Bild nicht mehr verfügbar.

Nicola Sturgeon zeigte beim SNP-Parteitag Kampfgeist Richtung London.

Foto: REUTERS/Russell Cheyne

Glasgow – Die schottischen Nationalisten wollen Großbritannien im EU-Binnenmarkt halten. Auf dem Parteitag in Glasgow kündigte die Edinburgher Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon am Dienstag der Brexit-Politik von Premierministerin Theresa May unten in London einen harten Kampf an: Die SNP-Abgeordneten würden im britischen Unterhaus geschlossen gegen jede Art von Vereinbarung stimmen, die nicht die größtmögliche Nähe zur Europäischen Union gewährleiste. Gegen das sich anbahnende Unglück des von den Tories betriebenen Austritts aus dem Brüsseler Klub wolle ihre, Sturgeons, Partei "Optimismus und Hoffnung" verbreiten.

Wie Nordirland (56 Prozent gegen und nur 44 Prozent für den Austritt aus der EU) votierte auch Schottland Ende Juni vor zwei Jahren (mit 62 zu 38 Prozent) eindeutig für den EU-Verbleib. Seither haben Sturgeon, ihre Edinburgher Minderheitsregierung sowie die 35 Mitglieder starke Unterhaus-Fraktion vergeblich dafür argumentiert, das eher knappe Gesamtergebnis von 52 zu 48 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union als Mandat für einen möglichst weichen Brexit zu interpretieren.

Weicherer Kurs

Zwar hat Premierministerin May mittlerweile ihren ursprünglichen Betonkurs ("Brexit bedeutet Brexit") erheblich aufgeweicht. Selbst der jüngste Plan eines Assoziationsabkommens sieht aber lediglich für die Dauer einer Übergangsphase die Mitgliedschaft in der EU-Zollunion vor.

Um die Durchlässigkeit der inneririschen Grenze zu garantieren, soll das Vereinigte Königreich in einem Binnenmarkt für Güter verbleiben, will hingegen bei Dienstleistungen eigene Wege gehen. Dies stößt bei den Brexit-Ultras in Mays Konservativer Partei ebenso auf Widerstand wie bei der EU-Kommission.

Im Unterhaus sind die Fronten unklar. Da der Austrittstermin Ende März 2019 feststeht, könnte die Ablehnung des Vertrags, den die Premierministerin im November oder Dezember aus Brüssel mitbringen will, zum "Chaos-Brexit" führen – also dem Austritt ohne Anschlussvereinbarung.

Gespräche mit Labour-Leuten

Dies hätte katastrophale Folgen für die Wirtschaft beiderseits des Kanals. Offenbar führt Mays Team intensive Gespräche mit etwa zwei Dutzend oppositionellen Labour-Abgeordneten, denen diese Schreckensvision Angst einjagt. Sie könnten allenfalls die Brexit-Extremisten in Mays eigenen Reihen ausgleichen.

Sturgeon setzt darauf, eine Ablehnung des May-Vertrags mache den Weg frei für den "weicheren Brexit". "Dann ist alles wieder offen, und wir können Binnenmarkt und Zollunion wieder auf den Tisch legen." Notfalls werde man das Volk ein zweites Mal an die Urnen rufen. Dabei müssten die Schotten aber auf Mithilfe vom Kontinent hoffen: Eine Neuverhandlung wäre im Zeitfenster bis Ende März kaum zu schaffen.

Hoffnung und Optimismus

Auch in Bezug auf die ersehnte Unabhängigkeit Schottlands scheint die Parteispitze mehr Hoffnung als Optimismus zu haben. In Glasgow unternahmen führende Mitglieder der Regionalregierung erhebliche Anstrengungen, um die übersteigerten Hoffnungen des Fußvolks zu dämpfen.

Ausdrücklich warnte Verfassungsminister Mike Russell am Rand des Parteitags vor einem hastig anberaumten neuerlichen Referendum: Damit riskiere man lediglich eine "heroische Niederlage". Es gehe darum, den Menschen Begründungen dafür zu liefern, warum man die Loslösung vom Vereinigten Königreich betreiben solle. "Hingegen sollten wir uns keinen künstlichen Zeitplan setzen." Vor vier Jahren hatten die Schotten die Unabhängigkeit mit 55 zu 45 Prozent abgelehnt.

Pikanterweise gehört zu den Ungeduldigen Sturgeons Vorgänger in Partei- und Staatsamt: der legendäre Alex Salmond. Nach insgesamt 20 Jahren als Vorsitzender und zwei gewonnenen Landtagswahlen hatte Salmond seine Partei 2014 in die Unabhängigkeitsschlacht geführt und das Vereinigte Königreich an den Rand der Spaltung gebracht. Nach dem Scheitern trat er zurück und amtierte dann noch zwei Jahre als Abgeordneter im Unterhaus.

Im Rampenlicht der Öffentlichkeit steht Salmond derzeit allerdings aus unerfreulichem Grund: Gegen ihn haben zwei Frauen Vorwürfe wegen sexueller Belästigung erhoben. Dagegen wehrt sich der Beschuldigte mit einer Klage gegen die von Sturgeon geführte Regierung. Das Vorgehen gegen ihn sei nicht transparent. Dass Salmond öffentlich um Unterstützung bat und binnen 48 Stunden mehr als 100.000 Pfund (114.000 Euro) einsammelte, hat selbst Getreue geärgert. Immerhin genießt der Politiker ein schönes Ruhegehalt und verdient sich ein Zubrot als Moderator einer Politikshow im von Moskau gesteuerten TV-Sender Russia Today. (Sebastian Borger, 9.10.2018)