Obwohl Narwale mit Belugas nahe verwandt sind, verfolgen die beiden Spezies normalerweise völlig verschiedene Lebensziele: Narwale – das sind jene Wale, deren bis zu drei Meter langen Stoßzähne früher für Einhornhörner gehalten wurden – sind in der Regel in den eisigen Meeren der Arktis anzutreffen. Dort jagen die hervorragenden Taucher Fischen in mehreren Hundert Metern Tiefe hinterher. Belugas, auch bekannt als Weißwale, bevorzugen dagegen flache Küstengewässer weiter im Süden. Obwohl sich ihre Lebensräume da und dort überlappen, kommt es nur selten zu Begegnungen, da sich beide Arten zu unterschiedlichen Jahreszeiten an verschiedenen Plätzen aufhalten.

Umso überraschter waren daher Meeresbiologen, als sie 2016 im Sankt-Lorenz-Strom vor der Küste der kanadischen Provinz Québec einen jungen Narwal entdeckten, mehr als 1.000 Kilometer südlich seines gewohnten Lebensraumes und in Gesellschaft mehrer Dutzend Belugas. Das Tier war offenbar auch nicht auf Kurzbesuch in der Gegend, denn es tauchte mittlerweile das dritte Jahr in Folge dort auf. Im vergangenen Juli lieferte ein Video schließlich auch die Bestätigung früherer Beobachtungen, warum sich das junge ortsfremde Narwalmännchen in der Region so wohl fühlt: Er hat offensichtlich Anschluss an eine Gruppe von etwa zehn ebenso jugendlichen Belugamännchen gefunden – laut den Experten ein außerordentlich seltenes Ereignis.

Video: Eine Bande junger Belugamännchen mit einem ungewöhnlichen Mitglied.
Baleines En Direct

Neues Bandenmitglied

Die Drohnen-Aufnahmen, erstellt von Mitarbeitern der Group for Research and Education on Marine Mammals (GREMM), erwecken den Eindruck, als hätten die Weißwale den Narwal gleichsam adoptiert und als gleichwertiges Mitglied in ihre Bande aufgenommen. Er spielt mit den Belugas, imitiert ihr Verhalten und sucht immer wieder Körperkontakt zu ihnen. "Er verhält sich, als wäre er einer der 'Jungs'", erklärt Robert Michaud, wissenschaftlicher Leiter der in Tadoussac (Québec) ansässigen Non-Profit-Organisation, die sich der Erforschung und dem Schutz von Walen verschrieben hat.

Wie der Narwal überhaupt im Sankt-Lorenz-Strom gelandet ist, bleibt unklar. Es sei nicht ungewöhnlich, dass es jugendliche Wale in für sie ungewohnte Gegenden verschlägt, meint Michaud. Wenn diese Tiere dann Anschluss suchen, könne es durchaus passieren, dass sie die Gesellschaft von Booten und Menschen suchen, was immer wieder mit tödlichen Verletzungen durch Schiffsschrauben endet. "Dieser kleine Narwal hat offensichtlich Glück gehabt: Er wurde von nahen Verwandten aufgenommen." Ob es sprachliche Hürden gibt oder ob die Belugsa mit dem Narwal mit ihren typischen Zwitscher- und Klicklauten kommunizieren können, bleibt vorerst ein Geheimnis.

--> GREMM: With the Belugas… and a Narwhal!

--> CBC: Beluga whales adopt lost narwhal in St. Lawrence River

(red, 10.10.2018)