Väterlicher Freund und therapeutischer Helfer: Bruno Ganz als Sigmund Freud steht Franz (Simon Morzé) zur Seite.

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Es ist so laut und stinkt so. Der Kanal vielleicht." Der junge Mann (Simon Morzé), eben in Wien angekommen und schon vom Geruch der Großstadt belästigt, wird bereits auf dem Bahnsteig vorgewarnt. Dabei hat das alte Mütterchen (Erni Mangold), das hier Glückslose verkauft, sicher schon schlimmere Zeiten erlebt. Aber sie weiß: "Das ist nicht der Kanal, das sind die Zeiten." Man schreibt das Jahr 1937, ein Zeitungsjunge plärrt vom Rotundenbrand, und Franz macht sich auf den Weg zu Otto Trsnjek (Johannes Krisch), bei dem er in der Literaturverfilmung Der Trafikant seine Stelle antreten wird.

Auch Literaturadaptionen haftet fast immer ein Geruch an, doch es ist nicht jener von Papier. Meistens ist es ein dem Kino zugeschriebener Makel, den Ansprüchen der Vorlage – welcher Art auch immer – nicht gerecht zu werden. Oder diesen nicht gerecht werden zu können, womit der Begriff "unverfilmbar" ins Spiel gebracht wäre. Jedenfalls aber gilt es, auf der Leinwand bestimmte Vorgaben zu erfüllen, um Erwartungshaltungen möglichst nicht zu enttäuschen. Dem Regisseur und Koautor Nikolaus Leytner, der nun Robert Seethalers Bestseller verfilmt hat, dürfte diese Enttäuschung gelungen sein. Im Folgenden fünf Ursachen.

Trailer zu "Der Trafikant"
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Die Vorlage. Schlechte Bücher werden selten verfilmt, populäre dafür umso öfter. Es war schlicht eine Frage der Zeit (und der Finanzierung), dass die Geschichte des Burschen aus dem Salzkammergut, der den "Anschluss" in Wien miterlebt und zum Mann mit politischem Gewissen reift, für die Leinwand adaptiert wurde. Dabei bietet die Vorlage alles, was den Filmproduzenten erfreut: einen jungen Sympathieträger (Franz), eine Liebesaffäre (böhmisches Mädel), einen bekannten Schauplatz (Wien) und eine ebenso bekannte historische Persönlichkeit (Sigmund Freud). An Seethalers vor sechs Jahren erschienenem Roman gab es für das österreichische Kino also im Grunde kein Vorbeikommen.

Die Politik. Die Verknüpfung von Biografie und Zeitgeschichte zählt in Literatur und Kino nicht zu den ältesten, wohl aber zu den schwierigsten Künsten. Austrofaschismus, Hakenkreuze auf der Straße, der sich als Opportunist erweisende Nachbar sind Bilder, Erzählungen und Figuren, die (auch) zum Repertoire der Film- und Fernsehgeschichte gehören. Der Trafikant gebraucht diese Bilder, weil er meint, sie für einen Kinospielfilm zu brauchen.

Wie das Wien der 1930er-Jahre ausgesehen hat, weiß man gut. Vielleicht ist gerade das der große Nachteil der Seethaler-Verfilmung von Nikolaus Leytner, die sich – wohl auch aus Kostengründen – nicht über vorgefertigte Stadtbilder hinausbewegt.
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Die Charaktere. Bruno Ganz als Begründer der Psychoanalyse hat wahrlich kein leichtes Spiel. Und als Lebensweisheiten verpackte Sätze wie "Man muss das Wasser nicht verstehen, in das man hin einspringt" machen ihm die Aufgabe, Franz als zigarrenrauchender Vaterersatz psychologisch zur Seite zu stehen, nicht einfacher. Dass Der Trafikant mit dieser Figur über ihre reine Funktionalität hinaus so wenig anzufangen weiß, lässt sie zur Schablone werden.

Die Liebe. Weil junge Männer sich verlieben, passiert Franz eben das mit Anezka (Emma Drogunova), dem Mädchen mit der Zahnlücke. Sie sorgt für die erotischen Turbulenzen, die wiederum den Franz zu Freud treiben. Hat man derartige Verwirrungen eines Zöglings in Literatur und Film schon erlebt? Selten allerdings ein junges Liebespaar sich nackt im Kunstschnee wälzen. Wie junge Liebe aussehen kann, wenn sie nicht so aussehen soll, wie man glaubt, dass sie im Kino aussieht – davon weiß dieser Film allerdings nicht zu erzählen.

Die STANDARD-Filmkritiker über "Der Trafikant" und weitere Filme im Video
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Die Zeit. Wie hingegen das Wien der 1930er-Jahre ausgesehen hat, weiß man sehr gut. Vielleicht ist gerade das der große Nachteil dieser Verfilmung, die sich – wohl auch aus Kostengründen – nicht über vorgefertigte Stadtbilder hinausbewegt. Es mag schon sein, dass man Kindern gerne beim Reifentreiben zuschaut und schon vor achtzig Jahren hin und wieder ein einsamer Fiaker untätig im Hintergrund zu sehen war. Dennoch: Um einen Spielfilm nicht wie abgefilmtes Theater wirken zu lassen, bedarf es einer lebendigen Szenerie – und nicht jene eines Bilderbuchs. (Michael Pekler, 12.10.2018)