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Wohlfühldiskurs schläfert den Dialog ein.

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Gespräche sind zunächst Begegnungen. Doch nicht immer kommen – wie eine bekannte österreichische Redensart behauptet – durchs Reden die Leut' zusammen. Der Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann etwa meinte, dass Kommunikation die Welt nicht mitteile, sondern einteile, nämlich in Gesagtes und in Unausgesprochenes. In diesem Zwischenraum zwischen Mitgeteiltem und Verschwiegenem entstehen Dialoge. Diese entwickeln sich prächtig oder kommen zum Erliegen.

Begegnung auf Augenhöhe

Es ist gewiss auch kein Zufall, dass das Dialogisieren, das "dialégesthai" seit der griechischen Antike allerhöchstes Ansehen genoss: Als Begegnung auf Augenhöhe; wiewohl bereits im "Begegnen" das Widerfahren eines "Gegen" sichtbar wird.

Aus welchen Elementen besteht ein Dialog? Wer bestimmt den Diskurs? Hat, wer monologisiert, automatisch die Themenführerschaft? Es gibt Gesprächsteilnehmer, die weder zur Selbstkritik noch zur Selbstironie fähig sind. Menschen, die sich im Vollbesitz der Wahrheit oder gar Glaubenswahrheit wähnen. Wie Missionare ohne Einsicht schrammen diese am Fanatismus entlang und haben den Dialog bereits abgebrochen, bevor er noch begonnen hat. Solche Gespräche ähneln immer wieder Duellen, bei denen das Trennende, endgültig Auseinandertreibende im Vordergrund steht.

Aggressives Ignorieren

Manchmal führen Dialoge auch zur Erkenntnis, dass Unterredungen trotz guter Absichten sinn- und zwecklos waren. Ein Beispiel dafür sind die Figuren in den Dramen Harold Pinters, die oft systematisch aneinander vorbeireden und dadurch Distanz erzeugen.

Das derzeitige politische, gesellschaftliche und kulturelle Europa wirkt wie von einem Schleier der Feindseligkeit überzogen: Auch das Phänomen des aggressiven Ignorierens scheint auf dem Vormarsch zu sein. Konfliktlinien können gerade noch mit behutsamer Sprache dialogisch verbunden werden; der immer stärker grassierende Populismus hingegen glättet Bruchlinien nur oberflächlich.

Doch was tun, wenn auch der letzte Gesprächsfaden reißt? Wenn Gesprächsverweigerung einerseits und Hassrede andererseits drohen? Was, wenn aus dem vermeintlich netten Gegenüber hauptsächlich extremistisches Gedankengut hervorquillt? Das Konzept der Gegenrede ist zwar immer zu begrüßen. Doch Counterspeech besitzt nicht denselben diskursiven Startvorteil wie die Hassrede; denn Letztere ist knapp, schneidend und verletzend, die Gegenrede hingegen ausführlich, erklärend und argumentierend.

Zivilgesellschaftliche Ethik

Die Gegenrede, und das ist eine ihrer größten Schwächen, birgt als Dialog das Risiko, Verbalradikalismen und Hassreden implizit zur politischen Kategorie aufzuwerten. Extremismus politischer, ethnischer oder religiöser Provenienz darf nicht mit demokratischer Partizipation verwechselt werden.

In solchen konfrontativen Fällen sollte primär an politischer Gegenhaltung und an zivilgesellschaftlicher Ethik gearbeitet werden. Ein langwieriger Prozess, bei dem die Vorbildwirkung und Integrität der politischen Akteure, jener der Bildungseinrichtungen und Medien essenziell sind. Die gegenwärtige, teils schwere Beschädigung der Vorbildwirkung nationaler und internationaler Politik ändert nichts an der grundlegenden Wichtigkeit von Leitbildern und Orientierungen. Gegenhaltungen sind Handlungsweisen, Zielsetzungen und Einstellungen, die durch Ethik und Moral bestimmt sind, nicht leerer Habitus.

Erst wenn die gegenseitige Anerkennung der jeweiligen Gesprächspartner vorliegt, wächst die Chance auf Einvernehmen, auf Konsens, ohne deshalb in Eintracht zu schwelgen. Sobald Anerkennungsverhältnisse symmetrisch sind, kann vorbehaltloses, respektvolles Sprechen realisiert werden.

Sozialer Brandbeschleuniger

Social Media spielen dabei eine kritische Rolle, da sie omnipräsent sind, die Sprachkultur in diesen jedoch nicht in Richtung eines gepflegten Salongesprächs tendiert. Sie sind zwar nicht die Ursache des Niedergangs von Sprachkultur, jedoch ein wirkungsvoller Brandbeschleuniger, und das trotz ihrer ausdrücklich auf das Dialogische selbst gerichteten Strukturen.

Doch auch künstlich herbeigeführte Konfliktvermeidung durch Wohlfühldiskurse und permanenten Konsens schläfert langfristig alle produktiven Kommunikationsansätze ein. Sprachliche Behaglichkeit an der Oberfläche deutet oftmals auf eine dahinter bereits brüchig gewordene Diskussionsbasis hin.

Belebende Gespräche

Kontroversielle, belebende Gespräche und herausfordernde, konstruktive Kritik sind hingegen Zutaten, die positive Workarounds, Ideen und Kreativität aufkeimen lassen.

Letzteres ist bedeutsam, denn die zentrifugalen und nationalstaatlichen Kräfte gewinnen in Europa zurzeit an Terrain. Angesichts der drohenden diskursiven Ermattung des Kontinents bot Friedlich Hölderlin einen Ausweg an, der die Wichtigkeit des Dialogischen auf den Begriff bringt: "Viel hat erfahren der Mensch. / Seit ein Gespräch wir sind. / Und hören können von einander." (Paul Sailer-Wlasits, 10.10.2018)