Wien – Schnelllebig ist das Musikbusiness, Dirigenten jetten global hin und her zwischen diversen Chefposten: Probe, Aufführung und Abflug. Beim ältesten Orchester Russlands, gegründet 1882 vom Zaren Alexander III., ticken die Uhren noch ein wenig anders. Der Vorgänger des aktuellen Chefdirigenten der St. Petersburger Philharmoniker, Jewgenij Mrawinskij, trat 1938 sein Amt an und blieb dort genau ein halbes Jahrhundert.

1988 starb Mrawinskij, seither leitet Yuri Temirkanow die Petersburger, mit denen er für drei Konzerte in den Musikverein kam. Gewachsene Tradition war zu hören, etwa am zweiten der drei Abende mit Schostakowitschs Symphonie Nr. 13, also Babij Jar: Ihren Titel hat sie von jener Schlucht bei Kiew, wo ein SS-Kommando 34.000 Juden ermordete (1941).

Reife Geigenkunst

Dichter Jewgenij Jewtuschenko erinnerte daran in jenen Zeilen, die Schostakowitsch so erschütterten, dass er ein "symphonisches Poem" machte. Anschließend schrieb er weitere vier Sätze nach Jewtuschenkos Gedichten: über die Macht des "Witzes" gegenüber den Mächtigen, über arme Frauen im "Laden", über "Ängste" in Russland und – besonders vieldeutig – über "Karrieren". Schostakowitschs Musik ist hier wie stets vieldeutig, mitunter mächtig auftrumpfend, von leiser Ironie und trister Melancholie. Orchester wie Dirigent, Solo-Bassist Petr Migunov sowie die Herren des Singvereins verfolgten all diese Nuancen mit Inbrunst und feinen Zwischentönen, ohne dass die Rätselhaftigkeit des Stücks litt.

Vor der Pause hatte es noch eine instrumentale Sternstunde gegeben, in der der Wiener Geiger Emmanuel Tjeknavorian sich für Jean Sibelius' Violinkonzert in d-Moll ins Zeug legte: Er ist mit seinen 23 Jahren schon ein Ausnahmemusiker (was auch seine im Vorjahr bei Sony erschiene Debüt-CD erkennen lässt): eine neue Karriere, von unverkennbarem Traditionsbewusstsein geprägt. (Daniel Ender, 10.10.2018)