Nächste Woche ist es wieder so weit: Die Staats- und Regierungschefs der EU treffen sich in Brüssel, um über aktuelle Themen und Dauerbrenner wie Migration zu beraten. Dass es dieses Mal Durchbrüche gibt, muss bezweifelt werden – zu verhärtet sind die Positionen im Rat. Vor allem wegen der Blockadehaltung von Hardlinern wie Viktor Orbán und wegen der Unfähigkeit der Konservativen, klare Kante gegenüber Rechtspopulisten zu zeigen.

Denn das konservative Lager auf europäischer Ebene ist tief gespalten. Das wird inzwischen besonders deutlich, wenn es um Rechtsstaatlichkeit und Demokratie geht, und das ist ein Alarmzeichen für ganz Europa. Während die einen – zumal in Österreich – den Populisten nacheifern, hadern die anderen zwar mit deren Erfolg, setzen aber kaum Gegenakzente. Angriffe auf die Pressefreiheit, Attacken gegen eine unabhängige Justiz und Behinderung offener demokratischer Meinungsbildung: Der Export des Prinzips "Orbán" stellt Europa auf eine harte Probe.

Sieht die "Ehre des ungarischen Volkes verletzt": Orbán im September im EU-Parlament.
Foto: APA/AFP/FREDERICK FLORIN

Fremde Einflussnahme

Es ist auch nicht mehr selbstverständlich, dass Wahlen frei von fremder Einflussnahme stattfinden – das Brexit-Referendum, die US-Wahlen und zuletzt das Namensreferendum in FYROM (Ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien) sind womöglich mehr durch anonyme Programmierer als durch Bürgerinnen und Bürger entschieden worden.

Es versteht sich nicht mehr überall in Europa von selbst, dass die Gerichte unabhängig Recht sprechen – Orbáns Ungarn muss sich auch wegen seiner Justizreform als zweites Land nach Polen einem Rechtsstaatlichkeitsverfahren stellen.

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind im Herbst 2018 keine Selbstverständlichkeit mehr. Es ist nicht mehr überall klar, dass die Presse frei berichten kann – oder dass Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit machen können, ohne um ihr Leben fürchten zu müssen, wie die drei Journalistenmorde in EU-Ländern binnen eines Jahres zeigen.

Orbán-Fantum

Die Moderation all dieser Konflikte liegt derzeit ausgerechnet beim österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, der im eigenen Land die Populisten erst regierungsfähig gemacht hat. Dass Kurz sich dafür feiern lässt, dass er Innenminister Herbert Kickls Vorstoß, missliebige Medien zu benachteiligen, wieder eingefangen hat, macht die tektonischen Verschiebungen auf der politischen Landkarte nicht ungeschehen. Er lässt sie im eigenen Land zu und treibt sie teils aktiv voran. Er ist schon deshalb ein denkbar ungeeigneter Koordinator europäischer Politik.

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Kann sich eine EU-Fraktion mit Orbán vorstellen: Strache, rechts im Bild, mit Salvini.
Foto: AP/Ronald Zak

Aber Wegschauen ist fatal. Viel zu häufig funktioniert das nach dem Prinzip: kurzer Aufschrei, weiter geht's im Tagesgeschäft. Mancherorts wird der ungarische Staatschef mehr oder weniger verschämt gefeiert, Matteo Salvini und Heinz-Christian Strache machen keinen Hehl aus ihrem Orbán-Fantum. So droht auf unserem Kontinent weitere Orbánisierung.

Die Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Ungarn und Polen sind zwar erste wichtige Gegenmaßnahmen auf EU-Ebene, doch noch lange keine hinreichende Antwort auf die Frage: Wie gehen wir mit diesen antidemokratischen, antirechtsstaatlichen Tendenzen auf unserem Kontinent um? Eine erfolgreiche Strategie muss auf drei Pfeilern ruhen:

1. Keine Kompromisse bei Kooperationen mit Rechtspopulisten

Das österreichische Modell der Öffnung nach rechts darf nicht Schule machen. Schlimm genug, dass die ÖVP sich mit der FPÖ zusammengetan hat. Dass unter diesen Umständen europapolitisch alles stillsteht, ist kein Wunder. Zuletzt wurden auch innerhalb der deutschen CDU/CSU Stimmen laut, die eine Kooperation mit der rechtspopulistischen AfD nicht mehr ausschlossen. Wenn sich die Konservativen hier nicht schleunigst europaweit besinnen und zu einer klaren Haltung zurückkehren, machen sie sich europapolitisch völlig unglaubwürdig.

2. Mit Klarheit und echten Problemlösungen Menschen zurückgewinnen

Wir müssen möglichst viele jener Menschen, die sich von Populisten ansprechen lassen, zurückgewinnen. Vor allem müssen wir dazu die europäischen Werte wieder deutlicher machen – aber auch politische Konzepte anbieten, die das Leben der Menschen spürbar verbessern. Das erfordert Klarheit und Haltung in den Rechtstaatsfragen und zugleich einen radikalen Umbau des ökonomischen und sozialen Systems in Europa. Wirtschaft muss den vielen nützen und nicht den wenigen. Politik muss wieder lebensnah werden, dazu müssen wir raus aus unseren abgeschotteten Kunstwelten und stattdessen die großen Themen zusammendenken. Das heißt konkret: Wir werden nicht mehr über Wirtschaft sprechen, ohne auch über Demokratie, Umwelt oder Soziales zu sprechen. Stets muss deutlich sein, wozu unsere europäischen Freiheitsrechte da sind, was sie den Menschen bringen und dass nur durch sie eine Entwicklung im Interesse aller möglich ist.

3. Angriffe auf Wahlen und Beeinflussung der politischen Meinungsbildung stoppen

Wir müssen die digitale Beeinflussung der politischen Meinungsbildung stoppen und uns gegen gezielte Angriffe auf Wahlen schützen. Denn unsere Demokratie ist verletzlich geworden, wenn über das Internet von außen die demokratische Debatte manipuliert werden kann. Ein erster Vorschlag der EU-Kommission geht längst nicht weit genug. Die sozialen Netzwerke müssen viel stärker in die Pflicht genommen werden für das, was auf ihren Seiten passiert. Sie müssen verpflichtet werden, selbst gegen Fake-Accounts oder Bots, die Lügen und Angst verbreiten, vorzugehen. Und die Demokratinnen und Demokraten müssen wieder selbst und aktiv die Debatte prägen. Die Mitte der Gesellschaft muss die Politik bestimmen, nicht die Demokratieverächter vom rechten Rand.

Klare Haltung, klare Politikangebote und klare Maßnahmen gegen Manipulation der Demokratie: Das sind die drei Kernpunkte einer vernünftigen Strategie gegen die Rechtspopulisten und für die Verteidigung unserer Demokratie. Es ist an der Zeit, dass Europa entlang dieser Prinzipien wieder zusammenfindet. Unser Zusammenleben in Vielfalt, Europas weltweite Attraktivität, Europas ungebrochene Faszination, insbesondere in vielen östlichen Nachbarländern: All das braucht gerade jetzt Rechtsstaatlichkeit und Einsatz für unsere Werte und die Verteidigung von Demokratie. (Udo Bullmann, 10.10.2018)