal Arbeit finden. Dann vielleicht noch den Beruf an sich wählen. Wenn es dann irgendwie auch noch gut und sinnvoll ist – wow.

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In einer immer schnellebigeren Zeit geht es mehr um Happiness im Hier und Jetzt als um Perspektiven einer vermeintlichen Karriereleiter.
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In diesen vergangenen zehn Jahren hat sich das, was nach Apple-Gründer Steven Job "passion principle" heißt, also ein leidenschaftlich ausgeübter Job, der zu den Idealen und zum Idealbild der eigenen Persönlichkeit immer perfekt passt, offenbar verbreitet und durch die Bildungsschichten vertieft. Das mag viele Ursachen haben. Fortschreitende Digitalisierung, Automatisierung, weiter schwindende Sicherheiten eines über mehrere Jahre planbaren Arbeitslebens – es geht also mehr um Happiness im Hier und Jetzt als um Perspektiven einer vermeintlichen Karriereleiter, auf der schweißtreibender Aufstieg nur vielleicht belohnt wird, deren Versprechen nach Status- und Geldgewinn auf den einzelnen Sprossen nicht mehr wirklich getraut und an die nicht mehr geglaubt werden kann.

Die Kinder der Babyboomer und der Generation X konnten zudem hautnah erleben, welchen Preis die Haltung "Mein Job ist mein Leben" verlangt – oft sind die Ehen und Partnerschaften zu Aufzuchtsgemeinschaften geworden. Und sie haben scheint’s dieses Motto umgedreht: Mein Job ist nicht mein Leben – aber er muss gut in mein Leben passen. Nur irgendwas zu tun wie ein Roboter, damit es Geld gibt, soll nicht alles sein. Wir wollen mehr. Zudem wurde in den vergangenen Jahren ein anderes Erfolgsbild gehypt: Leben im Start-up. Etwas Neues in die Welt bringen nach eigener Façon, selbstbestimmt und ganz nach den eigenen Talenten und Weltvorstellungen arbeiten. Gefeiert auf Festivals und irgendwann belohnt mit Reichtum. Klar, dass diese superinspirierenden Heldengeschichten magnetisch wirken. Kein Wunder, dass damit das, was Unternehmen in der traditionellen Kiste der Personalwirtschaft an Werkzeugen haben, um Karrierepfade zu motivieren und zu begleiten, etwas alt aussieht.

So erklärt sich das kurze Ja der Personalchefin zum Ende der klassischen Karriere. Die auf den Kopf gestellte demografische Pyramide, bei attraktiven Berufswegen auch im sozialen Bereich und der Gründerkonkurrenz herrscht von allen Seiten ordentlich Druck.

Antworten sind gefragt

Unternehmen müssen also erklären, warum sie tun, was sie tun, und wozu die Arbeit bei ihnen gut ist. Und wie sie all die Berechnungen vom Verschwinden von Jobs in ihren Geschäftsfeldern einschätzen, wie sie bei der sogenannten Employability unterstützen – also mithelfen, dass ihre Leute im Wandel nicht übrig bleiben. Sie müssen andere Angebote machen und öfters sagen: Wir wissen es nicht, wir probieren es aber. One-size-fits-all wird aus dem gegenwärtigen großen Laboratorium bestimmt nicht kommen für die neue Arbeitswelt. Aber gewiss ist: Die Suche nach mehr verlangt Antworten und alternative Perspektiven – je klarer, desto mehr sollen Maschinen abnehmen, was Routine und Wiederholung ist. (Karin Bauer, 11.10.2018)